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Vom Inn an die Seine: ein Einhorn!

DSCF9394Als uns der Zug auf der Heimfahrt mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit durch die endlos weite spätsommerliche Landschaft Frankreichs trug, fragte ich mich, was mich am meisten beeindruckt hat in Paris. Weswegen ich auf jeden Fall noch mal wiederkommen wollte. Aber es war zu früh. In meinem Kopf wirbelte das reinste Kaleidoskop an herrlichen Eindrücken, Gerüchen und Farben: der Chorraum der Sainte Chappelle, die aus Licht und Farbe zu bestehen scheint. Die majestätischen Kastanien am Canal Saint Martin. Die wunderhübsche Bahnhofsuhr im Gare de l’Est, die ich grade noch im Nachmittagslicht photographiert hatte. Die Winterlandschaften der Impressionisten im Musee d’Orsay, vor denen man den Schnee direkt riechen konnte und wirklich Gänsehaut vor Kälte kriegte. Oder Monets Mohnblumenfeld: ich spürte das Getreide an meinen nackten Beinen kitzeln, so eindrucksvoll hat er den Sommertag eingefangen.

DSCF9275Jetzt ist der Staub der Tuilerien von den Sandalen gebürstet (den Satz wollte ich schon immer mal schreiben!) und die Reisetasche ausgepackt. Und ich merke, wie immer klarer wird, was mich ganz sehr beeindruckt und berührt hat: die wunderschöne Dame mit dem Einhorn im Musée de Cluny. Wahrscheinlich auch, weil die Stadt und die meisten Sehenswürdigkeiten sehr quirlig und belebt sein kann. Manchmal ist es nett und genau richtig, wie eben abends in einem Strassencafé am Canal St. Martin. Manchmal geht es einem furchtbar auf den Geist wie im Louvre – der Mona – Lisa -Saal kündigt sich schon weitem durch eine erhöhte Geräuschkulisse an, die sich noch steigert, wenn man ihn betritt. Und was sieht man? Ganze Trauben von Menschen, die sich möglichst nah an die Absperrung drängen – aber alle mit dem Rücken zum Bild. Man braucht ein bisschen, um diese neue Zeiterscheinung zu kapieren: die Massen waren nicht etwa begeistert vom Veronese gegenüber, sondern degradierten Mona Lisa zur Kulisse ihrer Selfies. Flüchtige, nichtssagende Beweise ihres Besuchs – wozu? Reicht es nicht mehr, zu sagen, dass man in Paris war? (Und nur am Rande – die anderen da Vincis im nächsten Raum fristeten ein Schattendasein. Waren überhaupt nicht selfie – würdig. Und komplett einsam, wirklich von aller Welt verlassen, hingen die beiden unendlich kostbaren Vermeer – Gemälde im anderen Stockwerk. An einem Sommernachmittag um fünf kann man völlig allein mit ihnen sein, nicht mal ein Wärter war in Sicht.)

P1090070Im Musée de Cluny, der ehemaligen römischen Therme, herrscht eine komplett andere Atmosphäre. Kurz vor der Reise sprach ich mit einer Französischlehrerin über das, was ich sehen wollte, und zu jedem Punkt sagte sie: ooooh, da ist es voll, da sollten Sie Karten vorher besorgen. Und da auch. Und dort besonders. Und das Einhorn? Endlich kein besorgter Gesichtausdruck mehr, sondern aufrichtige Freude, dass sie mir eine gute Nachricht geben kann: „Da? Da ist keiner!“ Und sie hatte recht! Also nicht ganz keiner, aber doch verschwindend wenige Besucher und deswegen auch eine ganz ruhige, fast andächtige Atmosphäre. Man wird auch durch die geschickte Präsentation in die richtige Stimmung gebracht: man betritt einen dunklen, schwarz verhangenen Gang aus Stoff, auf den u.a. auch ein Rilke – Zitat gedruckt ist, läuft unwillkürlich langsamer, weil sich die Augen erst an das gedämpfte Licht gewöhnen müssen, und irgendwie steigt schon auch die Spannung… Und dann steht man vor der leuchtenden Farbenpracht der Teppiche, die so viel grösser sind, als ich es mir vorgestellt habe, und ist erst mal sprachlos.

(Quelle: Wikimedia)
(Quelle: Wikimedia)

Ich denke immer wieder an die besondere Atmosphäre im Raum und die friedvolle Ruhe der beiden Damen im Paradiesgarten, die, umgeben von zahmen Tierchen und unzähligen zarten Blumen, scheinbar überflüssigen und nutzlosen Beschäftigungen nachgehen. Zu so einem Urteil kommt man schnell, wenn es um Kunst, Musik, Poesie geht – das, was scheinbar nicht sein muss und im Alltag schnell mal wegrationalisiert wird, ist in Wahrheit lebensspendend und als Seelennahrung genau so wichtig wie echte Nahrung. Die Teppiche, die zum Ende des 15. Jahrhunderts gewebt wurden, stellen Allegorien der fünf Sinne dar inklusive eines misteriösen sechsten Sinns, der möglicherweise für das Herz oder die Intuition steht. Ist das nicht ein erstaunliches Thema? Zu einer Zeit, in der hauptsächlich religiöse oder heroische Motive dargestellt wurden? Es ist eine Rückkehr zu ganz zarten, im Alltag gar nicht mehr wahrgenommenen Gefühlen. Sieht man sich in so feinen Gesten erinnert an seine Sinne, ist man auch dankbar, wenn man noch über alle verfügen kann – der Geruchs- oder Tastsinn werden uns nicht so schnell abhanden kommen, aber mit dem Sehen (in der Nähe…) hapert es immer mehr bei mir, und wenn meine Schüler weiterhin so beherzt reinlangen, wird mein Hörsinn auch bald nachlassen… In der Renaissance waren diese Alterungserscheinungen mangels Lebenserwartung wahrscheinlich nebensächlich, aber man wird eindringlich erinnert an das, was einen kompletten, glücklichen Menschen ausmacht. Und dazu gehören auch eine Vielzahl an allerliebsten kleinen Tierchen: der laut Rilke „seidenhaarige“ Schosshund, zahlreiche Häschen, Füchse, Vögel, und natürlich immer der grösser dargestellte freundliche Löwe und das Einhorn, die für Mut und Keuschheit stehen. Man könnte fast meinen, dass den Tieren auch eine Seele zugesprochen wird, weil sie so intensiv an der Darstellung der Sinne beteiligt sind.

Und man bewegt sich langsamer, um die beiden Damen nicht zu stören. Heute und auch zu Rilkes Zeiten: „Geht man nicht unwillkürlich leiser zu dem nächsten Teppich hin, sobald man gewahrt, wie versunken sie ist: sie bindet einen Kranz, eine kleine, runde Krone aus Blumen. Nachdenklich wählt sie die Farbe der nächsten Nelke aus dem flachen Becken, das ihr die Dienerin hält, während sie die vorige anreiht. Hinten auf der Bank steht unbenutzt ein Korb voller Rosen.“ Klingt das nicht erstaunlich modern – nach Achtsamkeit, ganz im Hier – und – Jetzt – Sein, Entschleunigen? Ich merke: diese prachtvollen roten Teppiche haben sich in meiner Seele eingebrannt. Und wenn es im Alltag mal wieder drunter und drüber geht, kann ich mich kurz in diese ruhige Welt zurückträumen.

Vom Inn an die Seine: Leichtigkeit

Ferienwohnung - Küche
Ferienwohnung – Küche

Wenn ich sagen sollte, was das Schönste an Paris war, würde ich antworten: einfach die Tatsache, in Paris zu sein. Das Bewusstsein, endlich dort zu sein. Gar nicht klar benennbare Orte oder Museen oder Cafés, sondern dieser wunderbare Urlaubszustand – man erwacht inmitten von fremden Gerüchen und Geräuschen und weiss, dass man an dem Tag alles kann, aber nichts muss.

Schon das Aufwachen in unserer stilvollen Ferienwohnung war eines der Erlebnisse, das ich vermisse: wir wohnten in einem der vielen dreieckig zulaufenden Häuser an einer kleinen Kreuzung. Das Schlafzimmer war vorne im spitzen Teil. Vom Bett aus sah man die Türme von St. Ambroise und eine majestätische hohe Pappel, die bis in den fünften Stock reichte. Der Verkehr auf dem breiten, baumbestandenen Boulevard Voltaire war so weit unten, dass er nur als gleichmässiges Rauschen bis nach oben drang – was aber sehr eindeutig und verführerisch nach oben schwebte, das war der Geruch der Bäckerei im Erdgeschoss, direkt unter dem Schlafzimmer. Dieser unglaubliche Buttergeruch lockte mich jeden Morgen zuverlässig aus dem Bett… Aber bevor ich im rumpeligen Käfigaufzug nach unten fuhr, tapste ich über das alte, schimmernde Parkett auf den Balkon, genoss den Blick so hoch über den Dächern den Boulevard entlang auf den rosa gesäumten Himmel und die seltsamen indischen Türme von Sacré Coeur in der Ferne und sagte mir vor: ich bin in Paris! Ich bin endlich da!

f6e6ee34_originalEs gibt noch viele solcher Momente: wie wir auf der Terrasse des „Deux Magots“ mit Blick auf die Kirche sassen  und die weltbeste heisse Schokolade serviert bekamen. Oder das Bewusstsein: ich steige die Treppen von Montmarte hoch. Ich bin endlich auf diesen berühmten Stufen! Oder „Paris – Plage“, der für die Sommermonate künstlich aufgeschüttetete Strand an der Seine mit seinen einladenden blauen Sonnenschirmen und den blau-weissen Liegestühlen. Es war ruhig um uns herum an diesem Vormittag, das Wasser glitzerte, ich wurde immer schläfriger in dem bequemen Liegestuhl mit Blick auf eine der Brücken und eine surreale Palme davor. Oder der Aperitif in einem anderen alten Eckcafé – ich schaute grade meine Postkarten mit der Dame mit dem Einhorn an, als der Kellner meinen Sauvignon blanc brachte. Er stellte sich neben unseren Tisch, mit den Händen auf dem Rücken und der Terrasse im Blick, und erzählte, dass er als kleiner Bub mit der Schule dort war und  nie vergessen wird, wie schön es war (glückliche französische Schulkinder!). Ich pflichtete ihm bei und sagte, dass ich mein Leben lang diese Wandteppiche hatte sehen wollen und es noch gar nicht fassen kann, wie schön sie in echt sind. Und er meinte: Madame sieht auch sehr glücklich aus. Und dieser Moment, diese paar Sekunden, expandiert wie ein Motiv, das Monet festhält und das zeitlos und endlos wird: ich war in Paris, in einem Café bei der Sorbonne, nach einem beglückenden Museumsbesuch, mit einem besonderen Glas Wein vor mir, und war bien heureuse.

Ferienwohnung - Wohnzimmer
Ferienwohnung – Wohnzimmer

Aber wie so oft im Leben waren zwei entgegengesetzte Pole unter einen Hut zu bringen: selten hatte ich mich so leicht und unbeschwert gefühlt – gleichzeitig war ich definitiv noch nie im Leben derartig von tödlichen Waffen umgeben. Frankreich zeigt tatsächlich, dass es sich immer noch im Ausnahmezustand befindet. Die erste Taschenkontrolle, der erste Metalldetektor vor Museen oder grossen Kirchen kommt einem noch seltsam vor. Aber bald wird es Alltag und nervt sogar, weil es Zeit kostet. Aber man hat keine Wahl: will man in die Sainte Chapelle, die sich im Hof des Justizpalasts befindet, wird man abgepiepst und durchleuchtet wie am Flughafen. Will man in die Galeries Lafayette, wird die Tasche manuell durchsucht und gefährlich aussehende Objekte wie das Sonnenbrillenetui fragend ans Licht gehalten und eingehend geprüft. Manchmal von feinfühligerem Personal, das sich immerhin für seine Neugier entschuldigt, manchmal von – nun ja, weniger feinfühligen (und danach fühlt sich die Handtasche wirklich seltsam an.) Und es patrouillieren ständig und überall Vierergruppen von Soldaten in vollster Montur, und damit meine ich auch: umgehängtes Gewehr mit Fingern der rechten Hand am Abzug. Kein Witz. Als wir das erste Mal so eine Gruppe sahen, abends am Canal St. Martin, dachten wir noch, hier seien Dreharbeiten… Aber sie wurden eine Konstante im DSCF9370Stadtbild. Immer zu viert und offensichtlich mit der Marschordnung „molto andante“, also wirklich langsames Schlendern und gleichzeitiges aufmerksames Überblicken des Geländes. Und sie sind überall: draussen und drinnen, selbst im Louvre, zwischen den Liegestühlen des Paris – Plage, an harmlos wirkenden Ecken oder im belebten Bahnhof. Man gewöhnt sich tatsächlich daran, und seltsamerweise beruhigt es einen. (Ich hätte nicht gedacht, dass ich so was mal sage!) Natürlich ist es eine unglaubliche militärische Machtdemonstration und man fragt sich, ob das eigene Land eigentlich so viele einsatzfähige Waffen  besitzt. Den Mut, sie zu zeigen und Grenzen zu zeigen, haben wir definitiv nicht. Und es ist ganz seltsam und absurd, dass ich mich in so einer Umgebung sicherer fühle, aber so war es. Vor dem Urlaub bin ich ja drei Mal nach München gefahren, zu Ferien – und Museumstagen, und nach dem damals aktuellem Anschlag im OEZ immer mit dem mulmigen, aber trotzigen Gefühl: ich mach es trotzdem. In Paris gab es kein „trotzdem“, sondern das Gefühl: das ist unsere Stadt, wie lassen uns nichts nehmen und wir dürfen uns hier sehr wohl frei bewegen. Nicht trotzdem, sondern genau deshalb. Eine absurde, schwerbewaffnete Art von Leichtigkeit, die ich in ihrem Widerspruch nicht für möglich gehalten hätte.

Neue Kamera – alte Statuen

P1080683Letztes Jahr im August war ich in der faszinierenden Etruskerausstellung in der Antikensammlung und war so begeistert und erfüllt, dass ich beim Rausgehen dachte: und nächste Woche geh ich endlich mal in die Glyptothek gegenüber. Ein Jahr später, immer noch keine Glyptothek… (Die Etruskerausstellung ist übrigens immer noch, falls jemand Lust hat.) Aber jetzt hab ich’s endlich geschafft! Auslöser war meine neue, langersehnte Kamera. Ich bin immer noch dabei, mich reinzufinden, und die Glyptothek sollte kein Vergnügungs-, sondern ein Übeausflug werden. Musste aber feststellen, dass ich ziemlich schlecht darin bin, wirklich viele Fotos zu machen. Es ist nicht natürlich für mich, durch die Linse zu gucken. Ich schaue wahnsinnig gern und bin eher in Gefahr, in manche Anblicke zu versinken und dann weiterzugehen, ohne ans Foto zu denken. Von daher war es kameramässig nur halb erfolgreich – aber ansonsten ein wunderbarer ruhiger Ferientag.

Das Schönste an der Glyptothek vorweg: dass ich gleich beim Reingehen eine ehemalige Schülerin traf, die jetzt Latein studiert und mit ihrem Kurs dort war. Sie war wie immer, als wären nicht ein paar Jahre vergangen, und sie erzählte, dass sie sich einen hundert Jahre alten Flügel gekauft hat, der in ihrer Studentenwohnung steht, und dass sie fast jeden Tag spielt. Mission erfüllt, das Mädel ist auf dem richtigen Weg!

P1080688Verglichen mit englischen Museen ist die Glyptothek nur mässig instruktiv – man erfährt aus den kostenlos zur Verfügung stehenden Informationen zum Beispiel gar nichts darüber, woher die Statuen kamen oder wer sie wann wo gefunden hat. Die ganzen spannenden Drumherumgeschichten haben mir gefehlt, denn die sind bei manchen Kunstwerken mindestens so interessant wie das, worum es bei der Darstellung eigentlich geht. Aber es sind sensationell schöne Stücke da versammelt. Hier, vor der Haustür. Muss man gar nicht nach Rom fahren… Ich bin immer wieder fasziniert und auch seltsam berührt von der Tatsache, was für eine Berg- und Talfahrt die Weltgeschichte und Kunstgeschichte so durchmacht. Dass es schon mal atemberaubend schöne und perfekte freistehende Statuen gegeben hat, dieses ganze Wissen dann Jahrhunderte (Jahrtausende…) verschüttet war und dann ein paar Florentiner Bildhauer mühsam diese Art, Kunst zu erschaffen, wieder ausgegraben haben. Für mich hat sich da ein wichtiges Puzzleteilchen in mein Halbwissen eingefügt. Man sagt immer so: „Wiederentdeckung der Antike“ – ohne wirklich zu wissen, was Antike bedeutet. Aber – siehe oben, ich habe nie den Drang gespürt, vielleicht einfach mal in München nach der Antike Ausschau zu halten.

P1080657Dabei hätte es uns wirklich gutgetan, auch mal als Lateinabiturienten einen Abstecher ins Museum zu machen. Die Sammlung ist chronologisch angeordnet, und ziemlich gegen Ende, schon etwas voll von Eindrücken und müde vom Rumlaufen, fand ich mich ein einem Raum wieder mit Dutzenden Köpfen auf Stelen: die römischen Kaiser nach Christus starrten mich mit ihren leeren Marmoraugen an, alle dem Fenster und dem Licht zugewendet. Ein ganzes Rudel an eindrucksvollen Mienen. Ich liess mich auf die Bank in der Mitte fallen, alle im Blick, und dachte nur: „ach ne, ihr. Ausgerechnet. Was habt ihr mich Nerven gekostet und wie überflüssig war es, sich kurz vor dem Abi die Regierungsdaten von euch allen reinzupauken? Wo manche von euch so kurz regierten! Mann, das war klassisches überflüssiges Wissen, nur für die Prüfung gelernt und im Leben zu nichts zu gebrauchen. “ Ich fühlte mich tatsächlich besser nach dieser kleinen Abrechnung. Blieb noch ein bisschen sitzen, um die Gesichter anzuschauen, und merkte langsam: das sind ja alles einzelne Menschen. Individuen. Wahnsinnig ausdrucksvolle, edle, entschlossene, nachdenkliche Gesichter. Und dann will man von einem zum anderen gehen und fragen: was hast du richtig gemacht? Was hast du falsch entschieden? Warum hast du nur so kurz gelebt? Jeder einzelne dieser ollen Kaiser wird auf einmal unglaublich spannend, und es ist besonders berührend, ihnen so auf Augenhöhe gegenüber stehen zu können. Diese Verbindung hätte ich gebraucht damals in der Schule. Und es erinnert mich daran: ich brauch mehr Bildmaterial für meine Schüler. Wenn man mal gesehen hat, wie ein Kaiser, ein Komponist oder ein Pianist ausgesehen hat, stellt man andere Verknüpfungen her und verbindet wirklich etwas mit dem Namen. Und egal ob man Zuneigung oder Ablehnung empfindet – ist das Bild mal mit eigenen Emotionen in Berührung gekommen, gräbt es sich anders ins Gedächtnis ein.

Verwunschen

DSCF9237Drückende, schwer lastende Sommerhitze, wie es sie nur an einem Julinachmittag kurz vor einem Gewitter gibt. Eine wildwachsende Moorwiese, gesprenkelt mit lilanen, gelben und weissen Blütentupfern und träge umschwirrt von dicken Insekten. Schwalben, die tief über die Wiese und den See flattern. Und vor uns ein seltsam schiefes Ensemble von offensichtlich immer neu dazugebauten hohen Anbauten – es könnte ein Schloss sein, wenn es etwas einheitlicher wäre und die einzelnen Gebäudeabschnitte nicht in verschiedenen Farben gestrichen wären. Links ist ein einzelnes Torhaus in einer breiten, behäbigen Architektur, das man über eine Brücke erreicht. Dann kommt die Kirche mit Turm, und gleich daran anschliessend die scheinbar nicht zusammenpassenden Gebäudeteile, die sich im Viertelkreis auf die kleine Insel im See schmiegen. An den steilen Hängen weiden Kühe, über die Hügel versprenkelt liegen ein paar malerische alte Bauernhäuser. Aber das ist schon alles, was von einem zusammenhängenden Ortskern zu sehen wäre.

DSCF9241Die Hitze wabert in Schwaden um uns. Eigentlich ist es zu warm, um hier in der Sonne auf einer Bank zu sitzen. Aber auch zu schön, um wegzugehen. Je länger ich leicht dösend auf das wunderhübsche Gebäudeensemble schaue, desto mehr verschwimmen Wirklichkeit und Phantasie. Dieses Torhaus kenne ich doch irgendwie – war es vielleicht in einem meiner Kinder- Märchenbücher? Und kommt da nicht Gänseliesel mit ihrem Stab aus dem schattigen Tor und führt die schnatternden Gänse über die Brücke zum See? Und da oben, in dem ersten Turm, sitzt da nicht Rapunzel? Und da drüben könnte Dornröschen schlafen… Will ich lieber eine Nixe zwischen den dunkelgrünen Blättern der Seerosen sein oder ein Prinz auf einem weissen Pferd? Es ist so unglaublich ruhig und beschaulich und eingeschlafen hier, dass man denken könnte, man sei durch eine Lücke in Zeit und Raum plötzlich vierhundert Jahre früher wieder aufgewacht. (Vielleicht eine Wirkung des Untersbergs in der Nähe, auf dem so was häufiger vorkommen soll?).

DSCF9256Dabei tost eine der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands nur ein paar Kilometer entfernt vorbei. Dank der Hügel um uns herum und der Senke, in der der See liegt, hören wir überhaupt nichts davon. Und eigentlich verdanken wir die Entdeckung dieses verzauberten Märchenorts nur meiner Verfressenheit: wir wollten spontan nach Salzburg, hatten nicht gefrühstückt und keine Lust, gleich als ersten Programmpunkt in ein Restaurant einzufallen. Also kaufte ich beim Bäcker belegte Semmeln mit Tomate und Mozzarella – die sich bei näherer Inspektion als nicht im Auto-essbar herausstellten, weder für Fahrer noch für Beifahrer. Also sagte ich, genau so spontan wie der ganze Ausflug entstanden war, auf der Landstrasse zwischen Traunstein und Salzburg: „fahr mal da oben auf dem Berg rechts raus, wo wir eine Aussicht haben, und dann essen wir die Dinger da.“ Es gab eine Abzweigung oben rechts, aber dummerweise führte die Strasse  nur bergab und es gab keine Parkmöglichkeit. Wir waren so auf den Bergblick fixiert, dass wir das Kloster am See unten völlig übersahen. Hatten sogar so dicke Scheuklappen, dass wir sagten: wie gut, ein grosser Parkplatz, da können wir wenden. Und dabei erst sahen wir das hübsche alte Torhaus… und den Kirchturm… und überhaupt. Ein Hoch auf spontane Planänderungen! Wir hätten diesen magisch schönen Märchenort sonst nie entdeckt und wären am Ende noch jahrelang auf dieser wenig befahrenen, angenehmen Strasse gefahren, ohne zu wissen, was sich da für ein Kleinod versteckt.

DSCF9261Im Lauf des Besuchs kriegen wir raus, dass wir uns in Höglwörth befinden, einem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift, das ab 1125 von Salzburg aus besiedelt wurde. Aus der Zeit stammt auch die erste Klosteranlage, die dann im Barock umgebaut wurde – alles auf „unregelmässigem Grundriss“. (Ich freue mich immer, wenn der Dehio auf diese Phrase zurückgreifen muss, wo er doch sonst die spinnenartig – geometrisch – perfekten Grundrisszeichnungen so liebt. „Unregelmässig“ heisst: hier wird’s richtig interessant!) Der schiefe und krumme Innenhof ist so was von charmant – ungefähr zwei trapezförmige Innenhöfe, die L-förmig aneinanderstossen, aber alles überhaupt nicht ausgezirkelt und ganz offensichtlich so gut wie möglich angepasst an die Halbinsellage. Und das Pflaster! Ich konnte nicht genug davon kriegen. Noch individueller und unregelmässiger als die ganze Anlage zusammen, denn es besteht ausschliesslich aus riesengrossen runden Katzenkopfsteinen. Ich kann mir kaum vorstellen, was das für eine Arbeit war. Nicht nur das Verlegen, sondern erst mal das Sammeln von Hunderten ungefähr gleichgrosser Steine. Obwohl der Hof wie verzaubert im Sommermittagsschlaf liegt und der kleine Nepomuk-Brunnen in der Ecke einschläfernd plätschert, lasse ich mich nicht einlullen, sondern sprinte zum Auto zurück, um die Kamera zu holen. Ich möchte und muss es festhalten, wie man mit dem, was man hat, und mit Rücksicht auf die örtlichen Gegebenheiten so viel Schönheit erschaffen kann. Es gibt berühmtere, geradere, abgezirkeltere Bauwerke, die uns durch ihre symmetrische Schönheit und Ausgewogenheit in ihren Bann ziehen. Höglwörth wird da wohl nie dazugehören. Aber der besondere  Bann von hier ist mindestens ebenso stark und nachhaltig.

(Weil es erst 1816 zu Bayern kam und Salzburg nur 20 km entfernt ist, wird dieser Ort in die „Salzburger Land“- Kategorie geschmuggelt…)

Eine Auswahl

DSCF9134Wenn ich mich manchmal frage, warum mir im Alltag der Kopf wirbelt und ich den Wald vor Bäumen nicht sehe, liegt es oft daran, dass ich mich von zu vielen verlockenden Optionen umgeben sehe. Zu viel Auswahl, ein zu grosses Angebot an Ähnlichem, die bekannte Qual der Wahl. Dass das überhaupt ein Problem ist, zeigt, in welchem Wohlstand wir leben… Ich stelle schon seit längerem fest, dass ich den grossen Edeka, an dem ich auf dem Heimweg direkt dran vorbei fahre, lieber links liegen lasse und zu dem kleinen, altmodischen in unserer Siedlung gehe. Ich habe das Gefühl, ich brauche allein schon von der puren Laufstrecke durch den Laden länger, wenn ich in den gigantischen gehe, und ausserdem macht mich das Überangebot an gleichartigen Produkten leicht verrückt. (Und geht es nur mir so, aber – je mehr Joghurtsorten im Kühlregal, desto unauffindbarer die Hefe?)

Mit den Kleidern ist es ähnlich: wer kennt nicht das Gefühl vor dem vollen Kleiderschrank, nichts anzuziehen zu haben. Seit ich je nach Jahreszeit eine andere Auswahl aus meinem Schrank auf die Kleiderstange hänge und den Rest wegräume, tue ich mich leichter. Meine Sommergarderobe ist eher klein. Fünf Kleider, die ich schon beim Kaufen geliebt habe, zwei Röcke, eine Hose und ein paar Oberteile. Jedes Jahr freue ich mich, diese Sachen wieder zu sehen. Und weil man sie nur acht bis zehn Wochen tragen kann, sieht man sich auch nicht satt daran. Ganz anders als mit der Herbst/ Wintergarderobe, der man nach gefühlten 30 Wochen einfach nichts mehr abgewinnen kann. Im März neige ich zu den gefürchteten impulsiven Fehlkäufen… Aber das nur am Rande. Es tut gut und vereinfacht das Leben, sich auf ein paar Farben und gut kombinierbare Teile zu beschränken. Ich empfinde es nicht als Beschränkung, sondern eher als Befreiung, weil ich nicht viel über das, was ich anziehen will, nachdenken muss. Beziehungsweise: einmal intensiv nachgedacht spart später Zeit.

Und lässt einen mehr Zeit haben für andere Organisationsaufgaben nach dem gleichen Motto: jetzt dranbleiben mit Block und Stift und eine Auswahl treffen, um späteren Stress zu vermeiden. Die Idee, die ersten Stunden des neuen Schuljahrs in den letzten Wochen des alten zu planen, wenn man gedanklich noch mittendrin ist, habe ich von Frances Clark, einer geschätzten amerikanischen Klavierlehrerin. Wie genial das ist, habe ich erst kapiert, als ich es das erste Mal gemacht habe. Seit einigen Jahren verfahre ich nun so und freue mich schon direkt auf meine Planungsstunde. Völlig stressfrei breite ich meine ganzen Unterlagen und mögliche neue Hefte auf dem Tisch aus, natürlich mit (mehr als) einer Tasse Tee, und überlege Schüler für Schüler, wie es im neuen Jahr weitergeht, welche Noten eventuell angeschafft werden müssen (Extraliste auf einem anderen Block) und was wir in der ersten Stunde machen. Das ist das Geheimnis für Seelenruhe über die Ferien schlechthin: schon mal skizzieren, wie es losgeht und die entsprechenden Hefte einpacken. Meine Erdinger Schüler werde ich in der ersten Woche mit einhändigen Stücken beglücken – das ist ein lustiger Anfang, aussderdem klingt es so, als sei es leichter… Die Kekskrümel und Taschentücher von einem halben Jahr sind aus meiner Schultasche entfernt, die geplanten ersten Stunden und die Hefte dafür sind drin, und ich spüre schon jetzt einen wunderbaren Seelenfrieden, bevor ich die Kinderchen überhaupt in die Sommerferien verabschiedet habe. Nächste Woche plane ich die Stunden meiner Privatschüler, dann kommt die Mega- Notenbestellung, und dann – Cocktails, Strandparties, der weisse Raffaelo – Werbungs – Badeanzug, was man als Klavierlehrerin halt so macht in den Sommerferien. Nein, nicht wirklich. Aber gefühlt!

Aufgeblüht

DSCF8772Als gäbe es nicht genug zu tun zum Schuljahresende mit all seinen Sommerkonzerten und Schlusskonzerten und den Programmen, die man dafür tippen muss, hat mir das Schicksal für die letzte Vorspielklausur der Elftklässler eine Menge spannender Literatur zum Begleiten beschert. Als würde es mich ermahnen, nicht zu glauben, am 11. Juli seien schon Ferien oder so. Ganz im Gegenteil, da geht es noch mal richtig zur Sache für alle: vor meinem langen Unterrichtsnachmittag habe ich einen ähnlich langen Vormittag in der Schule vor mir. Und während die Begleitaufgaben im Herbst eher konventionell und zum Teil bekannt waren, flatterten mir jetzt drei moderne Stücke ins Fach, die ich tatsächlich noch nicht kenne. Das ist auch immer wieder wichtig und gut für die Demut – ich begleite seit Jahrzehnten Geiger in Prüfungen aller Niveaus, und es gibt immer noch Stücke, die ich noch nie gesehen habe. Und so sitze ich da, übe Schostakowitsch, Stravinsky und Genzmer, frage mich schon ein bisschen, warum nicht wenigstens zwei bitte das gleiche Stück spielen können, finde aber jedes so toll und interessant, dass es auch nichts macht. Für eklige Stellen notiere ich mir Fingersätze in der Hoffnung, dass das Stück vielleicht in einem anderen Jahrgang wieder rausgezerrt wird und ich es dann nur noch aufwärmen muss. Aber sonst hilft nur: Augen zu und durch. Der gewisse Zeitdruck tut gut und es gibt keine Ausreden, warum ich mich morgens nicht gleich als erstes ans Klavier setzen sollte. Was heisst sollte – ich muss einfach, um das Pensum zu schaffen. Die Mendelssohn-Sonate und der Sarasate zwischendurch sind die reinste Erholung, aber sonst wird gezählt und atonale Klänge eingebläut, was das Zeig hält.

Nach dem üblichen Unwillen wegen schon wieder unbezahlter Mehrarbeit komme ich, wie immer wieder, zu der Erkenntnis: es geht nicht um die Bezahlung in Geld. Es geht darum, es einfach zu tun. Was mich schlaucht und verdorren lässt wie eine schrumpelige Pflaume, ist das viele Drumrum, das nichts mit Musik oder Kunst zu tun hat: Stundenorganisation, Verlegungen, Diskussionen mit unwilligen Schülern, Diskussionen mit übereifrigen Eltern – der ganze Alltagskrempel. Das ist es, was einen auslaugt. Wenn ich dann tatsächlich mal am Klavier sitzen und spielen darf, ist alles gut und ich spüre mit jeder Minute, wie ich auflebe und aufblühe. Und diese Geigerinnen, die ich begleite, sind zum Teil sehr gut. Wir müssen nicht proben, um zusammenzusein, sondern können gleich einsteigen ins wirkliche Musikmachen. Können schöpferisch tätig sein und schauen, wie wir dem Werk am ehesten gerecht werden. In solchen Momenten fängt die Zeit an zu fliegen, man vergisst alles um sich, ignoriert die nicht existente Lüftung in den Überkämmerchen und ist einfach in seinem Element. Das tut enorm gut. Man fühlt sich lebendig und verjüngt wie durch kaum was anderes. Weiss wieder, warum man diesen Job macht mit allen seinen Schattenseiten. Deshalb: ja zur Mehrarbeit, wenn es kreative und lebensspendende Arbeit wie grade ist! Auch wenn meine eigenen Sachen mal wieder liegen bleiben – aber immerhin spiele ich.

Im Rückblick muss ich sagen: ich habe wahnsinnig viel gespielt dieses Schuljahr, bin viel aufgetreten, musste immer wieder gut präpariert auf irgendeine Bühne klettern. Aber es waren lauter ungeplante Sachen. Nicht meine Beethovensonate, nicht mein Bach. Die laufen so am Rande mit. Ich fürchte, das ist einfach das Leben, in dem ich jetzt angekommen bin. Grossartig Solospielen ist nur noch mit echter Disziplin drin, und wenn sich die anderen Aufgaben so häufen, werden da am ehesten Abstriche gemacht. Und zwar nicht aus körperlichen, sondern akustischen Gründen: man kann nur so und so viele Stunden am Tag ein so lautes Instrument wie meins spielen und hören. Irgendwann wird es selbst mir zu viel. Aber auch wenn es nicht meine Wunschstücke sind: immerhin spiele ich, bleibe lebendig und fit und bleibe in Verbindung mit dem, was mich ausmacht und was mir wichtig ist. Dass das ein Geschenk ist, erkennt man erst, wenn man sich genügend über Genzmer aufgeregt hat…

Nicht nur schwarz – weiss

DSCF8490Und dann gibt es die anderen, die die ganze Sache differenzierter sehen. Die ruhig bleiben und eine Diskussion nicht als Anlass nehmen, nur lauthals ihre Sicht der Dinge loszuwerden, ohne den anderen zuzuhören. Und es sind erstaunlicherweise nicht die studierten, lebenserfahrenen Akademiker, die ich kürzlich im Fast – Nahkampf erleben durfte, sondern – ein sechzehnjähriges Mädchen, das mich durch ein paar ruhige Bemerkungen wieder an  das Gute im Menschen glauben lässt. Sie ist eine Schülerin von mir, die ich neuerdings nach der Klavierstunde abends heimfahre, weil so spät kein Bus von Erding mehr in ihr Dorf fährt und ich auf dem Heimweg ohnehin dort durch fahre. Wir reden vom Einsteigen bis ich sie an ihrer Bushaltestelle rauslasse ohne eine einzige Pause – aber kaum übers Klavierspielen. Übers Reisen, Lesen, Sprachenlernen, und jetzt zufälligerweise über Flüchtlinge. Aber nicht, weil uns was akut im Alltag daran stört, sondern weil sie erzählte, dass ein gewisser dicker fetter Geschichtsatlas ihre Lieblingslektüre ist und sie wahnsinnig gern die alten Landkarten anschaut. Ich auch, übrigens. Dass überhaupt Geschichte ihr grösstes Hobby ist und sie immer wieder staunt, wie flexibel und ständig im Wandel zum Beispiel Grenzen waren. Und dass es immer Bewegungen und Völkerwanderungen wie jetzt gegeben hat. Dass sich immer die Menschen irgendwo die Köpfe eingeschlagen haben und andere deshalb auf der Flucht waren. Und das Traurige daran: dass wir nie daraus zu lernen scheinen. Aber so ist es, und wir leben zufällig jetzt und beobachten alles hautnah. Müssen aber auch anerkennen, dass wir in kurzer Zeit ohnehin nichts dran ändern können. Sollten eher versuchen, damit zu leben.

Wow. Ich dachte immer, sie ist eine tolle Klavierspielerin – aber da sitzt offensichtlich die geborene Diplomatin! Sie hat in wenigen Sätzen die Lage und ihre verschiedenen Aspekte so klar skizziert, auch, was wir tun könnten und wo die Grenzen sind, dass ich dachte: die Kleine hätten wir an unserer Tafel gebraucht. Ich glaub, vor ihrer Unschuld und Klarheit hätten selbst die völlig erhitzten Streithähne Respekt gehabt. Und was das Tollste war: ich habe keine Ahnung, wo sie persönlich steht. Sie ist sachlich und neutral geblieben, hat eine Fähigkeit zur Abstraktion bewiesen, die den anderen, die im Gegensatz zu ihr längst ihr Abitur und noch mehr an Ausbildung  haben, völlig abgegangen ist.

Und das würde ich mir für (hoffentlich nicht auftretende!) zukünftige Auseinandersetzungen wünschen: eine differenzierte Sicht der Dinge und einen Abschied von Pauschalurteilen. Nicht alle Moslems sind radikal, so wie nicht alle Christen Katholiken sind oder überhaupt in die Kirche gehen. Nicht alle Flüchtlinge kommen nur, um sich „in die soziale Hängematte zu legen“. Ich bestreite nicht, dass es beide Seiten gibt, aber man sollte nicht alle über einen Kamm scheren. Das würden wir doch auch nicht wollen, dass so über unsere Kultur geurteilt wird?

Es ist nicht so, dass ich Diskussionen scheue. Im Gegenteil: wenn meine Schüler mir widersprechen, bin ich direkt glücklich. Einmal, weil ich sehe, dass sie nicht nur körperlich anwesend sind, und dann, weil dadurch immer etwas in Gang und Leben in die Bude kommt. Manchmal kitzele und provoziere ich sie schon auch mit Absicht – aber wirklich mit pädagogischer Absicht, nicht um sie noch rasender zu machen, wie es kürzlich privat der Fall war. Und alles in gesittetem Rahmen. Es geht um die Sache und wir attackieren uns nicht persönlich. Und akzeptieren die Meinung des anderen. Wenn es überzeugend ist, habe ich kein Problem damit, wenn jemand ein Stück völlig anders spielt, als ich es würde. Das macht das Leben ja erst schön. Was bei unserer Auseinandersetzung am Kaffeetisch so zermürbend und frustrierend war, war, dass jeder der beiden unbedingt wollte, dass der andere seine Sicht übernimmt. Weil sie die einzig Wahre ist. Warum ist das so?!

Wir sollten aufhören, uns die Köpfe darüber einzuschlagen, warum sich andere Leute die Köpfe einschlagen. Oder vielleicht nur noch zu gegebener Zeit, im passenden Rahmen, oder zusammen mit Menschen, deren Job es ist, an der Situation eventuell etwas zu ändern. Privat kommen wir da nicht weiter und setzen höchstens Freundschaften und Sympathien aufs Spiel.

Toleranz

DSCF8963Es heisst immer, die Flüchtlinge werden unsere Gesellschaft verändern. Ich stelle das jetzt schon fest – aber anders, als der Spruch immer gemeint ist: meine unmittelbare Gesellschaft, der Umgangston in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat sich sehr verändert. Ich stehe mit meinen Beobachtungen sicher nicht allein da. Trotzdem muss ich darüber reden, weil ich immer wieder fassungslos bin, wie sich vermeintlich zivilisierte Menschen verhalten, wenn sie sich über die Flüchtlingsfrage in die Haare geraten sind. Was auch erstaunlich ist: dass wir überhaupt über Politik reden, also mehr als ein paar Minuten lang. Früher ging es da harmlos zu, ein bisschen über Tagespolitik oder regionale Ereignisse, aber so, dass man nicht unbedingt ahnen konnte, wo der andere steht – und es war auch egal und in Ordnung so, ich mochte die anderen einfach als Menschen und hätte sie jetzt nicht mehr gemocht oder abgelehnt wegen ihrer politischen Überzeugung.

Doch jetzt vertreten langjährige Bekannte, die ich zu kennen glaubte, derart haarsträubende, menschenverachtende Ansichten, dass ich nicht mehr mitkomme. Wie konnte ich sie so anders einschätzen? Wie konnte ich von Menschen, die so über andere Menschen denken, Geschenke und Blumen annehmen und mit ihnen an einem Tisch sitzen? Da wird mir im Nachhinein direkt anders.

Und, die allergrösste Frage, wie kann ich auch in Zukunft mit ihnen an einem Tisch sitzen? Das ist für mich grade die grösste Herausforderung. Auslöser für diese Frage war eine Einladung am letzten Wochenende, die derartig eskalierte und aus dem Ruder geriet, dass ich immer noch schockiert bin. Selten hab ich so eine hässliche, laute Auseinandersetzung miterlebt. Und sie dauerte geschlagene 90 Minuten – wurde nach der Hälfte der Zeit immerhin aus Rücksicht auf die Damen auf die Terrasse verlegt, aber auch da ging es lautstark weiter. Manchmal sah es aus, als ob wir nur knapp vor Handgreiflichkeiten stehen (absurderweise ging es grade darum, warum testosterongesteuerte Flüchtlinge in ihren Unterkünften Messerstechereien anfangen. Das ist kein Witz. Aber den Streitenden hier fehlte der Abstand, um zu sehen, wie testosteronstrotzend sie grade selber waren.)

Ist das, was wir Zivilisation nennen und wonach ich mich grade sehr sehne, nur ein unter-den-Teppich-Kehren von unschönen Wahrheiten? Ein unechtes Konstrukt, ein tägliches anstrengendes Zurückdrängen des Neandertalers in uns? Unangemessen für Menschen, die authentisch sie selber sein wollen? Oder sind es nötige Zugeständnisse an unsere Mitmenschen, um das Zusammenleben erträglicher und leichter zu machen? Natürlich ist es das, aber ich will deshalb nicht darauf verzichten. Ich brauche auch nicht ausschliesslich höchste kultivierte Tafelrunden à la „Downton Abbey“ – aber, Mensch, das waren noch Zeiten, als man trotz diametral entgegengesetzter Ansichten für ein paar Stunden höflich miteinander umgehen konnte! Und wusste, wann es Zeit ist, den Mund zu halten!

Ich hätte gern was von dieser Selbstdisziplin, Höflichkeit und inneren Stärke zurück. Ich hab monatelang über das Thema nachgedacht und was ich für Möglichkeiten hätte. Diplomatie? Kann man komplett vergessen. Nur noch Gleichgesinnte einladen? Da wäre unser Bekanntenkreis wirklich und tatsächlich um die Hälfte dezimiert (geht das anderen Leuten auch so? Ist die Gesellschaft wirklich 50 zu 50 gespalten, oder bewegen wir uns in seltsamen Kreisen?!)

Also bleibt: Toleranz. Oder der Versuch davon. Und damit meine ich nicht Toleranz den Flüchtlingen gegenüber, sondern den Menschen, die ich zum Teil schon jahrzehntelang kenne. Das wird verdammt schwer. Wird wohl eher ein Experiment – ich weiss wirklich nicht, ob ich es durchhalte. Ich will mich nicht auch noch selber spalten vor lauter Harmoniesucht und nett sein zu Menschen, deren Einstellung ich überhaupt nicht teile. Und ich weiss auch nicht, wie viel es bringt, wenn ich mich bewusst für etwas entscheide, was mir schwerfällt, die anderen aber munter intolerant gegen alles Mögliche weitermachen und gar nicht bemerken, dass in einer zivilisierten Gesellschaft Anstrengungen von allen Seiten nötig sind.

Einfach nur dasitzen

DSCF8947Ein Mini-Ausflug ins Salzburger Land, überhaupt  nur ein Mini-Ausflug nach Österreich hinein: geschätzte zehn Kilometer hinter Laufen, der Salzach und der Grenze liegt St. Pankraz bei Nussdorf. Die kleine gelbe Barockkirche, die sich in der Höhe eng an den grün bewaldeten Felshang schmiegt, ist eine der Empfehlungen aus den „66 Lieblingsplätzen“, dem Lieblingsreisebuch, das nach der Winterpause jetzt wieder abgestaubt wurde. Schon wenn man durch den gedrungenen Torbogen tritt, versteht man, warum es ein Lieblingsplatz ist: so ein nettes, kleines, geschlossenes Ensemble! Winzig und irgendwie im Puppenformat, obwohl eine ausgewachsene Kirche (oder grosse Kappelle) den DSCF8917Mittelpunkt bildet. Würde man das kleine Torhäuschen mit seinem kleinen Fenster im ersten Stock schliessen, wäre dieses sogenannte Schlössl nur noch aus der Luft zu erreichen. Dabei hätte man nicht das Gefühl, eingeschlossen zu sein, denn die breite Terrasse, die im Buch zu Recht „Balkon“ genannt wird, bietet Platz für viele gediegene Restauranttische. Sie reichen bis kurz vor die Kirchentüre oder schmiegen sich direkt an die Kirchenmauern. Überall, wo es sich anbietet – auf den Kirchenstufen, auf Mäuerchen – ist liebevoll mit diversen Blumentöpfen dekoriert, und im kühlen Salettl standen allerliebste Margeritensträusse auf den Tischen, was aber kaum jemand bemerkte, da jeder den Sonnenschein auf der Terrasse geniessen wollte.

DSCF8935Was für ein süsser, netter Platz, um durchzuatmen. In was für einer Mühle steckt man im Alltag oft drin, in was für einem unmenschlichen Tempo. Und wie wohltuend ist es, einfach mal gar nichts zu tun. Es ist sicher auch phänomenal schön, hier Abend zu essen und den Sonnenuntergang zu geniessen, denn  der Blick geht unendlich weit nach Westen. Jetzt war ich vollkommen zufrieden damit, einfach nur dazusitzen, in den blauen Himmel zu starren und durchzuatmen. Den wunderbaren Zustand zu geniessen, absolut nichts mehr zu wollen oder zu suchen oder zu müssen als einfach nur: hier zu sein. (Das sagt sich leicht nach einem Espresso und Pofesen – da ist man erst mal so zufrieden und bedient, dass man wirklich nicht mehr will.) (Pofesen: ein weiterer erfolgreicher Versuch der österreichischen Nachbarn, auf wenigen Quadratzentimetern so viel Zucker und Fett unterzubringen, dass es schon wieder sündhaft wird. Unbedingt essen!) Der Ort strahlt so einen Frieden aus, so eine Ruhe, und ist auf so originelle Weise von der Welt abgeschieden, dass er allein einen Ausflug wert ist. Leicht aber auch mit anderen Ausflügen nach Salzburg oder in die hübschen Salzachstädte etwas nördlicher kombiniert werden kann.

DSCF8888Streng genommen gehört unser anderer Ausflug nicht mehr in die Rubrik „Salzburger Land“, aber ich muss ihn kurz erwähnen, weil er spektakulär schön war und (auch hier) nur ein paar Kilometer hinter der Grenzlinie des Salzburger Landes liegt: der Gosausee gehört schon zu Oberösterreich. Sonst hätte er möglicherweise eine Chance gehabt, ins Buch zu kommen? Denn ich fand ihn sehr besonders und irgendwie magisch. Und so was von menschenleer, dass es ein ganz spezieller Genuss war. Der lange, dunkelgrüne See liegt auf ungefähr tausend Metern und bietet einen grandiosen Blick auf den weissen Dachsteingletscher, der am Ende aufragt. Aber nicht bedrohlich oder so, sondern einfach schön und irgendwie der Welt enthoben. Und der Kontrast von schneebedeckten Berggipfeln und knallgrünen Wiesen voller bunten Blumen war jetzt im Mai besonders reizvoll. So stelle ich mir Kanada vor: überwältigende Natur und kaum Menschen. Wir liefen nur um den Vorderen Gosausee herum (für den Weg zum Hinteren Gosausee waren wir nicht ausgerüstet genug – ich brauch immer Proviant…), DSCF8890aber das reichte schon für herrliche Eindrücke. Besonders spannend wird es an dem Ende, das am Gletscher liegt: das ist die reinste Wassersymphonie. Mal tröpfelt es leicht in durchsichtigen, zarten Vorhängen über grün bemooste Wände, mal gibt es eine flach zum See abfallende Stelle mit breiten Steinen, an der es direkt gurgelt und tost, dann kommt ein munterer schneller kleiner Bach und an einer Stelle ein Brunnen, aus dem man mit den Händen Wasser schöpfen kann. Und voll Entzücken feststellt: es schmeckt exakt wie wenn man als Kind Schnee gegessen hat. Ganz genau so. Dass Schnee oder Schneewasser tatsächlich einen Geschmack haben kann! Ich wollte, ich hätte eine leer Wasserflasche dabei gehabt, um was von dieser Geschmacksexplosion einfangen zu könne und zu gucken, ob es zuhause immer noch so schmeckt. Oder ob die kühle Bergluft und der Anblick der Schneegipfel den Eindruck verstärkt haben.

Mal wieder das Fazit, mit dem ich langsam wohl langweile: zwei Stunden im Auto bringen einen in eine völlig andere Welt, lassen einen den Alltag vergessen und die Seele richtig auslüften. Ein Tagesausflug dieser Art fühlt sich an wie eine Woche Urlaub.

Die eigene Stimme

DSCF8792Was macht einen guten Klavierspieler, einen bemerkenswerten Musiker aus? Sofort fallen einem mehr oder weniger leicht vermittelbare, physikalisch erklärbare Parameter ein, die sich Interessierte mit der nötigen Disziplin aneignen können: gut trainierte, kräftige Finger, rhythmische Sicherheit, Klangschönheit, die stilsichere Interpretation von Werken unterschiedlicher Epochen, gekonnter Pedalgebrauch, souveränes und sicheres Auftreten auf der Bühne. Zu diesem letzten Punkt gehört ganz wesentlich ein anderer, wichtiger Begriff, der leicht schwammig wirken könnte – ohne den aber alles andere wertlos wäre: dass jemand eine eigene Stimme hat. Und sich auch traut, die hören zu lassen. Sofort wird aus einem guten oder sehr guten oder makellosen Klavierspieler einer, der im Gedächtnis bleibt, weil er einen auf eine ganz bestimmte und persönliche Art berührt hat. Weil er sich selber getraut hat, viel von sich preiszugeben, sich damit verletzlich gemacht hat und uns dadurch an Stellen trifft, an denen wir verletzlich sind.

Nur – wie bringt man das jemand bei? Wie stärkt man das Selbstbewusstsein von Schülern, die vielleicht eher zu den Stillen, Unauffälligen in einer Gruppe gehören? Oder von denen man über die Jahre mitkriegt, dass sie von Eltern systematisch kleingehalten werden? Äusserungen wie „ich hab’s ja gewusst“ oder „ich hab ja nur drauf gewartet, dass die Stelle schief geht“ tun mir im Herzen weh. Wie muss es da nur den Angesprochenen gehen, die möglicherweise rund um die Uhr solcher Kritik ausgesetzt sind.

Besonders schrillen die Alarmglocken bei mir, wenn jemand sein Kind nicht mal selber antworten lässt. Das kommt seltsamerweise häufiger vor, als man denkt – obwohl es an Unhöflichkeit kaum zu überbieten ist, wenn man jemand auf diese Art der eigenen Stimme beraubt. Und es signalisiert dem Kind: du bist es nicht wert, gehört zu werden. Ich kenne die Situation, dass ich, wenn die Eltern im Raum sind, das Kind etwas frage und die Eltern antworten. Einmal gab es an einem Tag der offenen Tür noch eine Steigerung: da kamen nicht nur Mutter und Kind, sondern die Grossmutter noch dazu. Das Kind sass stumm neben mir am Klavier und hat nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht. Meine Fragen hat grundsätzlich die Mutter beantwortet beziehungsweise die Grossmutter, oft noch mal in korrigierender Weise. Da wurde eindrucksvoll sichtbar, wie Unterdrücken und Kleinhalten von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Ignorieren der beiden war zwecklos, und es standen so viele Kinder an, dass ich das unselige Dreieck irgendwann wegschickte. Doch die paar Minuten hatten mich so mitgenommen, als hätte ich eine ausweglose griechische Tragödie hautnah miterlebt.

DSCF8793Glücklicherweise sind das schauerliche Ausnahmen. Und das Gegenteil gibt es schon auch – dass Kinder eine so ausgeprägte Meinung von sich und ein so grosses Selbstbewusstsein haben, dass der Unterricht deshalb schwierig wird. Aber jetzt die ganz „Normalen“, die ganz normal Lampenfieber haben oder lieber etwas leiser spielen, weil dann die eventuellen Fehler auch gleich leiser sind und weniger auffallen: wie kann man die stärken? Es geht wunderbar leicht so im Einzelunterricht und an einem Instrument. Und es erfordert sicher weniger Mut, da experimentierfreudig zu sein, als wenn man sich zum Beispiel vor der ganzen Klasse hervortun soll. Oft geht es ja nur darum, überhaupt hörbar seine Meinung zu äussern. Eine Linie in der rechten Hand nicht nur irgendwie zu spielen, sondern ganz klar und plastisch herauszubringen. Und dem ersten Versuch noch zehn weiter folgen zu lassen, denn ein bisschen mehr geht immer noch, und noch mal lauter, und noch strahlender… bis es ein Aha-Erlebnis gibt. Und man auch merkt: man darf ja viel, viel mehr, als man gedacht hat! Und in einem grösseren Raum oder Konzertsaal noch mal mehr! Das wäre ein Ansatzpunkt, erst mal über die ganz einfache messbare Lautstärke Selbstbewusstsein zu bekommen.

Wichtig ist auch, die Kinder im Rahmen der Möglichkeiten viel selber entscheiden zu lassen. Es gibt eine solche Bandbreite an Entscheidungen, die ein Stück anders und individueller klingen lassen, und die muss man erst mal vorstellen und durchprobieren lassen, bevor man dem Schüler die Wahl überlässt. Allein das Tempo kann ganz andere Welten eröffnen, oder, wenn es zum Komponisten passt, der freiere Umgang mit dem Tempo mitten im Stück. Es gibt so viele Möglichkeiten, ein Stück ganz zu seinem eigenen zu machen, und ich bin immer dankbar, wenn ich es ständig ein bisschen anders höre und vielleicht im Konzert mit einer noch mal anderen Version überrascht werde. Wenn man gewisse Regeln (naja, einen Wust von Regeln!) beachtet und sich einigermassen auskennt mit einzelnen Komponisten, gibt es quasi kein richtig oder falsch: was überzeugend rüberkommt, ist auf seine Art richtig. Das mag beliebig klingen oder Schluderigkeit Tür und Tor öffnen, aber so meine ich es nicht. Und ich fürchte, meine Schüler wissen inzwischen, wie ich es meine… Trotzdem gibt es in einem gewissen Umfang viel Freiheit, und ich bin froh um jeden, der Gebrauch von dieser Freiheit macht. Ich sage jedem, dass seine Stimme, sein Beitrag heute abend, wichtig ist. Enorm wichtig. Und dass wir das feiern durch besondere Kleidung, eine besondere Konzentration und Ruhe, und indem wir uns besonders reinlegen. Und – es wirkt.

DSCF8800Mein Schülerkonzert diese Woche war einfach nur beglückend. Einer der schönsten Abende, seit ich Schüler habe. Weil alle so frei, gelöst und angstfrei spielten. Das fand ich bemerkenswert. Manchmal gibt es doch Zitterpartien, nach denen man als Lehrer mindestens so schweissnass ist wie der, der vorne am Flügel sass. Gestern überhaupt nicht, es war klangvolle Freiheit pur. Das könnte auch daran gelegen haben, dass ich jeden sein Stück selber wählen liess. Ambitionierte Themenkonzerte sind gut und schön, aber vielleicht eher für den Lehrer schön. Meine armen Gymnasiumsschüler sind ohnehin einem rigiden Lehrplan unterworfen und müssen vier Mal im Jahr Pflichtstücke spielen, ob sie wollen oder nicht. Das Wunschkonzert gestern hat noch mal andere Energien freigesetzt und ich hab tatsächlich andere, bisher unbekannte Facetten der jeweiligen Stimmen gehört. Aber ich hab vor allem die Stimme von jedem gehört, hier in dem kleinen Bereich. Das heisst, sie sind sich bewusst, wer sie sind und was sie vermögen. Vielleicht erinnern sie sich bei anderen Gelegenheiten daran, wie stark sie sind.