Archiv der Kategorie: unterwegs im Salzburger Land

Verwunschen

DSCF9237Drückende, schwer lastende Sommerhitze, wie es sie nur an einem Julinachmittag kurz vor einem Gewitter gibt. Eine wildwachsende Moorwiese, gesprenkelt mit lilanen, gelben und weissen Blütentupfern und träge umschwirrt von dicken Insekten. Schwalben, die tief über die Wiese und den See flattern. Und vor uns ein seltsam schiefes Ensemble von offensichtlich immer neu dazugebauten hohen Anbauten – es könnte ein Schloss sein, wenn es etwas einheitlicher wäre und die einzelnen Gebäudeabschnitte nicht in verschiedenen Farben gestrichen wären. Links ist ein einzelnes Torhaus in einer breiten, behäbigen Architektur, das man über eine Brücke erreicht. Dann kommt die Kirche mit Turm, und gleich daran anschliessend die scheinbar nicht zusammenpassenden Gebäudeteile, die sich im Viertelkreis auf die kleine Insel im See schmiegen. An den steilen Hängen weiden Kühe, über die Hügel versprenkelt liegen ein paar malerische alte Bauernhäuser. Aber das ist schon alles, was von einem zusammenhängenden Ortskern zu sehen wäre.

DSCF9241Die Hitze wabert in Schwaden um uns. Eigentlich ist es zu warm, um hier in der Sonne auf einer Bank zu sitzen. Aber auch zu schön, um wegzugehen. Je länger ich leicht dösend auf das wunderhübsche Gebäudeensemble schaue, desto mehr verschwimmen Wirklichkeit und Phantasie. Dieses Torhaus kenne ich doch irgendwie – war es vielleicht in einem meiner Kinder- Märchenbücher? Und kommt da nicht Gänseliesel mit ihrem Stab aus dem schattigen Tor und führt die schnatternden Gänse über die Brücke zum See? Und da oben, in dem ersten Turm, sitzt da nicht Rapunzel? Und da drüben könnte Dornröschen schlafen… Will ich lieber eine Nixe zwischen den dunkelgrünen Blättern der Seerosen sein oder ein Prinz auf einem weissen Pferd? Es ist so unglaublich ruhig und beschaulich und eingeschlafen hier, dass man denken könnte, man sei durch eine Lücke in Zeit und Raum plötzlich vierhundert Jahre früher wieder aufgewacht. (Vielleicht eine Wirkung des Untersbergs in der Nähe, auf dem so was häufiger vorkommen soll?).

DSCF9256Dabei tost eine der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands nur ein paar Kilometer entfernt vorbei. Dank der Hügel um uns herum und der Senke, in der der See liegt, hören wir überhaupt nichts davon. Und eigentlich verdanken wir die Entdeckung dieses verzauberten Märchenorts nur meiner Verfressenheit: wir wollten spontan nach Salzburg, hatten nicht gefrühstückt und keine Lust, gleich als ersten Programmpunkt in ein Restaurant einzufallen. Also kaufte ich beim Bäcker belegte Semmeln mit Tomate und Mozzarella – die sich bei näherer Inspektion als nicht im Auto-essbar herausstellten, weder für Fahrer noch für Beifahrer. Also sagte ich, genau so spontan wie der ganze Ausflug entstanden war, auf der Landstrasse zwischen Traunstein und Salzburg: „fahr mal da oben auf dem Berg rechts raus, wo wir eine Aussicht haben, und dann essen wir die Dinger da.“ Es gab eine Abzweigung oben rechts, aber dummerweise führte die Strasse  nur bergab und es gab keine Parkmöglichkeit. Wir waren so auf den Bergblick fixiert, dass wir das Kloster am See unten völlig übersahen. Hatten sogar so dicke Scheuklappen, dass wir sagten: wie gut, ein grosser Parkplatz, da können wir wenden. Und dabei erst sahen wir das hübsche alte Torhaus… und den Kirchturm… und überhaupt. Ein Hoch auf spontane Planänderungen! Wir hätten diesen magisch schönen Märchenort sonst nie entdeckt und wären am Ende noch jahrelang auf dieser wenig befahrenen, angenehmen Strasse gefahren, ohne zu wissen, was sich da für ein Kleinod versteckt.

DSCF9261Im Lauf des Besuchs kriegen wir raus, dass wir uns in Höglwörth befinden, einem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift, das ab 1125 von Salzburg aus besiedelt wurde. Aus der Zeit stammt auch die erste Klosteranlage, die dann im Barock umgebaut wurde – alles auf „unregelmässigem Grundriss“. (Ich freue mich immer, wenn der Dehio auf diese Phrase zurückgreifen muss, wo er doch sonst die spinnenartig – geometrisch – perfekten Grundrisszeichnungen so liebt. „Unregelmässig“ heisst: hier wird’s richtig interessant!) Der schiefe und krumme Innenhof ist so was von charmant – ungefähr zwei trapezförmige Innenhöfe, die L-förmig aneinanderstossen, aber alles überhaupt nicht ausgezirkelt und ganz offensichtlich so gut wie möglich angepasst an die Halbinsellage. Und das Pflaster! Ich konnte nicht genug davon kriegen. Noch individueller und unregelmässiger als die ganze Anlage zusammen, denn es besteht ausschliesslich aus riesengrossen runden Katzenkopfsteinen. Ich kann mir kaum vorstellen, was das für eine Arbeit war. Nicht nur das Verlegen, sondern erst mal das Sammeln von Hunderten ungefähr gleichgrosser Steine. Obwohl der Hof wie verzaubert im Sommermittagsschlaf liegt und der kleine Nepomuk-Brunnen in der Ecke einschläfernd plätschert, lasse ich mich nicht einlullen, sondern sprinte zum Auto zurück, um die Kamera zu holen. Ich möchte und muss es festhalten, wie man mit dem, was man hat, und mit Rücksicht auf die örtlichen Gegebenheiten so viel Schönheit erschaffen kann. Es gibt berühmtere, geradere, abgezirkeltere Bauwerke, die uns durch ihre symmetrische Schönheit und Ausgewogenheit in ihren Bann ziehen. Höglwörth wird da wohl nie dazugehören. Aber der besondere  Bann von hier ist mindestens ebenso stark und nachhaltig.

(Weil es erst 1816 zu Bayern kam und Salzburg nur 20 km entfernt ist, wird dieser Ort in die „Salzburger Land“- Kategorie geschmuggelt…)

Einfach nur dasitzen

DSCF8947Ein Mini-Ausflug ins Salzburger Land, überhaupt  nur ein Mini-Ausflug nach Österreich hinein: geschätzte zehn Kilometer hinter Laufen, der Salzach und der Grenze liegt St. Pankraz bei Nussdorf. Die kleine gelbe Barockkirche, die sich in der Höhe eng an den grün bewaldeten Felshang schmiegt, ist eine der Empfehlungen aus den „66 Lieblingsplätzen“, dem Lieblingsreisebuch, das nach der Winterpause jetzt wieder abgestaubt wurde. Schon wenn man durch den gedrungenen Torbogen tritt, versteht man, warum es ein Lieblingsplatz ist: so ein nettes, kleines, geschlossenes Ensemble! Winzig und irgendwie im Puppenformat, obwohl eine ausgewachsene Kirche (oder grosse Kappelle) den DSCF8917Mittelpunkt bildet. Würde man das kleine Torhäuschen mit seinem kleinen Fenster im ersten Stock schliessen, wäre dieses sogenannte Schlössl nur noch aus der Luft zu erreichen. Dabei hätte man nicht das Gefühl, eingeschlossen zu sein, denn die breite Terrasse, die im Buch zu Recht „Balkon“ genannt wird, bietet Platz für viele gediegene Restauranttische. Sie reichen bis kurz vor die Kirchentüre oder schmiegen sich direkt an die Kirchenmauern. Überall, wo es sich anbietet – auf den Kirchenstufen, auf Mäuerchen – ist liebevoll mit diversen Blumentöpfen dekoriert, und im kühlen Salettl standen allerliebste Margeritensträusse auf den Tischen, was aber kaum jemand bemerkte, da jeder den Sonnenschein auf der Terrasse geniessen wollte.

DSCF8935Was für ein süsser, netter Platz, um durchzuatmen. In was für einer Mühle steckt man im Alltag oft drin, in was für einem unmenschlichen Tempo. Und wie wohltuend ist es, einfach mal gar nichts zu tun. Es ist sicher auch phänomenal schön, hier Abend zu essen und den Sonnenuntergang zu geniessen, denn  der Blick geht unendlich weit nach Westen. Jetzt war ich vollkommen zufrieden damit, einfach nur dazusitzen, in den blauen Himmel zu starren und durchzuatmen. Den wunderbaren Zustand zu geniessen, absolut nichts mehr zu wollen oder zu suchen oder zu müssen als einfach nur: hier zu sein. (Das sagt sich leicht nach einem Espresso und Pofesen – da ist man erst mal so zufrieden und bedient, dass man wirklich nicht mehr will.) (Pofesen: ein weiterer erfolgreicher Versuch der österreichischen Nachbarn, auf wenigen Quadratzentimetern so viel Zucker und Fett unterzubringen, dass es schon wieder sündhaft wird. Unbedingt essen!) Der Ort strahlt so einen Frieden aus, so eine Ruhe, und ist auf so originelle Weise von der Welt abgeschieden, dass er allein einen Ausflug wert ist. Leicht aber auch mit anderen Ausflügen nach Salzburg oder in die hübschen Salzachstädte etwas nördlicher kombiniert werden kann.

DSCF8888Streng genommen gehört unser anderer Ausflug nicht mehr in die Rubrik „Salzburger Land“, aber ich muss ihn kurz erwähnen, weil er spektakulär schön war und (auch hier) nur ein paar Kilometer hinter der Grenzlinie des Salzburger Landes liegt: der Gosausee gehört schon zu Oberösterreich. Sonst hätte er möglicherweise eine Chance gehabt, ins Buch zu kommen? Denn ich fand ihn sehr besonders und irgendwie magisch. Und so was von menschenleer, dass es ein ganz spezieller Genuss war. Der lange, dunkelgrüne See liegt auf ungefähr tausend Metern und bietet einen grandiosen Blick auf den weissen Dachsteingletscher, der am Ende aufragt. Aber nicht bedrohlich oder so, sondern einfach schön und irgendwie der Welt enthoben. Und der Kontrast von schneebedeckten Berggipfeln und knallgrünen Wiesen voller bunten Blumen war jetzt im Mai besonders reizvoll. So stelle ich mir Kanada vor: überwältigende Natur und kaum Menschen. Wir liefen nur um den Vorderen Gosausee herum (für den Weg zum Hinteren Gosausee waren wir nicht ausgerüstet genug – ich brauch immer Proviant…), DSCF8890aber das reichte schon für herrliche Eindrücke. Besonders spannend wird es an dem Ende, das am Gletscher liegt: das ist die reinste Wassersymphonie. Mal tröpfelt es leicht in durchsichtigen, zarten Vorhängen über grün bemooste Wände, mal gibt es eine flach zum See abfallende Stelle mit breiten Steinen, an der es direkt gurgelt und tost, dann kommt ein munterer schneller kleiner Bach und an einer Stelle ein Brunnen, aus dem man mit den Händen Wasser schöpfen kann. Und voll Entzücken feststellt: es schmeckt exakt wie wenn man als Kind Schnee gegessen hat. Ganz genau so. Dass Schnee oder Schneewasser tatsächlich einen Geschmack haben kann! Ich wollte, ich hätte eine leer Wasserflasche dabei gehabt, um was von dieser Geschmacksexplosion einfangen zu könne und zu gucken, ob es zuhause immer noch so schmeckt. Oder ob die kühle Bergluft und der Anblick der Schneegipfel den Eindruck verstärkt haben.

Mal wieder das Fazit, mit dem ich langsam wohl langweile: zwei Stunden im Auto bringen einen in eine völlig andere Welt, lassen einen den Alltag vergessen und die Seele richtig auslüften. Ein Tagesausflug dieser Art fühlt sich an wie eine Woche Urlaub.

Glücksplatz

DSCF8384Falls ich mich irgendwann mal komplett vor der Welt verstecken will, ausatmen, ein paar Tage wirklich und wahrhaftig die Seele baumeln lassen will – dann würde ich mich nach Goldegg begeben. Jetzt war ich hingefahren auf ehrgeiziger Entdeckungstour. Goldegg war nur einer von mehreren Orten, die ich mir anschauen wollte, hauptsächlich wegen des Sees und der Moorbadeanstalt von 1912 aus Franziskas Buch. Ich hatte nicht geahnt, dass meine Seele derartig ausschlagen würde. Sie ist ja immer schnell begeistert, wenn Wasser in der Nähe ist, und an diesem heissen Samstag sehnte ich mich nach der Wanderung auf der „Sonnenterrasse“ unglaublich nach einer Abkühlung. Aber dann fühlte sich noch mal alles anders an, als ich in dem dunkelgrünen Wasser von einem Ende des kleinen Sees bis zum anderen und wieder zurück schwamm. Vom Ort hatte ich bisher nur die Kirche und das Schloss aus der Ferne gesehen, die hinter dem Schilf aufragten. Mit jeder Viertelstunde, die vom Kirchturm erklang, wurde ich ruhiger und glücklicher. Ich schwamm und schwamm und spürte einen inneren Frieden wie schon lange nicht mehr. Hatte das beglückende Gefühl, wirklich bei mir anzukommen und völlig eins mit mir zu sein, und noch dazu auf so wunderbare Weise umgeben von meinem Lieblingselement. Und schon dort dachte ich, es müsste eigentlich perfekt sein, bei passendem Wetter ein paar Tage hier zu wohnen und nichts zu tun ausser Schwimmen, Essen und Lesen.

DSCF8405Nachdem ich mich endlich vom leicht glitschigen Moorwasser losgerissen hatte, beschloss ich, noch kurz durch das Örtchen zu schlendern. Wie gut, dass ich nicht gleich weiter gefahren bin – Goldegg ist der bisher zauberhafteste und allerschönste Ort, den ich auf meinen Touren rund um Salzburg kennengelernt habe. Fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, denkt man im ersten Moment – aber es ist kein Museumsdorf und auch nicht so perfekt, wie es auf den ersten Blick wirkt. Ein bisschen Patina trägt dazu bei, dass das unglaublich geschlossene Ensemble alter, liebevoll verzierter Holzhäuser an der Hofmark trotzdem lebendig und belebt wirkt. Die Bauerngärten zwischen den Häusern, die Vorgärten, Rosenbögen, markanten alten Sträucher an einer Hausecke quollen jetzt im Hochsommer über von leuchtenden Farben: ein kobaltblauer Rittersporn neigte sich über den Holzzaun, dahinter sattrote Rosen an der Wand und dunkelrote Stockrosen im Beet. Weisse Hortensien und weisser Phlox strahlten über einem perfekt gepflegten Rasen. Die ganze Farbpalette war vertreten – es war das reinste Fest für die Augen und würde selbst dem hübschesten englischen Cottagegarten echte Konkurrenz machen. Was für eine Entdeckung.

DSCF8404Und ein paar Schritte weiter noch eine Entdeckung: der Seehof, ein Hotel in einem behäbigen alten Haus. Ein paar Schritte von der wunderbaren Badeanstalt… Mein wahrgewordener Traum! Und, wie ich zuhause im Netz feststellen konnte, tatsächlich ein Traumhotel mit ganz unterschiedlich eingerichteten Zimmern, die alle ein eigenes Thema haben. Und einem blauen Lesesalon, für den regelmässig alle Suhrkamp-Neuerscheinungen angeschafft werden. Das gibt’s doch nicht! Lesen und Schwimmen! Jetzt noch ein Klavier, und ich würde es sicher auch zwei Wochen aushalten in Goldegg. Weiss aber nicht, was das mit mir anstellen würde – ich fühle mich schon nach den drei Stunden derart verzaubert und beglückt, dass es kaum mit rechten Dingen zugehen kann.

Ich finde, in der Neuauflage der „66 Lieblingsplätze“ sollte Goldegg vom Wasserkapitel ins Kapitel mit den Glücksplätzen verschoben werden!

Seelenbaumeln

DSCF8372Es ist Samstagnachmittag, ein strahlender, warmer Tag. Ich sitze in St. Veit auf meiner Picknickdecke unter einer grossen schattigen Buche, Omas Damastserviette auf dem Schoss, esse eine österreichische Semmel, Käse, Cocktailtomaten und die herrlichsten, dicksten Herzkirschen aus der Steiermark. Über mir lugt der dunkelbraune Holzgiebel der Klinik, in der Thomas Bernhard seine Tuberkulose kurierte, über den Hang, darüber leuchtet knallblauer Himmel. Ich bin im Salzburger Land und einfach glücklich, dass ich gefahren bin.

Nachdem mein Schülerkonzert vorbei ist und die heissen Sommertage anhalten, hatte ich extreme Reiselust und wollte einfach was Nettes machen, auch wenn die Ferien noch ein paar Wochen weg sind. Alle meine nahen Menschen zogen es vor, was anderes vorzuhaben/ Dienst zu haben/ am Wochenende in die Chorprobe zu gehen. Fast hätte ich mich wieder für die heimischen Seen entschieden – aber was solls, allein wegfahren hat viele Vorteile, und mein Autole zappelt schon, wenn es hört, dass es wieder nach Österreich fahren darf. Und es ist der perfekte Reisebegleiter: quasselt nicht, ist die Zuverlässigkeit in Person und wartet geduldig an jedem Badesee, in den ich springen muss. Und findet den Weg nach Süden inzwischen fast von selbst. Ein gefühlter Katzensprung von Bad Reichenhall, und man ist in einer traumhaft anderen Landschaft, in der die Seele wirklich baumeln kann.

DSCF8421Mit dem Lieblingsreiseführer habe ich mir eine ziemlich vollgepackte Tour im Pongau zusammengestellt. Warum nicht, wenn ich schon mal da bin. Und ich bin ja immer noch am Sondieren und Kennenlernen und stelle fest: es geht nicht nur um das aktuelle Erleben, sondern auch Herausfiltern, was mir am Besten gefällt. An welche Orte ich vielleicht mal für länger zurückkommen will. Ausgehend von der Liechtensteinklamm, die mit ihrem türkisen Wasser für einen heissen Sommertag sehr verlockend aussah, habe ich mich entschieden, in St. Johann im Pongau zu übernachten und Franziskas Lieblingsplätze rundherum zu besuchen.  Zwei waren schön und interessant, aber ich muss sie nicht noch mal sehen: der Thomas-Bernhard-Wanderweg in St. Veit ist wahrscheinlich für echte Bernhard-Fans ein Muss, für mich war es nur ein mehr oder weniger netter Spaziergang (im Neubaugebiet, das es zu Bernhards Zeiten wahrscheinlich noch nicht gab, hab ich ziemlich Gas gegeben – vielleicht hab ich deshalb nur 60 statt der veranschlagten 90 Minuten für den Weg gebraucht?). St. Veit nennt sich zu Recht „Salzburgs Sonnenterrasse“ und mir war es so ganz ohne Schatten einfach auch zu heiss. Was an der Tageszeit gelegen haben könnte… Verblüffend war, wie schnell man zu Fuss Distanzen überwindet. Vom Klinikgelände aus kommt einem die Pfarrkirche auf dem anderen Hügel wirklich weit weg vor, aber im Nu ist man dort und sieht das breitgezogene Krankenhaus scheinbar in ziemlicher Ferne liegen. Doch nach einer halben Stunde ist man wieder dort.

Das andere nicht sensationelle, aber schöne Erlebnis war der hochgelegene Friedhof in Hüttschlag. Der Ort liegt am Ende des Grossarltals, und die Landschaft ist schon sehr, sehr schön und lieblich. Das besondere an dem Friedhof rund um die Kirche sind seine schmiedeeisernen Grabkreuze – andere Grabsteine gibt es nicht. Und eben der Ausblick auf die Bergwelt hier am Talschluss. (Ich hab übrigens mal wieder den Grossglockner gesehen – glaube ich… Was Spitzes, Hohes mit Schnee drauf…) Aber auch hier war pralle Sonne, und Hüttschlag war seltsam ausgestorben. Wahrscheinlich ist es spannender, wenn man gezielt zum Wandern herkommt. Ich hab mich ein bisschen umgesehen und es gibt zahlreiche kleine gelbe Tourenschilder.

Und noch was aus dem Buch, was ich quasi nur im Vorbeifahren angeschaut habe: am Heimweg dachte ich, ich fahre anders und von Bischofshofen über Dienten nach Saalfelden, um den Hochkönig mal zu sehen. Fast 3000 Meter hoch, sechs Stunden Aufstieg – so was mach ich eh nicht. Aber angucken wollte ich diesen höchsten Berg der Berchtesgadener Alpen doch mal. Ich hatte keine Ahnung, dass die Strasse so steil ist: Grossglocknermässig musste ich das Auto im 2. Gang röhrend hochjagen. Aber es hat sich gelohnt: das Hochkönigmassiv ist grandios. Und ich mag es, wenn die Nadelbäume immer spärlicher und die Felsen mehr werden – komme mir vor wie in Kanada.

DSCF8410In aufsteigender Sensationsreihenfolge kriegt die Liechtensteinklamm den vorletzten Platz: perfekt für einen heissen Tag, und schon enorm imposant. Für mich als Musikerin war die Geräuschkulisse besonders beeindruckend, an das werde ich mich auch immer erinnern, wenn ich an die Klamm denke: ein meistens ohrenbetäubendes Tosen, Gurgeln und Rauschen, bis man am Ende des Wegs den nicht minder lauten grossen Wasserfall erreicht. Was für eine Idee, in dieser Wildnis und Wildheit Stege und Treppen zu bauen, damit auch normale Menschen dieses Naturwunder erleben können! Die Stege sind übrigens nichts für Leute mit Höhenangst – es war halb zehn morgens und wirklich kühl in der engen Schlucht, aber ich war mal wieder schweissgebadet. Ich fürchte, das wird nichts mehr. Hat doch der Desensibilisierungsversuch letztes Jahr am Schafberg so gar nicht hingehaut… Ich wollte ungefähr drei Mal umkehren und musste mir gut zureden mit „nur noch ein Schritt, und noch einer, und nicht runter schauen…“ Gut war, dass ich dank Übernachtung sehr früh dran war und die Schlucht praktisch für mich hatte. Am Rückweg drängten sich wirklich Busladungen voll Tagestouristen rein und mir wurde mehr als einmal anders angesichts der Körperfülle von einigen. An manchen Brücken und Stegen steht das  – wenig vertrauenerweckende -„Bitte Ansammlungen auf den Stegen vermeiden!“, und ich fürchte, zwei von den beleibteren Exemplaren muss man schon als „Ansammlung“ betrachten. Wenn dann noch ich auf den Steg gegangen wäre, hätte es eine Katastrophe gegeben.

Ganz oben aufs Siegertreppchen der Reise kommt Goldegg. Gold für Goldegg… Ein wahrlich zauberhafter Ort, der bald einen eigenen Artikel kriegt.

Aufgetankt

dolce vitaWas wäre, wenn man wirklich mal einen Tag lebt, als wäre es der erste, letzte und einzige kostbare Tag, den man hat? Wenn man es sich nicht nur vornimmt wie schon oft, sondern es einfach aus ganzem Herzen tut und jede Sekunde bewusst geniesst? Und selber staunt, wie reich man wird, wenn man still und ruhig wird, gleichzeitig ständig in Bewegung ist. Faul im Liegestuhl sitzt und davor und danach ganz viel Staub auf den Schuhen sammelt beim Stadt- und Alleelaufen. Auf Wanderwegen keucht und minutenlang stumm vor Ehrfurcht an einem einsamen Wasserfall sitzt. Die sündigsten Torten isst und gleichzeitig denkt: aber ab nächster Woche… Kurz: alles, was man liebt und gern tut, in einen intensiven Tag packt und trotz Sinnesüberflutung denkt, man will noch mehr. Warum macht man das nicht öfter? Die Seele ist nachhaltig beglückt und man spürt so viel mehr Energie und Lebensfreude, als wenn man sich zuhause auf dem Sofa schont.

NonntalIrgendwie fällt mir bei den österreichischen Nachbarn das Abschalten leichter. Selbst wenn es nur ein Stündchen mit dem Auto ist, habe ich beim Passieren von Landesgrenzen das Gefühl, ich kann alles hinter mir lassen und bin für nichts verantwortlich. Ungeputzte Fenster, Säcke voller Gartenabfälle, die zum Wertstoffhof müssen, Unterrichtsvorbereitung – geht jetzt nicht, weil ich im Ausland bin und da ein Cappuccino mit Bergblick für mich steht. Ich kann besser entspannen, wenn ich mich selbst so überliste.

Salzburg ist und bleibt meine Herzensstadt. Und das Lieblingsbuch vom letzten Jahr steht auch dieses Jahr hoch im Kurs – zur Saisoneröffnung gab es einen idyllischen Mühlenwanderung zu fünf historischen Mühlen in Ebenau. Ständig gurgelt und rauscht es, das Wasser glitzert in der Sonne und die Hänge waren übersät von wilden Christrosen – Schneerosen heissen sie hier. Am Ende des Weges wird die Schlucht immer höher und schmaler. Dass dann noch so ein riesiger weisser Wasserfall vor einem auftaucht, nimmt einem fast den Atem. Der Platz dort ist unglaublich stimmungsvoll, weil er so geschlossen wirkt durch die Felsen rundherum und dem hohen Wasserfall fast in der Mitte. Wie ein Ausschnitt aus einer Kathedrale, und genau so symmetrisch und anscheinend wohl geplant. Selten hatte ich so sehr das Gefühl, im Freien urplötzlich an einem „heiligen“ Ort zu sein. Klingt sehr esoterisch, ich weiss, aber man muss es erleben. Was auch zu dieser Stimmung beitrug, war die Einsamkeit und völlige Stille dort. Möglicherweise ist das im Sommer anders, zumal das flache Kiesbecken absolut zum Baden einlädt. Aber jetzt war es ruhig und einsam, und gerade deshalb habe ich hier viel mehr die Kraft und Energie des Wassers gespürt, das seit UntersbergJahrtausenden über diesen Felsen fällt, als an den touristenumtosten Krimmler Wasserfällen. Plötz ist tatsächlich ein Ort zum Auftanken. Der unerwartete, fast mystische Zauber dieser Stelle hat mich ganz seltsam angeweht. Ich denke mir: falls man im Leben mal an einen Punkt kommt, an dem man mit einem Ritual alles hinter sich lassen, sich reinwaschen und völlig neu anfangen möchte – dann wäre das hier der Ort. Und ganz ohne sich tatsächlich unter den Wasserfall zu stellen. Die Kraft ist so stark, dass es wahrscheinlich schon reicht, einfach am Rand zu sitzen. Und falls mal die kreativen Quellen versiegen sollten – hier ist die Aufladestation. Definitiv! Zur Zeit geht’s mir gut, in mir sprudelt und gurgelt es wie in den kleinen Mühlbächen hinter dem Wasserfall und ich muss eher überlegen, in welche Kanäle ich meine Ideen lenke. Aber sollte es mal eine Blockade geben, weiss ich, wo ich hingehen kann… (Und die Freundin seufzt: „Klavierlehrerinnen, ich sag’s ja… Ich bring dich dann mal in einer Vollmondnacht hier her.“)

Bist narrisch?

DSCF7766Österreich – das sind für mich die Jugendstilphantasien von Klimt und Dehmel. Mahler, Schnitzler, Stefan Zweig und Konsorten lassen mein Herz höher schlagen und haben Halbgötter-Status. Opernbesuche in Salzburg und Wien waren jahrelang der einzige Grund, nach Österreich zu reisen. Bergschuhe und Rucksack? Niemals! Österreich als Urlaubsland stand so was von ausserhalb jeder Debatte, dass ich nie ernsthaft daran dachte und nur meine Vorurteile pflegte. Für mich war es das klassische Rentner – und Wohnmobilbesitzer-Ziel: Zeitgenossen, die schon so spiessig sind, dass sie möglichst nah am Vertrauten bleiben wollen und sich auch nicht mit einer anderen Sprache abgeben wollen.

Meine zwei österreichischen Freundinnen haben mich unbeabsichtigt, aber äusserst erfolgreich meine Einstellung komplett revidieren lassen. Ich staune selber, dass man in meinem vorgerückten Alter noch mal aus seinem Trott gerissen werden kann. (Vielleicht bedeutet es aber auch, dass ich mich geistig dem Rentenalter nähere?!) Ich war auf jeden Fall im letzten Jahr so oft in Österreich wie noch nie im Leben. Die Pkw-Maut ist für mich kein Diskussionsstoff, sondern Realität. Meine Landkarte ist vom vielen Auf- und Zufalten so zerfleddert und löchrig, dass ich bald eine neue anschaffen sollte. Ich weiss jetzt, was Schiwasser und Honigreinkerln sind und jubiliere trotzdem noch innerlich, wenn ich jemand in einer Unterhaltung „bist narrisch?“ sagen höre. Es ist einfach ein nettes, charmantes Land, und zudem ein Paradies für Vegetarierer mit den ganzen Spinatnocken, Gemüsestrudeln, Kaspressknödeln und Schlipfkrapfen…

DSCF7739Und deshalb habe ich selbst den vielbeschäftigten Gatten in missionarischem Eifer am langen Einheitswochenende über die Grenze geschleppt. Und es war wie an meinem Geburtstagswochenende: lockere 130 km von der Haustür stiegen wir am Pass Thurn aus dem Auto und hatten eine derartig atemberaubend wunderschöne Aussicht auf die Hohen Tauern, dass wir uns die erste halbe Stunde nur ständig gegenseitig bestätigten, wie traumhaft schön es hier ist. Wir sassen einfach auf einer einsamen Bank und waren platt. Der Himmel strahlte intensiver blau im herbstlichen Nachmittagslicht als noch im Juli, einige Bäume leuchteten schon golden und trotzdem waren die Wiesen satt grün.

Was natürlich enorm zum Gelingen des Wochenendes beitrug, waren die fünf Katzen der Ferienwohnung, die wir gemietet hatten. Kaum liess man die Tür einen Spalt auf, waren sie da. Eine verschmuster und süsser als die andere. Und abends kuschelten sie sich an uns auf dem Sofa und schliefen richtig ein, als wären sie unsere Katzen.

Wieder bin ich völlig erstaunt und dankbar, wie viel Schönes man in drei Tagen erleben kann. Die Panoramawanderung auf dem Sonnberg war voll von einfach atemberaubenden Ausblicken. Und die ganzen drei Stunden wurden wir von einem freundlichen Hund begleitet, der jede Kuh zu kennen schien und in Wegkehren geduldig mit spitzen Ohren auf uns wartete, wenn wir schon wieder die Aussicht anschauen mussten. Oder der dichte, sahnig-weisse Nebelwurm, der am Sonntagmorgen der Salzach folgend über das ganze Tal gebreitet war – von unserem Balkon, der 300 Meter über dem Tal lag, sah man ihn in seiner ganzen länglichen Ausdehnung, an den Rändern schon zart sich auflösend, und die Berge darüber leuchteten klar im Morgenlicht. Ich liebe doch Nebel. Aber so einen grandiosen habe ich noch nie gesehen, direkt greifbar und wie ein gigantisches lebendiges Wesen. Und von der anfangs noch rosigen Morgensonne bestrahlt. Wie faszinierend, dass sich so eine eindrucksvolle Erscheinung erst in einen Hauch und dann in Nichts auflöst. Und wie seltsam, dass es wirklich nur auf die Perspektive ankommt – die Menschen im Tal fanden ihn möglicherweise nicht so schön wie ich da oben. Falls ich mal wieder im Gedankennebel feststecken sollte, werde ich mich erinnern, dass mit ein bisschen Abstand alles anders sein wird. Aber alle etwaigen erhebenden philosophischen Überlegungen wurden unterbrochen von drei kleinen Katzen, die sich um meine Beine balgten – das war auch schön!

DSCF7744Der Samstagabend hielt noch eine besondere Überraschung bereit. Als Österreich-Anfängerin hab ich noch etwas Probleme mit der Bergprominenz. Ich kann zwar seit diesem Wochenende sagen, dass ich innerhalb von ein paar Monaten die beiden höchsten gesehen habe, aber es war nicht einfach. Beim Grossglockner lag es daran, dass ich keine Ahnung hatte, welche Form er hat und er zwar oft präsent, aber dermassen umgeben war von weissen Giganten, dass ich ihn einfach nicht identifizieren konnte. Der Grossvenediger dagegen hat eindeutig Divenallüren. Man könnte meinen, dass man ihn von Neukirchen am Grossvenediger aus sehen kann – absolute Fehlanzeige. (Schöne Caféterrasse, immerhin). Der Gatte wollte ihn aber sehen. Also fuhren wir am späten Nachmittag noch mal zurück nach Mittersill und auf die Felbertauernstrasse. An der Mautstelle nach dem Tunnel fragten wir den Kassierer, wo wir hier den Grossvenediger am besten sehen können. Ihm stand schon ein gewisses „Seid’s narrisch?“ ins Gesicht geschrieben, weil wir um 17 Uhr noch ein Tagesticket kauften, und wahrscheinlich hielt er uns jetzt für ganz verrückt. Sagte uns trotzdem, dass wir gleich unten am Matreier Tauernhaus parken und dann eine halbe Stunde ins Tal laufen sollen. Das Tal und die Berge ringsum lagen schon im Schatten, und die Finger von Licht, die noch die Gipfel streichelten, wurden alle paar Minuten kürzer. Ein paar letzte Wanderer kamen uns entgegen, aber ins Tal hinein lief niemand mehr. Anfangs hielten wir mit wohlgemuten Parolen die Moral hoch: wenn die Sonne untergegangen ist, kann man mindestens noch eine halbe Stunde was sehen. Wir finden den Weg schon im Halbdunkel zurück. Nach der nächsten Kurve kommt er bestimmt. Aber er kam nicht. Und ich musste mich schon anstrengen, bei dem flotten Tempo und ständig leicht bergauf Schritt zu halten – ehrlich gesagt, japste ich ganz schön. Wusste aber: das ist das letzte freie Wochenende auf Monate. Wenn wir nicht grade am ersten Weihnachtsfeiertag hier hochhatschen wollen, muss ich jetzt mitmachen. Und es zog sich und zog sich und wurde immer kühler und schattiger. Bis selbst Johannes irgendwann murmelte: wo haben die bloss ihren Berg hingestellt. Aber – es gibt ihn! Wir haben die Diva gesehen, im goldenen Glanz der letzten Sonnenstrahlen! Eine Viertelstunde, bevor die Sonne sich hinter das Venedigermassiv verabschiedete, und 200 Höhenmeter später kamen wir am Berghaus Aussergschlöss an, fielen erschöpft auf das Holzbankerl (ich in ähnlich attraktiven Zustand wie nach dem gehassten Zirkeltraining in der Schule) und waren schon wieder überwältigt von der Aussicht auf die Schneeberge, den sich silbrig windenden Weg weiter ins Tal rein, den milden, weichen langen Abendsonnenstrahlen und dem schimmernden Gegenlicht – fast wie eine Vision. Johannes fasste es gekonnt zusammen: es war eine absolute Schnapsidee, um die Tageszeit noch so was zu machen, aber es hat sich gelohnt wie selten was. Manchmal muss man Schnapsideen haben. Und umsetzen. Gewohnte Pfade verlassen. Über seinen Schatten springen, um noch viel schönere Schatten im Abendlicht zu sehen.

DSCF7694(Eigentlich juckt es mich in den Fingern, „Beste Aussichten im Salzburger Land“ noch eine Ode in einem eigenen Artikel zu widmen, aber womöglich hält man mich dann für bestochen… Aber ich bin erfüllt von missionarischen Eifer: das Buch hat mich so glücklich gemacht und ich möchte, dass andere diese Erfahrung auch teilen. Deshalb ein kurzer Nachsatz: Ich erinnere mich, wie mir Franziska bei einem Frühstück im April ihr Buch schenkte. Damals standen Tulpen auf dem Tisch und ich hatte keine Ahnung, was alles zwischen den zwei Einbanddeckeln stecken würde. Jetzt werden die Birken golden und die neuen Tulpenzwiebeln kommen in die Erde, und ich bin überwältigt davon, was man in einem halben Jahr alles erleben kann.  An vieles werde ich mich garantiert mein Leben lang erinnern. Das Buch ist ein echtes Schatzkästchen, und ich bin einfach nur dankbar für alles Schöne, was ich mit ihm sehen durfte.)

Wasser!

DSCF6601Und dann kam mein Geburtstag. Da es ein Sonntag war, habe ich mir einen Tag am Wasser gewünscht. Und gleich noch eine Übernachtung davor dazu, weil es doch nichts Netteres gibt, als sich am Geburtstag an einen fertig gedeckten Frühstückstisch zu setzen, oder?

Da ab jetzt ja nur noch mit Frau Lipps Buch verreist wird, wenn es vor die Haustür geht, hatte ich die Qual der Wahl: es gibt ein ganzes Kapitel über Lieblingsplätze mit Wasser im Salzburger Land, einer ansprechender als der andere. Aber – warum auch hier nicht gleich klotzen und mit dem Superlativ anfangen? Jeder ausser mir scheint die Krimmler Wasserfälle zu kennen, und so war es höchste Zeit, sie zu besuchen, bevor ich noch ein Jahr älter werde.

Ein Blick auf die Karte ergab: zwischen den Kitzbüheler Alpen und den Hohen Tauern liegt ein Tal, durch das man nach Krimml kommt. Es war atemberaubend, kurz hinter der Passhöhe vom Pass Thurn zum ersten Mal anzuhalten, ein paar Schritte an frei weidenden Kühen mit Glocken um den Hals vorbei in die Wiese zu gehen und dann diesen umwerfenden Ausblick zu haben. Ich weiss auch nicht, wie es kommt, dass mir die Berge auf einmal gefallen. Aber so viel Schönheit ein paar Kilometer von zuhause haut mich um. Und dann fand sich ein munter sprudelndes, eisiges Bächlein mit genau passenden grossen Steinen zum Draufsitzen. Alles war noch kühl im Picknickkorb, weil wir noch nicht so weit von daheim weg waren. Aber der Ausblick beim Essen über die grünen Wiesen und den  strahlend blauen Himmel war derartig schön, dass es mir direkt im Herz zieht, wenn ich jetzt dran denke.

DSCF6618Im Tal liegt Hollersbach  – da empfiehlt Franziska den Kräutergarten. Er ist wirklich einen Besuch wert, vor allem in der warmen Abendstille, wenn ausser Bienen niemand mehr da ist und man in aller Ruhe zwischen den 500 Pflanzenarten wandeln kann. Was mich aber noch mehr fasziniert hat, war das Klausnerhaus am Eingang zum Garten, in dem es Informationen zur Anlage und speziell zum Holler gibt. Wir hatten gegenüber an der Kirche geparkt, und kaum hatte ich mich umgedreht, fühlte ich mich von der Präsenz des jahrhundertealten behäbigen Hauses gefangen. So eine Präsenz und Persönlichkeit, dass ich fast denke, ich hätte es auch gespürt, wenn ich nicht hingeschaut hätte – eines dieser ganz aussergewöhnlichen Häuser, das durch die Zeiten und Jahrhunderte an seinem Platz steht und irgendwie die Ausstrahlung einer dick und zufrieden daliegenden Katze hat (die aber blinzelt und durchaus Kontakt aufnimmt.) Selten habe ich ein Haus mit so viel Charakter erlebt, so einladend und verheissungsvoll. Und die breiten, ganz an die Wand geschnuckelten Holzbänke davor  – mei.

Und es gibt noch was Besonderes in Hollersbach: ein wunderschönes, kühles Naturschwimmbad. Kein Chlor, aber Fische. Und eine grosse Liegewiese. Es war die Art Sommerabend, an dem man den Badeanzug aus dem Handschuhfach nimmt und ohne Handtuch oder sonst was einfach schwimmen geht und danach auf der Wiese trocknet. Ein Geschenk von einem Abend!

Auf halben Weg von Mittersill hoch zum Pass Thurn fanden wir eine Pension. Ein hübsches kleines Häusle, nur zwei Zimmer breit, aber hoch mit dunklen verzierten Holzbalkonen, die über und über mit Petunien behängt waren. Eine freundliche Zimmerwirtin, die uns bei unserer Ankunft in ihre eigene Küche bat, weil sie grade Johannisbeermarmelade auf dem Herd hatte. Und vom schnuckligen Zimmerchen aus und vor allem dem Südbalkon davor schon wieder eine herzziehend schöne Aussicht auf die Berge nach Süden. Den ich am Geburtstagsmorgen ausgiebig genoss – was für ein Tagesbeginn!

DSCF6639Für die Krimmler Wasserfälle verspricht das Buch, dass man am Kürsingerplatz ohne passende Kleidung innerhalb weniger Minuten bis auf die Haut nass wird. Nichts wie hin! Bei vorhergesagten 32 Grad war die Devise: das dünnste Sommerkleidchen anziehen und so nah wie möglich rangehen. Und es war genial! Man wird wirklich von der Gischt wunderbar kühl eingenebelt und hat kleine Wassertröpfchen auf der Haut und den Haaren – perfekt.  Oberhalb der zweiten Fallstufe fanden wir eine Stelle, an der man direkt ans und ins Wasser kann. Alles Vorhergehende war derart wild und strudelig, dass niemand auf die Idee käme, auch nur in die Nähe zu wollen. Aber da oben gibt es ein breites Flussbett mit riesigen rundgeschliffenen Steinen, auf denen wir rumgeturnt sind. Die Ache ist eisig und reissend, und es war das grösste Geburtstagsvergnügen, da drin zu sitzen.

Fazit: es muss nicht Bali sein. Nur zwei Tage in der Nähe von zuhause können einen unglaublichen Erholungseffekt haben, wenn sie einen derartigen landschaftlichen Tapetenwechsel bieten wie dieser Ausflug. Dank des Wetters waren es Sommertage wie aus dem Bilderbuch, mit allem, was dazu gehört. Sollte es jetzt den Rest des Sommers regnen, wäre ich versöhnt, weil ich ihn trotzdem mit allen Sinnen spüren durfte: Freibad, Johannisbeermarmelade, Bienen im Lavendel, Füsse im eiskalten Gebirgsbach und gleichzeitig Sonnenbrand auf den Schultern – mehr kann man nicht verlangen.

Alpenblicke

Nationalstolz am WolfgangseeAlso, noch mal zu diesem netten Buch: mittels zweier Geburtstagsausflüge haben wir Franziska Lipps „Beste Aussichten im Salzburger Land“ einem Praxistest unterzogen. Das Buch ist und bleibt empfehlenswert – und es ist besonders nett, es mit einem Gutschein für einen Ausflug zu verschenken, weil das doppelte Freude ist. Gemäss dem persischen Sprichwort, dass der Duft der Rose an der Hand desjenigen bleibt, der sie verschenkt, kann man gar nicht sagen, ob die Beschenkte oder die Schenkende mehr hat von solchen schönen Ausflügen: es ist eine perfekte Möglichkeit, Zeit mit einem lieben Menschen zu verbringen und dabei ganz besondere Orte kennenzulernen.

Wir haben’s gleich mal krachen lassen und mit einem Superlativ angefangen: der Grossglockner-Hochalpenstrasse, auf der wir beide noch nie gewesen waren. Es war ohne Zweifel ein Ausnahmeerlebnis. Hat man sich erst mal auf oben!2400 Meter hochgeschraubt, bieten sich atemberaubende Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel, wo man auch hinschaut. Und wenn man auf dieser Höhe der Passstrasse auf und ab folgt, hat man oft das Gefühl, auf dem Dach der Welt zu fahren. Es ist sicher ein ganz besonderer Platz auf der Erde – aber definitiv nicht mein Lebensraum… Ich habe mich ziemlich schnell erschlagen gefühlt. Dreissig Dreitausender ist einfach ein bisschen zu viel des Guten. Und alles ist so grandios, gigantisch, monumental und unvorstellbar prächtig, dass es einfach zu viel wird. Es ist, als ob man drei Bruckner-Symphonien gleichzeitig hören müsste: eigentlich zu viel für einen normalen Menschen. Und ausserdem hatten wir die ganze Zeit Probleme, den Grossglockner überhaupt zu erkennen unter so vielen Giganten. Wirklich! Selbst ein österreichisches Paar, das wir vor dem vermeintlichen Kandidaten fotografiert haben, lag falsch – obwohl sie in dem Moment auch überzeugt waren, dass es der richtige Berg ist… Macht ja auch nix: die Umgebung und die Ausblicke sind überall umwerfend. Und zum ersten mal im Leben habe ich Murmeltiere und Steinböcke gesehen! Und es war schon ein erhebendes Gefühl, die Alpen (fast) überquert zu haben mit meinem kleinen Auto, noch dazu auf einer historischen Strasse. Zu wissen: wenn wir jetzt ein paar Kilometer weiterfahren würden, hätten wir dieses Hindernis zwischen uns und Italien überwunden. (Das Auto bittet aber wieder um die Tauernautobahn nächstes Mal…)

mit 10 kmhVerglichen mit dem Grossglockner war unser zweiter Ausflug auf den Schafberg im Salzkammergut lieblich und romantisch und so derartig schön, dass ich irgendwann wieder da hoch will. Es ist ein wirklich nettes Erlebnis, mit einem 120 Jahre alten Zahnradbähnle durch blühende Alpenwiesen ganz gemächlich und in aller Ruhe da hochgeschaukelt zu werden. Und der Ausblick von oben in alle Himmelsrichtungen ist auch grandios, aber nicht auf diese furchteinflössende Art wie im Hochgebirge. Wir waren auf 1700 Metern und damit höher als die meisten der sanften grünen Berge, die sich unter uns ausbreiteten. Und wir schauten auf zahlreiche tiefgrün funkelnde Seen im Salzkammerhut: Wolfgangsee und Abersee, Fuschlsee, Mondsee, Attersee… Das war unglaublich schön an diesem perfect view Wolfgangseestrahlenden Junitag. Und apropos: es war erstaunlich leer da oben. Wir hatten zum Mittagessen einen traumhaften Logenplatz auf der Terrasse mit Blick auf das Dachsteingebirge links, die Niederen Tauern und jede Menge anderer Berge, die ich natürlich nicht kenne… Der Spaziergang danach auf der Nordseite war allerdings nichts für schwache Nerven: es gibt zwar ein Geländer, aber es geht 300 Meter senkrecht in die Tiefe. Aber wenn man nicht mit Absicht direkt runterschaut, ist es auch ein grandioses Gefühl, an diesem Abbruch zu stehen – das muss genau die Perspektive von Vögeln sein, wenn sie sich in den Himmel erheben.

Schloss FuschlMit einer Mutter, die im früheren Leben eine Gemse gewesen sein muss, war der Weg zur Himmelspforte auch ein eher spezielles Vergnügen. Dieser Berg ist mir einfach zu steil. Ich hatte ständig schweissnasse Hände vor Höhenangst, meine Mutter aber war derartig in ihrem Element, dass ich irgendwann ein Foto von ihr am Abgrund machte und dabei dachte: so, ich mach noch ein Bild für die Brüder, bevor sie runtersegelt… Glücklicherweise sind wir wieder zusammen runtergekommen, und auch wie geplant mit der kleinen Bahn.

Abends standen wir mit den Füssen im angenehm kühlen Fuschlsee – der ja auch ein ganz traumhafter Platz ist – und schauten zu unserem Abenteuerberg rauf, der in der Ferne noch zu erkennen war. Fazit: ich werde nie ein Bergmensch. Aber ich werde garantiert noch ein paar Ausflüge aus Franziskas Buch unternehmen!

„Unwiderstehliche Genussadressen“

Ein Meer aus schaukelndem Wollgras; die dunkle Tanzfläche eines Sees, auf dem Mücken als winzige Goldpünktchen Polka proben; ein Heer von Regenbögen; in alten Schlossparks lustwandelnd der Melancholie entrinnen – ich klappe das Buch zu, um mich zu vergewissern: wirklich kein Gedichtband? Wirklich ein Reiseführer? Die beiden munter aufgerichteten Murmeltierchen auf dem Cover bestätigen: Franziska Lipps „Beste Aussichten im Salzburger Land“ ist ein Wander- und Reiseführer, aber einer, der ins Lyrik-Regal gehört. Oder wann ist es mir zum letzten Mal passiert, dass ich genussvoll Passagen aus einem Wanderführer noch mal gelesen habe, weil sie gar so charmant und phantasieanregend sind? Oder dass ich das Buch sogar mit ins Bett genommen habe, weil es so eine beruhigende und nette Lektüre für die Zeit zwischen Wachen und Träumen ist? Jakob Lipps ganzseitige stimmungsvolle Fotos bringen einen genau so zum Träumen wie die prägnanten, aber bilderreichen und poetischen Texte von Franziska auf der gegenüberliegenden Seite. Und man nimmt wunderschöne Impressionen von türkisen Schluchten, zauberhaften Eishöhlen, die nur von den Karbidlampen der Besucher beleuchtet werden, blühenden Almwiesen oder schattigen Arkaden mit in seine Träume. Und die Gewissheit: ein Tagesausflug in eins dieser unbekannten Kleinode muss bald mal drin sein…

Dass mich das Buch, dessen Werdegang übers letzte Jahr ich immer wieder hautnah mitbekommen habe, so begeistert, liegt natürlich auch daran, dass Franziska eine liebe Freundin ist, kennengelernt auf musikalischen und literarischen Umwegen. Und für mich als grossen Salzburg-Fan ist es natürlich was Besonderes, eine waschechte Salzburgerin zu kennen. Leider verfällt sie nur in Dialekt, wenn sie sich für etwas sehr begeistert oder in Rage redet – glücklicherweise ist das bei den Berichten über die Entstehung des Buches doch manchmal vorgekommen, denn dann finde ich sie immer besonders liebenswert. Und es ist einfach schön, von einer Einheimischen so viele besondere Tips zu bekommen, sei es live oder jetzt hier im Buch. Sie kennt und liebt die Gegend von Kindesbeinen an, wie sie im Vorwort selber schreibt, und das spürt man auf jeder Seite. Trotzdem ist es grade eine besondere Begabung, im Altvertrauten noch den Blick für das Ausgefallene und Erwähnenswerte zu haben, für kleine Details wie einen Wasserfall, der wie zarte Perlenschnüre über einen Felsen rieselt, oder grandios grosse wie den Grossglockner oder die Krimmler Wasserfälle, die sechs Mal so hoch wie die Niagarafälle sind. Überhaupt gefällt mir ihre Einteilung. Das kulinarische Kapitel mit dem Titel „Unwiderstehliche Genussadressen“ ist echt Franziska, ebenso die Idee, mystischen Glücksplätzen oder Orten mit Wasser in irgendeiner besonderen Form eigene Kapitel zu widmen. Eine so ganz andere Einteilung, als man es von „normalen“ Reiseführern kennt, die einen ungewöhnlichen roten Faden durchs Salzburger Land zieht.

Was mir immer wieder auffällt, wenn ich dort bin, oder eben hier in dem Buch: die ÖsterreicherInnen scheinen eine ausgeprägtere Genussfähigkeit zu haben als wir. Entweder sind sie generell begabter dafür, oder sie verstehen es besser, sich Zeit für die schöneren Dinge des Lebens zu nehmen. Wortschöpfungen wie „einspurige Verlockung“ (es geht hier um eine kleine Museumsbahn…), die „Versuchung des ersten Bissens“ oder „absolute Suchtgefahr“ scheinen eher einer entspannten, die Kreativität anregenden Stimmung entsprungen zu sein als einer korrekt und arbeitsam am Schreibtisch sitzenden Haltung. Und wo sonst auf der Welt bitte gibt es Strandkörbe wie auf der Seeterrasse des Schloss Fuschl, die auch im Winter bei Eis und Schnee „absolute Diskretion für ein kuscheliges Tête-à-tête zu zweit“ bieten?

Apropos „zu zweit“: ein weiteres nettes Detail an diesem Reiseführer ist, dass Franziska in Teamarbeit mit ihrem Mann, der alle Fotos aufgenommen hat, diese ganzen Orte bereist und erfahren hat. Welches Ehepaar kann schon von sich behaupten, in etwas mehr als einem Jahr 66 Ausnahmeorte und elf Almen besucht zu haben? Das Buch ist also gleichzeitig ein Dokument eines ganz ausgefallenen und speziellen gemeinsamen Lebensjahres, und das finde ich beeindruckend und wunderschön. Wenn das so weitergeht, wird die Fotoeckenindustrie nicht viel Umsatz mit den beiden machen…

Lyrischer Genuss hin oder her: „Beste Aussichten im Salzburger Land“ weckt definitiv die Abenteuerlust und ich ertappe mich dabei, wie ich ständig zu der Karte am Schluss blättere und überlege, wann ich wo hinfahre. Das handliche A5-Format, die abgerundeten Ecken, die Eselsohren im Rucksack vermeiden, die kurzen Texte, denen Telefonnummern und Webseiten direkt beigefügt sind, machen das kleine Juwel zu einem alltagstauglichen Nachschlagewerk. Und, geneigte Leserinnen und Leser, zum Geburtstagsgeschenk des Jahres, wenn man einigermassen in Grenznähe wohnt – vielleicht zusammen mit einem Gutschein für einen unvergesslichen Ausflug nach Wahl?

Franziska Lipp, Beste Aussichten im Salzburger Land, Gmeiner Verlag, 15 Euro

(alle Abbildungen, auch hier: Jakob Lipp)