Im Olymp

tumblr_mofev8gDYC1s6ikpgo3_r1_1280Dieses Schuljahr habe ich mir fest vorgenommen, mich bewusst um meine Seele und meine wirklichen Leidenschaften zu kümmern. Nicht nur ständig zu funktionieren und für andere da zu sein, sondern zwischendurch auch zu schauen, was mich eigentlich am Leben erhält. Was gibt es Besseres als einen Opernbesuch, um diesen Vorsatz umzusetzen? Da blühe ich wirklich auf und bin ganz und gar glücklich. Aber wie selten war ich die letzten Jahre in dieser grandios guten Oper quasi vor der Haustür? Das kann ich an zwei Händen aufzählen, inklusive der Opernbesuche mit der Schule. Da war ich als Begleitperson dabei und mehr damit beschäftigt, das Rudel Zehntklässler in Schach zu halten, als mich echtem Kunstgenuss hinzugeben.

Bevor allgemeine Erschöpfung oder widriges Wetter meine Pläne durchkreuzen können, hab ich mir gleich zu Beginn der Saison Karten für  „Madame Butterfly“ gesichert. Wie immer Stehplätze – erstens wegen der Münchner Preise, und hauptsächlich, weil ich immer so aufgeregt und beseligt bin, dass ich eh nicht still sitzen könnte. Ich merke wirklich nicht, dass ich drei Stunden stehe – ich schwebe die ganze Zeit. Und ich fühle mich wohl und einfach am richtigen Platz da ganz oben unter der Decke. Ausserdem sehen wir viel besser als die Leute im Parkett, wie der gigantische Kronleuchter kurz vor Beginn hochfährt, und das ist doch so ein köstliches Stückchen Vorfreude… Überhaupt, die Mitmenschen in der Oper: nach ein paar Tagen in einer Schickimicki-Umgebung in den Sommerferien, in der ich mich denkbar unwohl gefühlt habe, habe ich da oben einfach das Gefühl, richtig zu sein. Wir haben wahrscheinlich alle kein vorzeigbares Bankkonto, aber es ist uns ein Herzensanliegen, hier zu sein. Meine Mit-Stehplätzler schaffen es, sich nett anzuziehen, sie riechen gut, und vor allem: die Begeisterung schwappt über. Das sind glaube ich auch alles Typen, die vor Freude nicht stillsitzen könnten. Und wenn ich vor einer besonders schönen Phrase tief Luft hole, genau wie die Sängerin auf der Bühne, und merke, dass die beiden rechts und links von mir das Gleiche tun – dann ist das ein besonderes Kollektiverlebnis. Dann wird man auf samtigen Puccini-Wogen wirklich in andere Gefilde getragen. Und ich merke: das sind meine Leute. Genau hier will ich sein. Neben der Frau, die als erstes ihre hohen Schuhe auszieht und sagt, ich soll mich melden, wenn die mich am Boden stören. Oder dem Typ, der vor Butterflys Arie affenartig auf das Geländer vor uns klettert, auf dem man eigentlich eher die Ellenbogen abstützt. Weil er etwas wackelig da balanciert, stelle ich mich leicht hinter ihn und mache mich drauf gefasst, ihn eventuell etwas aufzufangen – in dem Bewusstsein, dass ich mich auch auf einen anderen Verrückten verlassen könnte, falls mir vor Entzücken mal anders wird. Ich bilde mir ein, dass hier eine andere Art der Solidarität herrscht als auf den teuren Plätzen.

Nach der Oper durfte ich allerdings schnell feststellen, dass ich wieder auf dem Boden der (Münchner) Tatsachen bin und hier ganz andere Klassenunterschiede herrschen: ich wollte mich schon am Nachmittag mit einer Freundin zum Essen treffen. Wir hatten zu spät realisiert, dass Wieseneröffnung war, und ich hatte mir im Kopf einige nette Parkmöglichkeiten zurechtgelegt, von denen ich mit Öffentlichen in die Innenstadt fahren wollte. Dann war gleich bei uns eine Mega-Umleitung wegen einer Baustelle bei Ebersberg, von der ich nichts wusste. Und noch ein Unfall und eine weitere Umleitung. Also ziemliches Chaos und ein drängend weiterrückender Uhrzeiger. Ich sah meine Felle davon schwimmen und dachte: jetzt hilft nur noch, die Sache mit Geld zu lösen. Ein Mal ist das schon drin. Also fuhr ich, was ich noch nie gemacht habe, in die Parkgarage der Oper – ein Bekannter hatte erzählt, dass es zehn Euro am Abend kostet, und zu Oktoberfestbeginn erschien mir das eine vernünftige Lösung. Mein Auto hatte wirklich Spass daran, langsam die Maximilianstrasse entlang zu fahren, und auch der Platz vor der Oper hat ihm sehr gefallen. Dass direkt vor mir ein schwarzer Rolls Royce in die Tiefgarage glitt, hätte mich etwas stutzig machen sollen… Aber ich dachte noch: was für ein Spass, so mitten in die Stadt reinzufahren. Und ich war spät dran.

Geneigte Leser, merkt Euch: die Tiefgarage kostet nur zehn Euro, wenn man nach 18 Uhr kommt. Als ich um halb elf mein Ticket bezahlen wollte, leuchtete da eine solche Unsumme auf, dass ich fast laut gelacht hätte. Ich hielt es für den besten Scherz seit langem. War aber keiner. Während ich hektisch in meiner Trasche kramte, ob ich solche Mengen an Geld überhaupt dabei hätte, schaute ich, ob der Automat auch Kreditkarten nehmen würde – aber nicht im Sinne von „Hab grad kein Bargeld“, sondern „Bitte geben Sie mir einen Monat Zeit, mein Konto mit den entsprechenden Summen aufzufüllen.“ Wie schnell man doch vom Olymp wieder unten sein kann…

(Foto)

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