Vor ein paar Jahren habe ich über eine typische Falle von Selbständigen geschrieben: weiter arbeiten, auch wenn man krank ist. Inzwischen tappe ich munter in einer anderen herum: mehr Arbeit annehmen, als gut ist, denn es könnten ja mal schlechtere Zeiten kommen. Das Seltsame daran: ich bin mir bewusst, was ich tue, und spüre auch, dass es langsam nicht mehr gut ist, schaffe es aber nicht, die Bremse reinzuhauen aus einer Art (unberechtigter?) Zukunftsangst heraus. Bei allem Optimismus denke ich manchmal: das, was ich tue, ist derartig exotisch, und vielleicht ist es doch eine aussterbende Sache, Musik selber und aktiv zu machen – was, wenn es in zehn oder fünfzehn Jahren einfach keinen Bedarf an Klavierunterricht mehr gibt? Da muss ich mitnehmen, was geht, und noch so vielen Menschen wie möglich zeigen, wie schön es doch ist. Das ist das grundsätzliche Denkproblem. Und dann gibt es das ganz individuelle. Erst mal generell: wenn ich diesen Schüler abweise, dann aber drei plötzlich aufhören, dann würde ich mich ärgern. Und das spezielle (dem erliege ich immer): wenn man ein Kindchen mal kennengelernt hat, einen kleinen Einblick in seine Fähigkeiten gekriegt hat, denkt man immer wieder: was, wenn hier ein ganz spannendes Talent schlummert? Wie mühelos er die Hände koordiniert, wie toll er nachsingt, wie gern er verschiedene Klänge sucht – ich muss da dranbleiben! Jeder neue Schüler bringt so einen Schatz an Möglichkeiten und Fähigkeiten mit, und es fällt mir meistens sehr schwer, da „nein“ zu sagen. Denn es könnte ja der eine, der ganz besondere sein…
Ich bin froh und dankbar über den Zulauf, den ich grade erfahre. Auffallend ist, dass die neuen Schüler immer grüppchenweise aus einer bestimmten Ecke kommen: ein paar Wochen lang gab es nur Viertklässler, dann Fünfzigjährige, dann Adelige, immer in Dreier- oder Viererpacks. Das ist auch werbemässig interessant, wenn man sieht, welche Kreise die Mundpropaganda zieht. Aber ich schüttel auch den Kopf über mich selber. Eine typische Situation letzte Woche: zwei Zehnjährige rufen an wegen Stunden. Ich arrangiere so schnell wie möglich Schnupperstunden, weil ich mir generell vorgenommen habe, entweder gleich abzusagen oder Leute, die eh schon mit den Hufen scharren, nicht im Unklaren zu lassen. Nach dem Kennenlernen entscheiden sich beide für Stunden und ich freue mich, obwohl ich eigentlich keinen Platz mehr für sie habe. Aber – es könnten ja zum neuen Schuljahr ältere Schüler aufhören oder ins Ausland gehen, und bald ist eh Ostern und langsam muss ich den Herbst planen und vorbauen… Also wird eine abends drangehängt, die andere kommt in meiner Mittagspause. Keine 60 Minuten mehr zum Kochen und kurz die Stille geniessen, sondern 15 Minuten für Kaffee und Erdnussbutterbrot.
Buchstäblich am nächsten Tag riefen zwei Schülerinnen zurück, die wegen Konzentration auf die Schule für ein halbes Jahr Pause machen wollten. Ich hab sie nie aufgegeben, dachte aber, das halbe Jahr kann sich ja auch ausweiten, wer weiss, wann sie wiederkommen. Kaum haben sie das Zwischenzeugnis in den Pfötchen, greifen sie zum Hörer. Und weil sie vorher schon da waren, ältere Rechte haben, weise ich sie natürlich nicht zurück. Sondern hänge sie noch später abends dran, ohne viel nachzudenken. Und stelle erst danach fest: super, von einer Woche auf die andere hab ich vier Schüler mehr, ohne dass ich das vorhatte.
Und dann kommen auch meine Erwachsenen noch derartig regelmässig und diszipliniert! Da nehme ich ja auch immer mehr an, weil sie aus Erfahrung immer mal wieder absagen, wenn es im Job oder im Leben rund geht, und ich so eher die Formel habe, dass nur ein Drittel von ihnen pro Woche auch kommt. Denn alle stehen noch im Berufsleben und schaufeln sich diese Vormittagsstunden bewusst frei. Meine Rechenkünste waren noch nie erwähnenswert, und auch hier bin ich trotz vielleicht richtigen Lösungswegs aufs falsche Ergebnis gekommen. Denn: sie kommen begeistert alle. Jede Woche oder alle zwei, wie ausgemacht. Aber es wird einfach nicht abgesagt. Die 45 Minuten, die ich dann und wann fürs eigenen Üben vorgesehen hatte – die gibt’s zur Zeit einfach nicht.
Also: bringt mich Optimismus oder Pessimismus weiter? War es zu blauäugig, vom Schlimmsten auszugehen? Brauche ich irgendwann eine Sekretärin, wenn das so weitergeht? (Die ganzen Extra-Termine sind nicht nur organisationsmässig ein Horror, sondern auch von der Buchhaltung her.) (Kann die Sekretärin mir auch Tee machen?!)
(Und wie immer ein PS., weil sich die Ereignisse hier immer zu überlagern scheinen: während ich das Foto aussuchte, rief eine Dame an wegen Unterricht für ihre zwei Urenkelinnen. Weil sie so gern noch erleben würde, dass die Klavier spielen. Ist das moralischer Druck oder nicht? Was mach ich jetzt?!)
I like how you wonder, „What if here slumbers a very exciting talent?“ That is optimism and vision for sure.
(Here in America) when we lived in the woods of Maine my adult daughter taught violin lessons in one of the rooms of our house. I remember her schedule being so different week to week due to cancellations and make-up-lessons. Snowy road conditions were only one of the reasons for a chaotic schedule. It does help when you don’t mind eating a peanut butter and jelly sandwich. I wonder if your P.B.&J.s have your home-cooked marmalade on it. Karen
Thanks for reading in translation! Your visits here are special to me.
And the sandwich: I like it with honey. Provides me with a little energy. Several of my students have bees, so I am always well supplied with local honey.