Es ist immer wieder erstaunlich, in welchem Zickzackkurs Lernen verläuft. Man erklärt, macht vor, lässt den Schüler nachspielen, wiederholt, beleuchtet die Sache von einem anderen Blickwinkel, wiederholt wieder, gibt für eine Woche die Hoffnung auf, erklärt noch mal, lässt noch mal vormachen, überlegt, ob man nicht doch noch Architektin werden soll, erklärt trotzdem noch mal die Fünftonlagen und bittet den Schüler, sich zu überlegen, was er in seinem zweiten Weihnachtskonzert spielen will. Und dann spaziert das Kindchen in der nächsten Woche zur Tür rein und sprudelt los: „Mein Thema fürs Weihnachtskonzert ist die D-Lage. (Wow, meine Schüler haben Themen fürs Vorspiel!) Ich hab zwei Lieder aus der Klavierschule ausgesucht, eins in Dur, eins in Moll, und wussten Sie, dass man „Jingle Bells“ auch in D-Dur spielen kann?!“ Und los geht’s, während ich noch mein Kinn hochklappe. Mit einer astreinen Präsentation, was kleine Finger mit der D-Lage anstellen können. Und ich schwebe über meinem Unterrichtststuhl und vergesse den steinigen Weg der letzten Monate.
Dieser Moment – dass jemand etwas wirklich begriffen und in den Finger hat und so souverän damit umgeht, dass er damit quasi spielen kann – das ist der schönste und lohnendste Augenblick beim Unterrichten. Wenn ich sehe, dass jemand einen Sachverhalt wirklich verstanden hat und ich in dem Bereich überflüssig bin, dann habe ich mein Ziel erreicht. Zwar lauert das nächste gleich um die Ecke, und das ist es ja auch, was Unterrichten so endlos spannend macht – aber zwischendurch kann man sich kurz zurücklehnen und den Erfolg feiern und geniessen.
Wenige Wochen nach dem Weihnachtserlebnis gab es den zweiten Instant-Erfolg mit Fünftonlagen – das Schicksal scheint es gut mit mir zu meinen! Ein anderes Kindchen, ein Jahr jünger als der von oben, fing in der Stunde spontan an, ein Stück zu transponieren. Ich hatte ihm „Big Chief“ aus Frances Clarks „Music Tree“ auswendig beigebracht, einfach aus Spass und zum Unterfüttern des Gelernten, und weil Jungen immer wieder mal Indianer- oder Ritterlieder brauchen, bei denen es richtig zur Sache geht. „Big Chief“ ist in einer klaren Fünftonlage geschrieben, die Begleitung ein simples Ostinato aus Quinten. Und ich durfte den Moment miterleben, als der Groschen fiel. Als die kleinen Fingerchen erkannten: aha, das ist ja hier der fünfte und der erste, und da auch, das kenn ich doch. Und aus eigenem Antrieb probierte mein Schüler, ob es nicht einen Ton tiefer auch geht. Und da auch in Dur und Moll. Und einen höher. Und noch einen höher. Nachdem er das Lied zwölf Mal von allen Tasten gespielt hatte, spielte er es sogar noch von h aus, und ungerührt in h vermindert… Und ich sass stumm daneben und liess ihn einfach entdecken. Und war dankbar: besser kann er mir nicht beweisen, dass er kapiert hat, was eine Fünftonlage bedeutet. Auf zu neuen Ufern! Und danke für die wahren „Spielstücke“, die so genial komponiert sind, dass sie solche Erlebnisse möglich machen!
(Für KlavierlehrerInnen: ich bin begeistert vom Konzept von Frances Clark’s „Music Tree“. Immer auf der Suche nach der perfekten Klavierschule, hatte ich mir diese amerikanische Schule aus den Sechzigerjahren bestellt. Ja, man glaubt es nicht – als es hier in der pädagogischen Landschaft relativ öde und streng zuging, gab es in Amerika eine wirklich ansprechende und unterhaltsame Schule, die Spass aufs Entdecken macht. Natürlich wurde sie mehrfach überarbeitet, aber Stücke wie „Big Chief“ sind eigentlich uralt. Nachdem mir der Unterrichtsband so gut gefallen hat, habe ich nach und nach die Folgebände bestellt: Sammlungen von ausgesucht schönen und guten Einzelstücken, die ich zum Teil noch nie gehört habe, gruppiert nach 17. bis 19. Jahrhundert und Extrabände fürs 20., die auch voll von schönen Entdeckungen sind. Die Klavierschule hab ich noch mit niemand konsequent als Unterrichtswerk verwendet, weil die Texte zum Mitsingen englisch sind. Aber die Folgebände sind die allerbeliebtesten Geburtstagsgeschenke geworden. Wir haben so viel Spass dran, dass ich denke, am meisten beschenke ich damit mich selbst… So gern ich deutsche Verlage unterstützen würde: mir fallen keine Sammlungen ein, die so konsequent aufeinander aufbauen und auch so alltagstauglich sind. Das „Tastenkrokodil“ oder „Toll in Moll“, die Klassiker neben der Klavierschule hier, können da nicht mithalten, weil die Stücke oft zu gehaltvoll und schwierig sind. Es fehlen kleine Zwischenschritte, ein gewisses Unterfutter, damit man mühelos weiter kommt und dabei den Spass an der Sache nicht verliert. Die Tatsache, dass die Stücke des „Music Tree“ sehr gut aufeinander aufbauen und wirklich nicht zu kompliziert sind, führt auch dazu, dass man mehr Literatur kennenlernt, mehrere verschiedene Stücke in den Fingern hat, letztlich: belesener wird.
Nachteil neben der Sprache: das Bestellen der Hefte und die langen Lieferzeiten. Am besten selber einen Stoss bestellen, wenn man das Heft kennt und überzeugt ist, und bei sich lagern.)