Ausreden: Innerer Kritiker

Egal, wie alt ich werde, bleibt meine Lieblingsausrede, dass andere es ohnehin besser können. Inzwischen weiss ich, dass es schon immer so war und immer so bleiben wird. Aber ist das ein Grund, seine Kunst zu vernachlässigen? Es sollte uns anspornen und jeden Tag neu motivieren, auch so gut zu werden. Und obwohl es messbare Kriterien gibt, was gut ist und was nur mittelmässig, könnten wir versuchen, es wertfreier zu formulieren: die anderen spielen es anders. Wir bemühen uns um die bestmögliche Interpretation, beachten die Tempovorschriften ganz genau, üben und üben, bis wir auch die schwersten Läufe in diesem Tempo meistern können, und auch wenn es dann nicht die gültige Aufführung wird, ist es doch unsere ganz individuelle, mit der wir unsere eigene Botschaft überbringen können. Wenn ich an die paar bemerkenswerten Aufführungen zurückdenke, die man in einem Leben überhaupt erleben kann, dann kann  ich nicht mehr sagen, ob die Metronomzahlen exakt gepasst haben oder alle Zweiunddreissigstel gleich brillant waren – was mich in dem Moment berührt hat, war etwas ganz anderes: ein zeitloser Moment der Kommunikation mit einem längst verstorbenen Komponisten, ein Blick in die Ewigkeit und das Gefühl „genau so ist es gemeint“. Unser höchstes Ziel sollte es nicht sein, so perfekt wie eine bewunderte Aufnahme zu werden, sondern so gut zu spielen, dass wir unsere Zuhörer in der Seele berühren.

Eine andere innere Stimme, die genau so destruktiv wirken kann, sollten wir auch ignorieren: den immer gegenwärtigen inneren Kritiker. Man kann ihn auch Zweifel oder Skepsis nennen – letzlich ist es ein seltsamer Teil von uns, der unsere kreativen Bemühungen sabotieren will und dem wir nur zu leicht nachgeben. Soll ich wirklich einen Kuchen mitbringen, wenn XY kommt, die es so viel besser kann? Soll ich ihr was Selbstgestricktes schenken, wo sie doch viel Schöneres produziert? Wieso soll ausgerechnet ich Ravel spielen können, mir fehlt die ganze Eleganz und Leichtigkeit? Dieses Phänomen wird von Julia Cameron in „Der Weg des Künstlers“ beschrieben, und erst, als ich es in ihren Worten las, wurde mir der ganze Sachverhalt bewusst. Lässt man sich auf zermürbende Diskussionen mit dem inneren Kritiker ein, ist das Projekt in genau dem Moment zum Scheitern verurteilt, vor allem, wenn es sich in einem frühen Stadium befindet. Man kann ja erst mal arbeiten und üben und dann eine wohlwollendere, aber auch kritische Bestandsaufnahme mit dem Skeptiker unternehmen. Selbstkritik ist unerlässlich und auch eine hohe Kunst. Wir sollten jedoch nicht zulassen, dass sie auf destruktive Art alle unsere Bemühungen im Keim erstickt.

5 Gedanken zu „Ausreden: Innerer Kritiker

  1. Hallo Martina,vielen Dank für deine lieben Kommentare bei mir! Ich freu mich so sehr darüber!! Gerade stöbere ich ein bisschen durch deinen Blog – das mit dem inneren Kritiker kenne ich. Ich habe ein Semester Musik in Wien studiert und es dann gelassen, weil ich einfach nicht damit zurecht gekommen bin. Mit diesem inneren Kritiker, dem ständigen Vergleichen… das ist etwas Schwieriges, das Maß zwischen gesunder Selbstkritk und dem Destruktiven, so gut fasst du es in Worte.
    Ein wunderschönes Bild auch, das Licht und der Schatten… alles Liebe. Ich freu mich von dir zu lesen 🙂 und auch bei dir komm ich wieder vorbei!!! Alles Liebe, Maria

    P.S. Ja, das mit dem Geigen hab ich mir auch so gedacht. Hier in der Gegend gibt es kaum Kinder, die Geige spielen (Blasmusik ist groß angesagt) und ich warte mal, bis sie wenigstens 5,6 Jahre alt ist (denke ich). Wenn ihr Wunsch dann immer noch so groß ist, kann sie immer noch damit beginnen 🙂

  2. Manchmal kann es sogar gut sein, das erste Schuljahr noch abzuwarten. Für viele Kinder ist das so ein Umbruch, dass sie damit genug zu tun haben. Ich weiss auch, dass viele von „Zeitfenstern“ sprechen, in denen etwas passiert sein muss, aber ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass es später schneller geht. Umgib Deine Tochter einfach mit Musik, wo’s nur geht – hört Euch die Vier Jahreszeiten an, oder die Bach-Partiten, oder Mozart Violinkonzerte, und singt ganz viel!!!
    Ich finde Deinen Blog wunderschön! Nach dieser Mischung aus Alltag/ Haushalt und Tiefgründigem habe ich lange gesucht. Ich besuch Dich sicher auch wieder! Liebe Grüsse, Martina

  3. ja, die reproduzierenden Künstler haben es schon schwer. Wir Maler hängen etwas grün-blau-gelbes an die Wand und sagen, „das ist Broadwies bei Dorfen“, jedenfalls so wie wir es sehen – bei einer Schubert-Sonate oder einer Chopin-Etüde ist da der Spielraum für den Pianisten deutlich kleiner. Da kontrolliert nicht nur der innere Kritiker, jeder interessierte Zuhörer kennt „die gültige Interpretation“ von Murray Perahia oder M. Pollini oder wem auch sonst und die technischen Fähigkeiten des Vortragenden werden auch an im Studio entstandenen und aufpolierten Aufnahmen gemessen. Aber wie langweilig wäre es, wenn es nur diese „richtigen Interpretationen“ gäbe, die CD-Sammlung könnte nicht mehr wachsen, keine Vorfreude auf eine neue, hochgelobte Aufname von D.960, kein Vergleichen und Wundern und Staunen.
    Ein Hoch auf die vielen begabten und ernsthaften Pianisten, die nicht zu den dreissig oder vierzig Weltstars gehören. Sie üben monatelang neben ihrer sonstigen Tätigkeit, kämpfen mit störrischen alten Flügeln vor kleinem Publikum für wenig oder gar kein Geld und nehmen uns doch für eine Stunde auf ihrer Reise in die Welt von Schubert und Co. mit. Und auch wenn Sie dabei eimal auf einen holperigen Weg geraten oder sich gar verirren – sie schenken uns echte Erlebnisse – Freude, Mitbangen, Sorge und Glück und die Erinnerung.
    Das darf und der innere Kritiker auf keinen Fall nehmen!!!

  4. Vielen Dank für diesen wunderschönen Kommentar! Solche Zuhörer sind wichtiger und wertvoller als jede materielle Belohnung!
    Liebe Grüsse! Martina Sommerer

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