Auf der Suche nach einer Klavierschule für Erwachsene stiess ich auf Pamela Wedgwoods „Es ist nie zu spät, Klavier zu lernen“. Nicht nur, dass meine Schüler und ich die „Jazzin‘ about“ – Reihe von ihr schätzen und lieben – ich war begeistert von diesem lustigen und positiven Titel. Erwachsene sind ja oft etwas ängstlich oder voller Zweifel, ob sie’s wirklich anpacken sollen, und da verbreitet so eine Überschrift gleich die nötige positive Grundeinstellung. Jetzt geht diese Klavierschule in die erste Testphase hier bei mir – ich muss sagen, die erste Stunde mit der Begleit-CD war schon mal richtig nett und motivierend. Der Knackpunkt einer Klavierschule ist für mich immer, wie man den Übergang von der Schule ins richtige Leben, sprich: zu Originalliteratur, schafft. Wie gut gerüstet man technisch ist, wie gut die Unabhängigkeit der Hände vorbereitet wurde, wie gross der Tonumfang ist, den man kennengelernt hat, ohne dass ich zu viele Extrainformationen oder spezielle Übungsstücke beisteuern muss… Ich bin auf jeden Fall gespannt darauf, für meine Erwachsenen, die ich bisher immer mit Kinderschulen traktiert habe, ein Heft ohne Teddybären und Mäuse kennenzulernen!
(Von den Schulen für Erwachsene, die zur Zeit auf dem Markt sind, überzeugt mich keine hundertprozentig, im Gegenteil: nachdem ich sie mit mehreren Schülern ausprobiert habe, verlasse ich mich auf die Kinderschulen).
Auf der Fahrt nach Erding habe ich immer Zeit, meine Gedanken wandern zu lassen. Der geniale Titel ging mir nicht aus dem Kopf. Je mehr ich drüber nachdachte, desto allgemeiner und philosophischer wurde er. Im Grunde genommen entlarvt er eine grosse, bequeme Ausrede für viele Dinge im Leben. Ab einem gewissen Alter ist es einfacher, zu behaupten, für manche Dinge wäre es zu spät. Dabei wollen wir uns nur nicht zu sehr anstrengen! Zwei Dinge, bei denen ich mir bequemerweise vormache, es wäre zu spät: anständig italienisch zu lernen, und sich endlich mit dem Zehnfingersystem zum Schreiben vertraut zu machen.
Doch es ist nie zu spät, um
– weniger Schokolade zu essen
– einen lieben Brief zu beantworten
– endlich eine lange geplante Einladung auszusprechen
– den Schrank mit Zeug im Keller auszumisten
– eine bewunderte Geigerin ganz schüchtern zu fragen, ob sie mal mit mir spielen will, und erstaunt festzustellen, dass sie das seit Jahren auch will
– völlig unbekannte Literatur dafür auszusuchen und festzustellen, dass Clara Schumanns Romanzen op.22 wahre Juwelen sind
– über seinen Schatten zu springen
– ……………………….und?