Seelenbaumeln

DSCF8372Es ist Samstagnachmittag, ein strahlender, warmer Tag. Ich sitze in St. Veit auf meiner Picknickdecke unter einer grossen schattigen Buche, Omas Damastserviette auf dem Schoss, esse eine österreichische Semmel, Käse, Cocktailtomaten und die herrlichsten, dicksten Herzkirschen aus der Steiermark. Über mir lugt der dunkelbraune Holzgiebel der Klinik, in der Thomas Bernhard seine Tuberkulose kurierte, über den Hang, darüber leuchtet knallblauer Himmel. Ich bin im Salzburger Land und einfach glücklich, dass ich gefahren bin.

Nachdem mein Schülerkonzert vorbei ist und die heissen Sommertage anhalten, hatte ich extreme Reiselust und wollte einfach was Nettes machen, auch wenn die Ferien noch ein paar Wochen weg sind. Alle meine nahen Menschen zogen es vor, was anderes vorzuhaben/ Dienst zu haben/ am Wochenende in die Chorprobe zu gehen. Fast hätte ich mich wieder für die heimischen Seen entschieden – aber was solls, allein wegfahren hat viele Vorteile, und mein Autole zappelt schon, wenn es hört, dass es wieder nach Österreich fahren darf. Und es ist der perfekte Reisebegleiter: quasselt nicht, ist die Zuverlässigkeit in Person und wartet geduldig an jedem Badesee, in den ich springen muss. Und findet den Weg nach Süden inzwischen fast von selbst. Ein gefühlter Katzensprung von Bad Reichenhall, und man ist in einer traumhaft anderen Landschaft, in der die Seele wirklich baumeln kann.

DSCF8421Mit dem Lieblingsreiseführer habe ich mir eine ziemlich vollgepackte Tour im Pongau zusammengestellt. Warum nicht, wenn ich schon mal da bin. Und ich bin ja immer noch am Sondieren und Kennenlernen und stelle fest: es geht nicht nur um das aktuelle Erleben, sondern auch Herausfiltern, was mir am Besten gefällt. An welche Orte ich vielleicht mal für länger zurückkommen will. Ausgehend von der Liechtensteinklamm, die mit ihrem türkisen Wasser für einen heissen Sommertag sehr verlockend aussah, habe ich mich entschieden, in St. Johann im Pongau zu übernachten und Franziskas Lieblingsplätze rundherum zu besuchen.  Zwei waren schön und interessant, aber ich muss sie nicht noch mal sehen: der Thomas-Bernhard-Wanderweg in St. Veit ist wahrscheinlich für echte Bernhard-Fans ein Muss, für mich war es nur ein mehr oder weniger netter Spaziergang (im Neubaugebiet, das es zu Bernhards Zeiten wahrscheinlich noch nicht gab, hab ich ziemlich Gas gegeben – vielleicht hab ich deshalb nur 60 statt der veranschlagten 90 Minuten für den Weg gebraucht?). St. Veit nennt sich zu Recht „Salzburgs Sonnenterrasse“ und mir war es so ganz ohne Schatten einfach auch zu heiss. Was an der Tageszeit gelegen haben könnte… Verblüffend war, wie schnell man zu Fuss Distanzen überwindet. Vom Klinikgelände aus kommt einem die Pfarrkirche auf dem anderen Hügel wirklich weit weg vor, aber im Nu ist man dort und sieht das breitgezogene Krankenhaus scheinbar in ziemlicher Ferne liegen. Doch nach einer halben Stunde ist man wieder dort.

Das andere nicht sensationelle, aber schöne Erlebnis war der hochgelegene Friedhof in Hüttschlag. Der Ort liegt am Ende des Grossarltals, und die Landschaft ist schon sehr, sehr schön und lieblich. Das besondere an dem Friedhof rund um die Kirche sind seine schmiedeeisernen Grabkreuze – andere Grabsteine gibt es nicht. Und eben der Ausblick auf die Bergwelt hier am Talschluss. (Ich hab übrigens mal wieder den Grossglockner gesehen – glaube ich… Was Spitzes, Hohes mit Schnee drauf…) Aber auch hier war pralle Sonne, und Hüttschlag war seltsam ausgestorben. Wahrscheinlich ist es spannender, wenn man gezielt zum Wandern herkommt. Ich hab mich ein bisschen umgesehen und es gibt zahlreiche kleine gelbe Tourenschilder.

Und noch was aus dem Buch, was ich quasi nur im Vorbeifahren angeschaut habe: am Heimweg dachte ich, ich fahre anders und von Bischofshofen über Dienten nach Saalfelden, um den Hochkönig mal zu sehen. Fast 3000 Meter hoch, sechs Stunden Aufstieg – so was mach ich eh nicht. Aber angucken wollte ich diesen höchsten Berg der Berchtesgadener Alpen doch mal. Ich hatte keine Ahnung, dass die Strasse so steil ist: Grossglocknermässig musste ich das Auto im 2. Gang röhrend hochjagen. Aber es hat sich gelohnt: das Hochkönigmassiv ist grandios. Und ich mag es, wenn die Nadelbäume immer spärlicher und die Felsen mehr werden – komme mir vor wie in Kanada.

DSCF8410In aufsteigender Sensationsreihenfolge kriegt die Liechtensteinklamm den vorletzten Platz: perfekt für einen heissen Tag, und schon enorm imposant. Für mich als Musikerin war die Geräuschkulisse besonders beeindruckend, an das werde ich mich auch immer erinnern, wenn ich an die Klamm denke: ein meistens ohrenbetäubendes Tosen, Gurgeln und Rauschen, bis man am Ende des Wegs den nicht minder lauten grossen Wasserfall erreicht. Was für eine Idee, in dieser Wildnis und Wildheit Stege und Treppen zu bauen, damit auch normale Menschen dieses Naturwunder erleben können! Die Stege sind übrigens nichts für Leute mit Höhenangst – es war halb zehn morgens und wirklich kühl in der engen Schlucht, aber ich war mal wieder schweissgebadet. Ich fürchte, das wird nichts mehr. Hat doch der Desensibilisierungsversuch letztes Jahr am Schafberg so gar nicht hingehaut… Ich wollte ungefähr drei Mal umkehren und musste mir gut zureden mit „nur noch ein Schritt, und noch einer, und nicht runter schauen…“ Gut war, dass ich dank Übernachtung sehr früh dran war und die Schlucht praktisch für mich hatte. Am Rückweg drängten sich wirklich Busladungen voll Tagestouristen rein und mir wurde mehr als einmal anders angesichts der Körperfülle von einigen. An manchen Brücken und Stegen steht das  – wenig vertrauenerweckende -„Bitte Ansammlungen auf den Stegen vermeiden!“, und ich fürchte, zwei von den beleibteren Exemplaren muss man schon als „Ansammlung“ betrachten. Wenn dann noch ich auf den Steg gegangen wäre, hätte es eine Katastrophe gegeben.

Ganz oben aufs Siegertreppchen der Reise kommt Goldegg. Gold für Goldegg… Ein wahrlich zauberhafter Ort, der bald einen eigenen Artikel kriegt.

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