Die Anfrage eines Kollegen, ob ich ihn beim Marimba-Konzert von Paul Creston begleite, war eine willkommene Abwechslung. Ein mir unbekanntes Werk des 20. Jahrhunderts? Rhythmisch kompliziert? Ein anspruchsvoller Klavierauszug, der meinen Kopf wieder ein bisschen auf Trab bringt und mich überlegen lässt, wie ich meine Finger daran hindere, sich komplett zu verknoten? Ein Instrument, das ich noch nie begleitet habe? Her damit! Meine Bereitschaft, mich kopfüber in was Unbekanntes zu stürzen, auch wenn viel Arbeit damit verbunden ist, zeigt mir, dass ich im Alltag klaviermässig doch oft unterfordert bin beziehungsweise mich zu gemächlich in den immer gleichen Bahnen bewege. Und so wurde erst mal gelesen und Vorzeichen abgeklärt, geübt, im Netz recherchiert über diesen Komponisten und das Werk speziell, eine schöne Aufnahme angehört mit diesem erstaunlichen Instrument, das dem meinen so ähnlich ist und doch so anders – kurz, der Horizont wurde auf angenehme Weise wieder ein bisschen erweitert, die Gedanken in eine andere, unbekannte Richtung geleitet.
Aber – selbst wenn es einen Konzerttermin gibt und man seine Zeit am Klavier klug einteilen sollte – was passiert, wenn man sich abends, nach einem Gartenrundgang, einem vorsichtigen Blick ins Amselnest, einem hoffnungsvollen auf die kurz vor dem Aufgehen stehenden Pfingstrosen, in entspannter Stimmung noch mal kurz ans Klavier setzt? Statt der geplanten, für den Lernprozess wichtigen nochmaligen Wiederholung des tagsüber Geübten suchen sich die Finger spontan die B-Dur-Partita, und statt Creston lernen die Amseljungen vor dem Fenster Bach kennen… Und ich fühle mich wohl so und spüre, dass meine Finger und mein Kopf jetzt genau diese Abwechslung brauchen. Was Neues ist gut und schön, aber was Vertrautes ist manchmal genau so wichtig. Um auch beim Neuen wieder weiter zu kommen, andere Aspekte und Querverbindungen zu sehen, Lust auf das genau Entgegengesetzte zu bekommen…
Diese Tendenz, Bekanntes und Unbekanntes zu kombinieren, bemerke ich auch in anderen Bereichen meines Lebens. Da wartet das neue Bibliotheksbuch auf dem Nachtkästchen, aber man will im vertrauten, gefühlte hundert Mal gelesenen Werk kurz eine Passage nachgucken – und beim Lichtausmachen nach einer Stunde legt man die Brille auf das ungeöffnet gebliebene neue Buch und ist wieder begeistert und beglückt vom schon so oft gelesenen. Oder beim Spazieren – es gibt Tage, da hangele ich mich auf abenteuerliche Weise über Wiesen und Innhänge, die ich noch nie betreten habe, und suche mit Absicht einen noch unbekannteren Umweg. An anderen brauche ich es, meine ganz gewohnten Wege in aller Gelassenheit zu gehen, meine (vermeintlich) vertrauten üblichen Fischreiher oder Biber zu sehen.
Die Lust auf Neues zeigt, dass man noch lebendig ist. Der Wunsch auf Wiederholung von Vertrautem, dass man immer wieder eine Bestätigung dessen braucht, was einen ausmacht. Und je mehr Neues dazu kommt, desto mehr weitet sich die Persönlichkeit, desto reicher auf eine nicht-materielle Weise wird man. Ist nicht die Freiheit, wählen zu können, das Beste an diesem Pendeln zwischen zwei Polen?