„Was machen Sie eigentlich beruflich?“

Mit dieser Frage sah sich eine Kollegin konfrontiert, nachdem sie mit neuen Schülereltern ausführlich am Telephon über den etwaigen Unterricht des Sprösslings gesprochen hatte. Ich wurde zwischen zwei Schülern schon mal gefragt, was ich „später mal“ machen wollte. Eine verwirrende Frage, auf die es viele Antworten gibt – Klavier unterrichten will ich trotzdem immer noch! Sehr beliebt ist auch die Nachfrage, was man eigentlich tagsüber mache. Letztes Mal wurde sie an mich herangetragen, als ich nach einem Konzert im Abendkleid hinter der Bühne stand. Ich hätte so viele schöne Antworten parat, traue mich aber nicht, auf eine so ernsthafte Nachfrage frech zu antworten. Wenn ich sagen würde: „Was ich so mache? Zeitunglesen, Spazierengehen, ein bisschen Haushalt, Klavierspielen…“ wird das womöglich ernst genommen. Wenn ich, der Wahrheit entsprechend, sage, dass ich in den letzten Monaten täglich mehrere Stunden am Konzertprogramm gearbeitet habe, lachen Nicht-Musiker oft darüber, als hätte ich einen besonders gelungenen Witz gemacht.

Auch was das Ausmass unserer Arbeit betrifft, hat mein Umfeld oft seltsame Vorstellungen. Vielen ist es suspekt, dass ich vormittags tatsächlich spazierengehe oder zeitunglesend in
einem Café sitze. Und kürzlich sassen wir mit Bekannten zusammen, die wir mehr als zehn  Jahre kennen. Da fragte einer tatsächlich, ob ich von meinem Unterrichten leben könnte. Was heisst hier könnte, ich tue es ja die ganze Zeit! Er wollte wissen, wie viele Schüler ich denn habe. „Was, 38? Die jede Woche kommen? Da musst du ja jeden Tag unterrichten?“ Ganz recht, und das an fünf Tagen in der Woche. Er war aufrichtig erstaunt. Anscheinend hatte er es für eine nette Freizeitbeschäftigung gehalten, weil ich Kinder so gerne mag. Nächste
Bemerkung: „Na, dann musst du ja ganz ordentlich verdienen!“ In zwei Minuten gewann unser Berufsstand rapide an Ansehen – von „kann man davon leben?“ bis „da musst du ja gut verdienen!“. Wäre die Aufklärungsarbeit nur immer so leicht! Und am meisten wünsche ich mir, sie wäre gar nicht nötig!

Seit dem 19. Jahrhundert spuken folgende Bilder durch unsere Köpfe, wenn wir an private Instrumentallehrer denken: meistens handelt es sich um gescheiterte und frustrierte Solisten, deren hartes Los es ist, uninteressierten und aufmüpfigen Kindern etwas beizubringen. Finanziell kommt man damit mehr schlecht als recht über die Runden, was sich in ärmlicher Kleidung und allgemein einem bescheidenen Lebensstil bemerkbar macht. Ganz typisch ist auch die alte Jungfer, die, doppelt frustriert, ihr Leben mit Klavierunterricht fristen muss. (Ich denke mit Grausen an eine Erzählung von Arthur Schnitzler, in der eine ärmliche Klavierlehrerin zu einem Essen eingeladen wird und sich ein Stück Fleisch mit nach Hause nimmt, da sie sonst selten zu so einem Genuss kommt. Auch wenn man das nur unbewusst aufnimmt – es prägt das Bild, das man von einem ganzen Berufsstand bekommt.) Eine pädagogisch fundierte Ausbildung haben die wenigsten der beschriebenen Exemplare, geschweige denn eine musikalisch solide oder gar einen Studienabschluss. Entsprechend ist auch der Erfolg der Schüler. In „Flucht in die Finsternis“ von Schnitzler heisst es: „(Sie machte) in ihrer Eigenschaft als Klavierlehrerin eben nur von den zufälligen Kenntnissen Gebrauch, die sie sich früher einmal, in besseren Lebensumständen als heute, zu erwerben Gelegenheit gehabt hatte.“

Inzwischen sind wir weit entfernt von solchen traurigen Existenzen. Seit es pädagogische Studiengänge für den Instrumentalunterricht gibt, entscheiden sich immer mehr Musiker bewusst fürs Unterrichten und betrachten es nicht als Notlösung, falls es mit der Karriere nicht klappen sollte. Der Methodik- und Didaktikunterricht der letzten Jahrzehnte wurde immer vielschichtiger. Parallel dazu kamen eine Menge neuer, kindgerechter Klavierschulen auf den Markt, die mit ihren bunten Illustrationen auf den ersten Blick wie ein Bilderbuch wirken. Stand früher die Musik und technischer Drill im Mittelpunkt, werden heute viel mehr die unterschiedlichen Entwicklungsphasen und Bedürfnisse der Schüler berücksichtigt, in denen dann adäquat auf die einzelnen Lerninhalte eingegangen wird. Die Ausbildung ist fundierter, die Erwartungen, die wir an unseren Beruf haben, klarer. Seit dem Aufkommen der Musikschulen haben Instrumentallehrer auch endlich die Möglichkeit, ganz bürgerlich und abgesichert mit einem festen Vertrag im öffentlichen Dienst angestellt zu sein. Die Musikschulen ihrerseits können sich aus der Fülle der Absolventen die motiviertesten herauspicken. Mir ist klar, dass nicht jeder so eine angenehme Stelle ergattern kann, aber ist
man mal in dieser Position, ist man meilenweit von der ärmlichen Lehrerfigur entfernt und kann sich wirklich nicht beklagen. Obwohl es nicht leicht ist, eine ganze Stelle an einer Musikschule zu bekommen, kann man auch als Teilzeit-Angestellter mit einer entsprechenden Schar an Privatschülern komfortabel leben, oder ausschliesslich von Privatschülern, wie meine eigenen Lehrer.

Was können wir also tun, damit unser Berufsstand die Achtung bekommt, die er verdient?

Durch freundliche, aber knappe Gespräche mit Eltern, die ihre Kinder abholen, vermittelt man ihnen und den Schülern, dass der Nachmittag Arbeitszeit ist, in der jede Minute kostbar
ist. Auch wenn einem manche Eltern sehr sympathisch sind und man sich gern über etwas austauschen möchte, sollte man dafür andere Gelegenheiten wahrnehmen. Wenn man mit Eltern zu tun hat, sollte man immer daran denken, dass sie den Eindruck, den sie dabei von uns bekommen, in die Öffentlichkeit weitertragen. Durch unser Verhalten können wir also das Bild, das andere von uns haben, massgeblich beeinflussen.

Auch die Kleidung spielt dabei eine grosse Rolle. Vor allem, wenn man hauptsächlich zuhause unterrichtet, sollte man auch äusserlich signalisieren, dass jetzt Zeit fürs Lernen und für die Kunst ist und man nicht noch fünf Minuten vorher in alten Klamotten Fernster geputzt hat.

Wenn man zuhause unterrichtet, ist es wichtig, passende Räume dafür zu haben oder, falls das nicht möglich ist, eine Nische in einem Zimmer, die nur dem Unterrichten vorbehalten ist. Für mich muss das eine Umgebung sein, die auf den ersten Blick zeigt, dass wir uns hier mit Kunst beschäftigen – inspirierende Bilder und Zweige oder Blumen aus dem Garten schaffen eine Atmosphäre, die uns den Alltag vergessen lässt. Die jeweiligen Noten, Stifte und Spiele habe ich in leicht zugänglichen Körben. Während ich telephoniere, staube ich oft mit der anderen Hand meinen Flügel ab. Auch sonst sorge ich dafür, dass das Zimmer, in dem wir so viel Zeit verbringen, möglichst wenig kreatives Chaos ausstrahlt.

Auch die Öffentlichkeitsarbeit sollte nicht unterschätzt werden. Natürlich ist es für Eltern und Schüler schön, ein gelungenes internes Schülervorspiel anzuhören. Noch besser wäre es, diese Situation dafür zu nutzen, auf sich und die Qualität seiner Arbeit aufmerksam zu machen. Wenn möglich, sollte man seineSchülerkonzerte im Veranstaltungskalender der Zeitung ankündigen lassen. An der Saalmiete für passende Räumlichkeiten sollte man auch nicht sparen. Ein Konzert im Rathaus oder im Biedermeier-Salon eines Schlösschens wird allen viel länger im Gedächtnis bleiben als eines in einem nüchternen Pfarrsaal. (Das ist übrigens auch eine der Sachen, die man als Musiker tagsüber macht – telefonieren, organisieren, Programme schreiben und drucken…)

Der wichtigste und schwierigste Punkt für mich war es, Unbekannten in einem Wort zu beschreiben, was ich beruflich mache – also jetzt wirklich, nicht neben dem Unterrichten. Zu
oft hatte ich schon einschlägige, mitleidige Reaktionen auf meine Antwort, so dass ich oft versuchte, um die Sache herumzureden: „Ich bin Musikerin.“ – zieht
unweigerlich weitere Fragen nach sich. „Eigentlich bin ich Pianistin, aber ich verdiene mein Geld mit Unterrichten.“ Führt auch zu längerem Nachfragen und Vorschlägen, unter anderem, dass ich ja immer noch heiraten könnte. Warum ist es so schwer, mit Selbstbewusstsein zu sagen: „Ich bin Klavierlehrer/in.“? Inzwischen tue ich es und geniesse es auch, dass man damit sofort in medias res gehen kann und über seine Schüler oder Konzertprojekte sprechen kann. Vielleicht sollten wir das alle tun, um unserem Beruf zu der Anerkennung zu verhelfen, die er verdient.

Es gibt noch Aufklärungsarbeit zu leisten, nicht nur, was das Unterrichten betrifft. Es ist amüsant, wenn Angela Hewitt auf ihrer Webseite schreibt, dass sie von einer Taxifahrerin gefragt wurde, was sie mache, und auf ihre Antwort, dass sie Pianistin sei, die Bemerkung kam: “Sounds relaxing“. Gleichzeitig ist es traurig, was für ein Bild die Öffentlichkeit von uns hat. Also – arbeiten wir täglich daran, das zu ändern!

(veröffentlicht in „Pianonews“ 1/2012)

 

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