Manchmal denke ich mir bei einem Schüler „warum nicht
gleich?!“ und merke, dass wir über Umwege ans erwünschte Ziel gekommen
sind – und zwar ganz anders, als ich geplant hatte oder als ich aus Erfahrung
für gut befunden hätte… Manchmal, wenn etwas nicht so läuft wie man will,
bringt es nichts, auf diesem Problem rumzureiten. Oft ist es Zeitverschwendung,
weil der Schüler aus irgendeinem Grund noch nicht bereit oder fähig ist, die
Aufgabe ohne gigantische Kraftaufwendung auszuführen. Dann ist der Umweg der
bessere Weg. Warum scheut man sich so davor, den Weg des geringsten Widerstands
zu gehen? Muss mein Klavierunterricht wirklich so arg Charakterbildung und
Disziplinübung sein, dass sowohl der Schüler als auch ich ganz ermattet sind?
Nein, und schon gar nicht bei sommerlichen Temperaturen!!
Warum erlauben wir uns selber manchmal nicht den einfacheren Weg,
wenn der andere unmöglich erscheint. Und nach ein paar Wochen einfach ist man
auf einmal auch ein Stück weiter, und plötzlich geht das vorher Unmögliche wie
von selbst. Und scheint so selbstverständlich, dass man kurz innehalten muss,
zum sich klarzumachen, dass man einen grossen Schritt weiter gekommen ist. Wie
letzte Woche: ich habe letzten Herbst einen sehr begabten Schüler übernommen,
der sich unbedingt musikalisch ausdrücken muss, aber in seinem Alter schon viel
weiter sein könnte. Die Ideen quellen nur so über, aber seine katastrophale
Weigerung, Noten zu lesen, hat ihn gehindert, wirklich weiterzukommen. Es war
nichts zu machen, nach zwei, drei Mal hören konnte er alles auswendig.
Irgendwann – noch im Herbst – dachte ich entnervt, dann soll er halt auswendig
spielen. Und er spielt. Und spielt. Ich habe ihn einfach mit Literatur
überschüttet. Und er hat solche Fortschritte gemacht und so ein tolles Niveau
erreicht. Letzte Woche legte ich ihm neue Noten aufs Pult und er fing an, zu
spielen. Den Kopf nicht wie üblich auf die Tasten gesenkt, sondern Blick nach
oben. Er las einfach die Noten. Bis ich ihn unterbrach und sagte: „Du
liest die Noten?!“ Er: „Ja.“
Und jetzt liest er, und spielt so viel besser als im Herbst. Wenn
ich ihn vor ein paar Monaten gewzungen hätte, hätte er vielleicht die Lust
verloren – was man einem Dreizehnjährigen nicht verübeln könnte.
Statt über meine eigenen Schwächen zu grübeln, versuche ich auch,
den Umweg über meine Stärken zu nehmen. Schliesslich sollt man irgendwann so
weit sein, dass man es versteht, wann man sich das Leben leichter machen darf,
oder?