Nachdem ich mit einem hauptsächlich cellospielenden Klavierschüler ein Saint-Saens – Konzertstück länger als geplant geprobt hatte, meinte seine Mutter beim Abholen: „Warum tun Sie das? Sie verschenken ihr Talent an die Kinder.“ Mit uns beiden, ihm, der nächsten Schülerin und dem Cellokasten ist unser Flur gestopft voll. Ich bin noch völlig eingehüllt in die herrliche Musik, die wir grade zusammen produziert haben, und fühle mich auch physisch so umgeben von Wohlwollen und Sympathie, dass meine spontane Antwort direkt aus dem Bauch kommt: „Ich verschenke nicht, ich investiere. Und es ist die beste Investition, die es überhaupt gibt.“
Es klingt mehr als kitschig, ich weiss. Aber es stimmt. Wo sonst bekommt man im Moment so viel zurück, wenn man etwas anlegt? Die Freude und Begeisterung meiner Schüler, ihre Fortschritte, ihr immer grösseres Können belohnen mich hundertfach für das bisschen an zusätzlicher Zeit, dass ich ihnen manchmal zukommen lasse. Manchmal sind es einfach die zehn Minuten extra, die einen weiterbringen, wenn man kurz vor dem Durchbruch steht. Oder die zehn Minuten, die man in ein Gespräch investiert.
Und das mit dem „Talent verschenken“: was soll ich denn sonst damit machen? Die Konzertbühnen der Welt kommen bestens ohne mich aus. Trotzdem will und muss ich Klavier spielen. Und wenn ich schon nicht ohne leben kann, ist es für mich logisch und sinnvoll, dieses Talent in der Provinz und für Kinder zu nutzen. Eben weil ich sehe, dass die Flamme am Leben gehalten wird und das, wovon ich überzeugt bin, in der nächsten Generation weitergeht. Ich finde, es gibt keine bessere Dividende. Und es trägt zur Seelenruhe bei, so im Einklang mit sich und seinen Werten leben zu können. In der Hinsicht führe ich ein wirklich reiches Leben.
Und was ist überhaupt die Währung, um die es geht? Auf jeden Fall etwas, das mehr wird, indem man es ausgibt. Etwas, bei dem es klüger ist, es nicht auf einem Konto zu horten und nur für sich zu behalten. Auch auf die Gefahr hin, dass es noch kitschiger wird, aber: eigentlich ist es Liebe. Oder Freundlichkeit. Oder Grosszügigkeit. Eine von den Eigenschaften, die den grossartigsten Ertrag abwerfen – weil sie auf jeden Fall mehr werden, je mehr man sie in sein Leben lässt. Ich habe so oft die Erfahrung gemacht, dass meine Umgebung das spiegelt, was ich aussende. Wenn ich will, dass meine Schüler höflich sind, behandle ich sie so. Wenn ich mir mehr Geduld von anderen wünsche, bin ich selber geduldig. Es ist eigentlich so leicht, die Welt ein bisschen angenehmer und menschlicher zu machen. Und ich bin froh, wenn ich in einer so entspannten Geistesverfassung bin, dass ich auch bewusst solche positiven Eigenschaften pflegen und einsetzen kann. Stress und Ärger übertragen sich genau so schnell.