Auch wenn viele dem vergangenen Sommer wettermässig kein gutes Zeugnis ausstellen – ich habe das Gefühl, er war lang und strahlend wie selten. Für mich begann er schon Anfang Juni mit wunderbaren Ausflügen ins schönste Wetter. Die Fotos zeigen, dass der Himmel dauerblau war. Ebenso im Juli, in dem auch jedes Schönwetterwochenende genutzt wurde. Und über den August in Rom muss man kaum sprechen. Ich hab meinem Autole viele Kilometer abverlangt und einfach bewusst das Draussensein und Wegsein gesucht und genossen. Dass mir der Sommer gefallen hat, ist sicher eine subjektive Wahrnehmung. Aber ich hab so viel Sommer pur erlebt, dass mein Herz jubiliert beim Anblick des feuchten Morgennebels im Garten. Und am Inn. Und dem ganzen nassen Grün um uns hier, der fast greifbar nassen Luft, dem ständigen leisen Geräusch von Nässe, die von Bäumen tropft. Und merke: das ist es. Das entspricht meiner Natur. Hier bin ich zuhause.
Besonders deutlich wurde diese Überzeugung, als ich am Wochenende vor Schulanfang die dreissig Kilometer flussabwärts nach Au am Inn fuhr. Ich hatte um 17 Uhr ein Konzert in der dortigen Klosterkirche, aber unversehens hatte sich Besuch angesagt. Und ich muss sagen: es fiel mir schwer, an diesem regnerischen Tag die nette Gesellschaft zu verlassen, die bei brennenden Kerzen, Pflaumenstreuselkuchen und dem ersten Gewürzkuchen des Jahres bei uns sass. Weil ich Angst hatte, dass vom Kuchen nichts für mich übrigbleibt. Und weil ich gar nicht gern Orgel spiele. Und weil es regnete…
Ich fuhr mit gemächlich winkendem Scheibenwischer durch den Nieselregen. Die Strasse schlängelte sich durch üppig grüne, nasse Wiesen und die Gegend wurde immer einsamer. Als nur noch einzelne Bauernhöfe auf den Hügeln lagen, spürte ich, wie sich mein Herz regte. Und sich freute über den Regen, das Grün, die Stille und Ruhe um mich. Es war wirklich ein Ankommen und Nach-Hause-Kommen nach den vielen Fahrten des Sommers.
Und was auch nett war: in den letzten Wochen hatte ich so oft irgendeine wunderschöne Kirche als Ziel – als Touristin. Und kenne die Vorfreude, wenn man um die letzte Biegung fährt und vielleicht die Türme vor sich auftauchen sieht. Das Kloster Au liegt ja extrem malerisch am breiten Inn und die charakteristischen Türme heben sich deutlich von den Wiesen drumherum ab. Und diesmal war es so ein anderes Gefühl. Schon auch Vorfreude, was Schönes zu sehen, aber auch das Bewusstsein: da wird jetzt gearbeitet. In dem Raum, den andere besichtigen, darf ich mich jetzt aufhalten und spielen. Muss nicht wie in Admont fünf Euro für eine Fotoerlaubnis zahlen, obwohl die Kirche ein ähnliches helles Rokokojuwel ist. (Typisch, dass man dann keine Kamera dabeihat, oder?) Darf oben auf dem uralten Rotmarmorboden der umlaufenden Galerie wandeln, ohne dass ich zurückgepfiffen werde – weil es nur so zur Orgel geht. Darf den ganzen grossen Raum mit Musik erfüllen und so schon mal anfangen, die Fülle an Schönem, die noch auf meiner Netzhaut flimmert, zu verarbeiten. (Denn ich bin ein furchtbar optischer Mensch und kann Schönes nicht einfach ablegen und einsortieren – ich muss es in meiner Musik weiterverarbeiten. Und grade besteht hier ein Überhang. Das betrifft völlig verschiedene Eindrücke: die dämmrig-goldglänzende Schönheit von S. Andrea della Valle, die einen wie ein Vorgeschmack aufs Paradies einhüllt. Aber auch das Stück Himbeer-Schokotorte in einem Terrassencafé vor der grünen Salzach und den verschiedenen Kuppeln der Salzburger Altstadt – was für Farben!)
Und die Orgel in Au ist ein richtig feines Meisterinstrument. Nicht eins der furchtbaren Schlachtrösser, die ich auch schon kennenlernen durfte und die meine Motivation, mich näher damit zu beschäftigen, gedämpft haben. Ich hab selten so einen Farbenreichtum erlebt und so viele Möglichkeiten, durchs Registrieren fein abzuschattieren, und sie sprach hervorrragend an – das gibt es auch selten. Weil ich mir bei solchen Gelegenheiten extra viel Einspielzeit gönne, konnte ich einfach zum Vergnügen mein gesamtes Repertoire vom 2. Band Wohltemperiertes Klavier, den ich dabei hatte, auf diesem „Klavier“ ausprobieren, auch mit dem guten Gefühl: hier würde sich niemand im Grabe umdrehen – war er doch selber so ein Bearbeiter und Umwandler. Und das war mal wieder sehr spannend, wie auch auf dem Cembalo – dass Aktionen, die auf einem Manual viel Kopfzerbrechen bereiten, auf zweien praktisch ein Kinderspiel sind.
Liebe Martina,
ich hätte dich schon gerne orgeln gehört (WTK II !!!!!) in diesem Barokjuwel, da wäre mir der Weg nicht zu weit gewesen, auch wenn das Bräustüberl, ein Juwel der bayerischen Wirtshauseinrichtungskunst, leider schon jahrelang geschlossen hat.
Viele Grüße
Wolfgang
Ich spiel’s Dir lieber mal auf dem Klavier vor, da fühl ich mich doch wohler.
Au am Inn hat so einen leicht morbiden, verlassenen Reiz – ich fürchte, da ist mehr geschlossen als nur das Bräustüberl. Aber es hat was, man hört direkt das Flüstern und Rascheln der glanzvollen Vergangenheit. Was man heute sieht, ist ja nur ein Bruchteil des ehemaligen Klosters. Und solche Orte mag ich ja schon.