Rom ist ein bis an den Rand gefülltes grosses Schatzkästchen, in dem man immer wieder auf unbekannte Preziosen stösst. Manche haben wir bewusst aufgesucht, über andere sind wir direkt gestolpert, weil wir dem Impuls nachgegeben haben, noch kurz in eine geöffnete Kirche zu gehen. Dabei haben wir zum Beispiel die drei sensationellen Caravaggio-Gemälde in S. Luigi dei Francesi entdeckt: selten habe ich eine derartig auf die Spitze getriebene Wirkung von Licht und Schatten gesehen, und die ausdrucksvollen Gesichter von Matthäus und Jesus haben sich direkt in mein Gedächtnis eingebrannt.
Oder (weil Rom so ein unmittelbares Nebeneinander von geistigen und kulinarischen Genüssen bietet, sei der Sprung erlaubt): man kann sich am Campo dei Fiori frischen Granatapfelsaft auspressen lassen, was wir auch getan haben. Ein Granatapfel ist ja immer ein ambivalentes Vergnügen wegen der Spritzer beim Zerlegen, und ich fand es toll, dass jemand anders in passender Kleidung das für mich macht und ich quasi die Essenz geniessen kann. Und während des Auspressens kann sich das Auge erfreuen an den Bergen von runden, prallen Granatäpfeln, die auf dem Tisch aufgehäuft sind.
Unsere anderen Neuentdeckungen dieses Mal: S. Giorgio in Velabro, eine der ältesten Kirchen am ehemaligen Forum Boarium, in der in guter frühmittelalterlichen Manier die Säulen von antiken Tempeln wiederverwertet wurden, aber hier – anders als in S.Sabina, die ordentlich ausgerichtet und lichtdurchstrahlt auf dem Aventino steht – auf so unkonventionelle oder sich den Gegebenheiten des Ortes halt anpassende Weise, dass man das Gefühl hat, es gibt kaum einen 90-Grad-Winkel in der Kirche. Da die Kirche unter Tiber-Niveau liegt, war sie öfter überschwemmt und ist irgendwie etwas muffig und dunkel. Doch genau das macht auch ihren Reiz aus. Und selten hat mich der Hauch der Geschichte so angeweht wie hier. So viel ich weiss, steht sie zwar nicht auf einer heidnischen Kultstätte, wie es bei den frühchristlichen Kirchen ja oft der Fall ist, aber der antike Bogen der Geldwechsler, an den die Kirche direkt drangebaut wurde, und der grosse Janusbogen daneben, überhaupt dieses Tal zwischen Kapitol und Palatin lassen einen spüren, dass hier seit Jahrtausenden ein besonderer Ort ist. Wobei Rom ja gespickt voll ist von diesen „Kraftorten“, die schon ganz früh ein Zentrum kultischer Handlungen waren – warum es mich in S. Giorgio so überfallen hat, kann ich nicht sagen, aber es war eigenartig und bemerkenswert.
Wieder ein Sprung: die Galleria d’Arte Moderna im Park der Villa Borghese haben wir auch zum ersten Mal besucht. Wir waren von aussen schon einigermassen beeindruckt bzw. schockiert von der Grösse. Sie entspricht leicht der Alten Pinakothek, und die Sammlung ist ähnlich umfangreich. Und ganz genial und sehenswert: italienische Malerei und ein paar Skulpturen der letzten 150 Jahre. Wunderschöne Landschaften aus der Umgebung von Rom aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, italienischer Jugendstil und Futurismus. Dazu: Monets Seerosen, Van Gogh, die drei Lebensalter von Klimt, Kandinsky, eine Jawlensky-Ansicht vom Murnauer Moos (etwas skurril, das in Rom anzugucken, oder?) und Mirò. Wirklich ein hauptstadtmässig umfassender und toller Überblick. Nicht das klassische Rom-Programm, vielleicht, aber ich wüsste nicht, wo sonst man so viel über die neuere italienische Malerei an einem Ort erfahren könnte. Und: es ist praktisch leer und klimatisiert, und es gibt ein sehr stilvoll eingerichtetes ruhiges Café.
Ein anderer Ort, an den wir uns sicher lange erinnern werden, war die versunkene Welt von Ostia antica, der ehemaligen Hafenstadt. Das Meer ist inzwischen noch eine Zugstation weiter weg. Die Bahn war voll von römischen Badenixen, die schon den Bikini unter den Alltagskleidern anhatten, was auch für uns das Feriengefühl verstärkte. Doch auf dem grossen Ausgrabungsgelände waren wir ziemlich allein, und das hat viel zu seinem Reiz beigetragen. Unter Pinien und blühendem Oleander gibt es endlos viele Fragmente der ehemaligen Bebauung zu entdecken. Die beste Neuentdeckung aber war Ettore, der Kater der Buchhandlung. Optisch hätte er auf einer Katzenschau nicht unbedingt den ersten Preis gewonnen, aber er muss von herausragendem Charakter sein, von dem uns seine begeisterte Besitzerin minutenlang Zeugnis ablegte. Bis ich mich irgendwann fragte: gehts noch um dieses verstruppelte 4-Kilo-Fellbündel oder um seinen antiken Namenspatron?! Das war echt rührend, und Ettore wurde natürlich von uns ausgiebig geschmust. Was den Tag in Ostia perfekt werden liess. Und ein Land, in dem Kater „Ettore“ oder „Orazio“ heissen, muss man mögen.
Liebe Martina,
die Stadt Rom sollte Dir schnellstens die Goldmedallie für herausragende Verdienste zur Förderung des Tourismus verleihen. Nach dieser Lektüre MUSS man Ettore und Orazio einfach besuchen.
Bis bald
Wolfgang
Ettore ist wirklich ein Held – wir haben miterlebt, wie er „seinen“ Hund, der noch älter war als er selbst, gegen einen völlig harmlos vorbeilaufenden Touristenhund verteidigt hat. So einen grundlosen Kampfgeist haben wir beide noch nicht gesehen!
Die Dame in der Buchhandlung ist total nett, liebt ihre Tiere anscheinend über alles und erzählt gern von ihnen. Und es war ein wirklich netter, lebendiger Abschluss des Ostia-Besuchs – sehr zu empfehlen!
Und zufällig heute kam eine Mail von der Katzenstation am Torre Argentina – wir haben da immer Patenschaften für nicht-vermittelbare Katzen und konnten unsere letzte in Rom grade noch kennenlernen und streicheln. Da war sie schon recht krank. Drei Wochen später kam die Nachricht, dass sie jetzt auch im Katzenhimmel ist. Heute wurde uns als Nachfolger ein Kater namens „Machiavelli“ angeboten. Ich hoffe, der Name ist bei ihm nicht auch Programm wie bei Ettore…
Sie könnte doch dir zuliebe einmal einen Pollini oder Benedetti Michelangeli als Namenspatron auswählen