„Was unternimmt man denn zur Freizeitgestaltung, wenn man hier wohnt?“
Wir sind auf dem Schiff auf der Rückfahrt von der Fraueninsel und gleiten an einer traumhaften abendlichen Kulisse vorbei: über der seidigen grauen Wasserfläche des Chiemsees erheben sich dunkelblaue Berge mit Schneemützen. Trotzdem ist dem nichtbayerischen Urlauber die Verdrossenheit darüber anzusehen, dass er noch fünf Tage in dieser ereignislosen Gegend gebucht hat.
„Naja, ich bin nicht so der Berg- oder Skifahrertyp. Eigentlich bin ich sehr gern zuhause. Ich gehe spazieren und lese viel.“
„Aha.“
„Ich spiele gern Klavier. Ich bin in der Küche oder im Garten.“
Schweigen.
„Wie viele Kilometer sind es bis München?“
Wie ernüchternd und traurig! Er könnte einem leidtun – aber ich kenne ihn nicht und lasse mir meine gute Laune über diesen gelungenen Ostermontag nicht verderben. Wie kann jemand so unzufrieden von dieser schönen gemütlichen Insel wegfahren? Allein der Spaziergang zu einer der letzten Fähren durch die stillen Gärten war ein Erlebnis. (Und dass wir am Anleger nur ein Dutzend Leute waren, auch!) Die Begegnung mit den ur-uralten Steinen der Kirche, des Torhauses, des Vorraums zur Kirche und der alte Friedhof machen mich glücklich. Ebenso die Tatsache, zum ersten Mal im Lindenwirt gewesen zu sein, mit meiner Freundin ein mehr als dekadentes Stück Lindentorte gegessen zu haben und von ihr einen auch fast ur-uralten Herd im ältesten Teil des Hauses gezeigt bekommen zu haben, der meinen Küchenträumen neue Nahrung gibt. Und überhaupt: meine Freundin! Die ich viel zu selten sehe! Es war so schön, sofort wieder ins vertraute Gespräch einzutauchen, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen.
Was macht man also in seiner Freizeit, wenn man hier wohnt?
Sich darüber freuen, dass die Osterglocken, die ich seit unserem Einzug immer wieder pflanze, inzwischen so zahlreich sind, dass ich für Ostersonntag einen kleinen Strauss ins Haus holen kann.
Am selben Tag völlig eingeschneit auzuwachen und mit dem Kater in die unerwartete und irgendwie unpassende weisse Pracht hinauszugehen, um zu gucken, ob es den Frühlingsblumen in voller Blüte hoffentlich gutgeht. Schnee und Eis von den ersten Rosentrieben zu streifen. Vorsichtig die Triebe und Blütenknospen des Tränenden Herzens vom Eis befreien. Die dünne Eisschicht im Regentrog mit einem leichten Fingertippen zerbrechen – einfach, weils Spass macht.
Süsskartoffeln im Ofen rösten. Mit Quark und einem Salat dazu ein wundervolles Abendessen geniessen.
Und natürlich: Zeit mit dem geliebten Tier verbringen.
Ich merke immer mehr: es sind die Kleinigkeiten, die mein Leben schön und besonders machen. Es ist absolut nicht das dicke Auto vor der Haustür oder die eindrucksvolle Kreuzfahrt. Es sind kurze Momente im Alltag, die irgendwie besonders oder einzigartig sind. Es ist die Postkarte mit dem wunderschönen Eisvogel, die ich im Klosterladen kaufen musste. Oder das köstliche Frühstück mit meinem Mann in der Schranne am Karsamstag, das mich veranlasst zu bemerken: „Wenn wir ganz wenig Geld hätten, aber 25 Euro im Monat übrig, um einmal so zu frühstücken, dann wäre doch alles perfekt!“
Und ich fürchte, wenn man im Urlaub, auf einem Chiemseeschiff, mit den Alpen im Blick, unglücklich wirken kann, dann ist man es im Alltag auch. Doch dafür ist das Leben zu kurz!