„Also, ich beschreib dir jetzt ganz genau die Schuhe, nach denen ich suche“, beginnt meine Freundin im ICE nach Paris, während sie den Konditorei – Führer und ein kleines Wörterbuch für kulinarische Gelegenheiten auf das Tischchen legt. Und ich merke, wie ich innerlich und äusserlich zu strahlen beginne und mich völlig entspanne. Denn so eine Freundin ist genau das, was ich brauche, und ich bin glücklich, wie nahtlos wir an unsere früheren Genussreisen anknüpfen, obwohl fünfzehn Jahre vergangen sind. Seither sind wir durch die diversen Höhen und Tiefen des Lebens gegangen, gemeinsam und jede für sich. Heirat, Hauskauf, Kinder bei ihr, kranke Eltern, Beerdigungen der Eltern, mehr eingebunden als jemals im Beruf – und trotzdem gelingt es uns, all das mit Tempo 300 hinter uns zu lassen und mit einer Entschlossenheit, die eines Napoleons würdig wäre, auf dem Stadtplan zu schauen, wo wir wann was geniessen – seien es Monet’s Seerosen, ein Ballettabend in der Opéra Garnier oder sündhafte Macarons.
Denn, bei allen genussvollen Vergnügungen: der Kulturgenuss kam nie zu kurz und ich habe mit ihr schon die allerschönsten Museen und Ruinen gesehen. Aber die Balance hat immer gestimmt. Die Besichtigungen wurden immer kombiniert mit einem Markt- und/ oder Café – Besuch, und vielleicht habe ich unsere Urlaube deshalb in so guter Erinnerung. Wenn man mich allein loslässt, passiert es regelmässig, dass mein Besichtigungsprogramm zu ernsthaft und zu ausufernd wird und ich irgendwann fast Kopfweh kriege. Wenn meine Freundin dabei ist, habe ich das Gefühl, dass sie mich wie einen Luftballon an der Schnur festhält und durch ihren Blick für irdischere Vergnügungen verhindert, dass ich komplett abhebe und davonfliege. Ich habe zum Beispiel bis letzte Woche nicht gewusst, dass es Schuhläden in Paris gibt. Irgendwie habe ich es schon angenommen – man muss ja was an den Füssen haben. Aber damit war mein Interesse erschöpft. Jetzt war ich sogar in einem! Und, damit hier kein falscher Eindruck entsteht: meine Freundin interessiert sich für viel mehr als Schuhe und Törtchen. Sie hatte ihre halbe Paris – Bibliothek dabei, ungefähr zehn Bücher, darunter Hemingway und Julian Green, die ich beide nicht kannte. In unserem Hotelzimmer waren vier gefüllte Bücherregale mit Büchern, die man auch mitnehmen durfte, ebenso wie man eigene für andere Gäste hierlassen konnte. Nachdem sie ihre Bücher auf dem Bett ausgebreitet hatte, musste ich grinsen: ausnahmsweise hatte ich nur ein Buch dabei (ein sehr nettes mit Paris – Spaziergängen, das sie mir zu Weihnachten geschenkt hat), aber ich würde nicht darben müssen.
Unser schnuckeliges, kleines Hotel du Nord bot nicht nur jeden Morgen eine stilvoll präsentierte Auswahl von drei hausgemachten Marmeladen zum Croissant – auf diese Art haben wir neun verschiedene Marmeladen gegessen in Paris! – , sondern auch kostenlose Fahrräder für die Gäste. Erst war ich skeptisch, weil ich noch nie in einer grossen Stadt Rad gefahren bin, aber es erwies sich als der allergrösste Spass überhaupt. Die erste Viertelstunde war aufregend, weil wir keine Sekunde warten wollten und uns sofort nach dem Einchecken mitten in den Feierabendverkehr stürzten. Das war die Feuerprobe, sozusagen. Ab dann wurde es besser. Und wir waren ein gutes Team: sie kennt die Verkehrsregeln, ich hab die Orientierung. Und als wir uns zur Seine durchgeschlängelt hatten, wurde es direkt entspannend, am Fluss zu fahren. Aber auch der Innenstadtverkehr ist weniger schlimm, als es aussieht: die grossen Boulevards, die einen schnurgerade und einfach in ein anderes Viertel bringen, sind sechspurig. Die mittleren vier Spuren sind für Autos, die jeweils äusseren beiden für Bus, Taxi und Radfahrer. Wenn man das Glück hat, sich an ein Taxi Parisien dranzuhängen und grüne Welle hat, läuft alles wunderbar und flott. Manchmal war es natürlich dichter, aber nie wirklich unangenehm. Aber Freitag mittag, als ich dachte, jetzt ist alles wunderbar und ich hab mich echt dran gewöhnt, sagt die Freundin an einer roten Ampel: „Mensch, ist schon ein bisschen wie auf der Autobahn Radfahren…“ Trotzdem würde ich es jedem empfehlen. Man sieht so viel mehr, als wenn man in dieser riesigen Stadt zu Fuss geht (Und noch was: es gibt Schuhläden in Paris, aber keine Fahrradhelme. Überhaupt gar nicht. Also nicht etwa was extra einpacken!). Und davon abgesehen, ist es unvergleichlich, an einem milden, hellen Juniabend an der Seine entlang zu radeln. Und auf der anderen Seite wieder zurück, und noch kurz einen Abstecher zu „Shakespeare and Company“ zu machen und die Räder ganz cool an einen Zaun anzuschliessen. So als würden wir hier immer wieder mal vorbeikommen… Und noch unvergleichlicher und ultraromantisch ist es, dank der absurden Nachtöffnungszeiten des Ladens um halb elf abends rauszukommen, über die Brücke bei Notre Dame zu fahren und den Himmel im Westen in einem ungewohnt späten Abendrot gold und orange aufleuchten zu sehen. Ich musste drei Mal hinschauen, um alles zu kapieren: dass ich wirklich in Paris war und die Seine im Abendlicht vor mir glitzerte. Die Zugfahrt war wie im Flug vergangen, und irgendwie braucht man Zeit, um wirklich nachzukommen und anzukommen. Ganz kapiert hatte ich es in dem Moment auch noch nicht, denn der Anblick war viel zu zauberhaft, um wahr zu sein – aber so langsam sickerte es in mein Bewusstsein, dass ich tatsächlich in der Stadt meiner Träume angekommen war.
Liebe Martina,
ich danke Dir für diese wunderschönen Tage!
Ich fühle mich ja ein bisschen „ertappt“ bezüglich der Schuhe und meiner ausgeprägten kulinarischen Genussfreude… Fehlt nur noch, dass Du Deine Crepes und meinen mitternächtlichen Tarte au chocolat hier öffentlich erwähnt hättest… – wobei man festhalten muss, dass ich schließlich kein einziges Paar Schuhe gekauft habe…
Auch ich brauche genau Dich als Freundin, weil Du mir soviel innere Ruhe gibst, mir die Augen für viele Details öffnest, Du so gerne Törtchen isst, immer weißt, in welcher Himmelsrichtung wir uns bewegen und man mit Dir so schön lachen kann!
Es war so schön, lass uns nicht wieder 15 Jahre warten, sondern möglichst bald die nächste Reise planen!
Liebe Doro,
da halte ich kunstvoll Deinen Namen raus aus der Affäre und verbiege mich fast dabei, und jetzt outest Du Dich als partner in crime… Hoffe, es ist okay für Dich! Und ich halte auch hier noch mal öffentlich fest, dass kein einziges Paar Schuhe gekauft wurde. Und mitternächtliche Desserts in Terrassencafés – was für Desserts?! Nie passiert!
Es war traumhaft mit Dir, in jeder Hinsicht. Und Du hast recht, lass uns gleich wieder planen!