Kürzlich habe ich eine Schülerin zum Klavieraussuchen begleitet. Wir fuhren, wie man das so macht, in ein grosses, alteingesessenes Klaviergeschäft in der Stadt. Schon von aussen strahlte es Gediegenheit aus. Die Fassade gepflegt und sauber, die Fenster, hinter denen die wertvollen Instrumente glänzten, gross und makellos durchsichtig. Auch innen hatte man das Gefühl, einen besonderen Bereich zu betreten, in dem man nicht alltägliche und wahrscheinlich fürs Leben einmalige Geschäfte macht. Ein Teppichboden dämpfte unsere Schritte, die Instrumente waren staub- und dapserfrei und standen in grosszügigen Abständen in den verschiedenen Räumen. Der Inhaber kümmerte sich wirklich vorbildlich um uns, aber ich bemerkte, wie ich innerlich immer mehr schrumpfte. Im Gespräch fielen so viele Typenbezeichnungen und Abkürzungen, die mir überhaupt nichts sagten, dass ich mich kurz fragte, ob ich in einem Autohaus sei – und Angst hatte, als Klavierlehrerein nicht für voll genommen zu werden, weil ich keine dieser Kürzel für asiatische Instrumente oder die einzelnen Modelle und ihre Vorgänger kannte. Tatsächlich hatte ich irgendwie das Gefühl, „aufzufliegen“, auch vor meiner Schülerin. Es half auch nichts, dass ich beim Anspielen der Klaviere möglicherweise zeigen konnte, dass ich doch weiss, wo oben und unten ist. Und in der erhofften Preiskategorie war einfach nichts Passendes dabei. Es war eher ernüchternd, zu sehen, wie wenig Klavier man für viel Geld bekommt.
Trotzdem war meine Schülerin fest entschlossen, jetzt, genau jetzt Nägel mit Köpfen zu machen und eins der gesehenen Instrumente zu mieten. Natürlich freue ich mich, wenn jemand so entschlossen aufs Ganze gehen will. Aber für sie, für ihre Hände und ihre Persönlichkeit, konnte ich mir guten Gewissens keins der Klaviere vorstellen. Bevor sie zurückrufen und sich für ein Mietinstrument festlegen konnte, hatte ich die plötzliche Eingebung, kurz auf der Seite meiner geschätzten Klavierbauerin zu schauen, die immer wieder Instrumente in Kommission verkauft. Und da war es: ein deutsches Klavier von 1910, zu einem erstaunlichen Preis. Ich rief sie an und fragte, ob aus ihrer Sicht alles in Ordnung wäre mit dem Klavier. Sie, ganz Hamburgerin: klar, sonst würde sie es ja nicht verkaufen. Ich vertraue ihr blind – sie ist der erste Mensch, den ich wirklich freiwillig und ohne ungute Gefühle ans Innere meines Flügels lasse. Sie hat mit ihrem Stimmen wahre Wunder bewirkt und eine Reibungsoptimierung durchgeführt, die meinen Flügel um Jahre verjüngt hat (und mir das trügerische Gefühl gibt, eine ganz tolle Pianistin zu sein…). Für mich war die Sache in dem Augenblick erledigt, und zwar zur vollsten Zufriedenheit.
Aber ganz unbesehen sollte der Kauf doch nicht über die Bühne gehen. Also pilgerte ich mit meiner Schülerin in Frau Sohnemanns Werkstatt, etwa eine halbe Stunde östlich von Wasserburg. Es war ein wunderbarer Hochsommertag. Der strahlende Himmel wölbte sich über gelben Getreidefeldern, wir hatten Sommerkleider an und zumindest ich hatte ein unerwartetes Ferienaufbruchsgefühl, als wir da in den menschenleeren wilden Osten fuhren. Ich dachte immer, ich wohne ländlich, aber es gibt noch eine Steigerung… Und sie ist unglaublich idyllisch und landschaftlich reizvoll.
Die Werkstatt ist in einem Bauernhof, der in Alleinlage mitten in den Feldern thront. Neben dem Eingang schmiegt sich ein hoher, mit Früchten übervoller Aprikosenbaum an die Hausecke. Die grosse, oben abgerundete Terrassentür stand offen, als wir ankamen, und ganze Teppiche von Sonnenlicht fielen auf den Boden der Werkstatt. Obwohl alle Fenster offenstanden, umfing uns der ungewohnt süsse Geruch der Lacke. Das wird auch der Duft bleiben, der meine Erinnerung an diesen Tag begleitet – und den denkwürdigen Moment, als wir DAS Klavier zum ersten Mal sahen und ich nach den ersten Tönen wusste: das ist es. Von meiner Seite war es Liebe auf den ersten Blick. Wenn ich Platz hätte, würde ich es sofort nehmen. So was Schönes und Kostbares! Elfenbeintasten und Schellack – Politur, eine Jugendstilschrift zum Niederknien, und vor allem der optimale Anschlag für meine Schülerin. Ein ganz wunderbares Tastengefühl und ein herrlicher weicher Klang, den alle Asiaten der Welt nicht hinkriegen würden. Und: es hat zu uns gesprochen. Eindeutig. Ich glaube gar, es hat auf uns gewartet. (Als wir wenig später die unglaubliche und für hier zu persönliche Geschichte hörten, die sich in diesen Tagen noch um dieses Klavier ereignete, waren wir beide davon überzeugt, dass wir es genau in dem Moment finden mussten.) Es ist das grösste Vergnügen, auf diesem Klavier Schubert zu spielen, und das tat ich, ermuntert von Frau Sohnemann, die nebenbei fortfuhr, auf ihrer Werkbank Hämmer abzuziehen. Und ich fühlte mich so frei, obwohl die Türen offenstanden und ich vielleicht jemand stören könnte – so ganz anders als in dem gediegenen Geschäft, das mich direkt eingeschüchtert hat. Hier stand ein grosser Strauss Gartenblumen, die Sommerwärme wehte um uns, es war noch keine einzige Typenbezeichung gefallen und ich fühlte mich geborgen in dem Bewusstsein, dass es der Klavierbauerin ein Anliegen ist, Menschen mit dem genau passenden Instrument zusammenzubringen und zu beglücken. Was für ein schöner Vormittag!
ja, diese alten Klaviere sind einfach zauberhaft, ich bin jeden Tag dankbar wenn ich mich an meinen alten Spezl setzen darf (er ist ja eigentlich nur 15 Jahre älter als ich!)
Hören wir wieder einmal Schubert?
Viele Grüße
Wolfgang