Vor drei, vier Wochen habe ich direkt danach gelechzt, Zeit für mich zu haben, die ich mit schönen Dingen verbringen könnte. Wie draussen zu schwimmen oder einfach auf einem Steg zu sitzen und die Beine baumeln zu lassen. Jede Minute, die ich bei der Hitzewelle in geschlossenen Räumen verbringen musste, kam mir wie vergeudete Lebenszeit vor. Ich hab direkt gelitten, wenn ich, selber schwitzend, meinen hart arbeitenden Schülern im überhitzten Gymnasium mit Noten Luft zufächelte und dachte: mei, dem Mädchen ringeln sich auf der Stirn schon die feinen Härchen vor Feuchtigkeit – am Clementi kann’s nicht liegen, aber bald kollabiert sie. Ich habe nicht unter unserem disziplinierten Spielen gelitten, sondern darunter, dass schon wieder Minuten, die man sinnvoller am See verbringen könnte, unwiderruflich verflossen.
Wenn ich endlich dort war, habe ich es mit jeder Faser meines Körpers und in vollen Zügen genossen. Wohl wissend, dass meine Zeit für solche Vergnügungen limitiert ist und irgendwann der nächste Termin lauert. Ich bin so lange geschwommen, bis meine Fingerspitzen ganz verschrumpelt waren. Und die zwei Tage Sommerfrische im Salzburger Land: ich war glücklich über jede einzelne Sekunde und war mir auch bewusst, wie privilegiert ich bin, dass ich mir inmitten der Sommerkonzerte, der letzten Noten, die eingetragen werden mussten, und der letzten Fachschaftssitzung so eine erfrischende und malerische Auszeit gönnen konnte.
Und jetzt? Liegen sechs völlig freie Ferienwochen vor mir. Und mein Antrieb, irgendwas auf die Beine zu stellen, ist so winzig, dass man ihn vergessen kann. Schwimmen gehen? Hm, heute ist es ein bisschen kalt. (Wobei 20 Grad und Regen der typische Ferienanfang bei uns sind – deshalb war ich ja während des schönen Wetters so wepsig, nichts zu versäumen.) Und ich kann ja morgen noch gehen. Und irgendwo hin fahren und wo ganz anders schwimmen, im Salzkammergut oder so? Wär schon gut, aber das geht ja nächste Woche auch noch, und vielleicht ist heute viel Verkehr. Intensiv und hochkonzentriert eine halbe Stunde üben, weil man dann bis zum nächsten Tag nicht dazu kommt – auch uninteressant, man kann ja später am Nachmittag dafür drei Stunden spielen.
Kurz gesagt: bodenlos, wie hier mit der Zeit umgegangen wird! Und wie entspannt ich dabei bin! Es ist ein sonderbares Phänomen, aber so alt wie die Menschheit selber. Und ich habe so das Gefühl, Seneca und Montaigne haben sich schon kompetenter dazu geäussert – wenn ich es finde, liefere ich ein Zitat nach. Es ist einfach so: ist etwas im Übermass vorhanden, ist es nichts mehr wert. Egal, ob es sich um Essen, Zuneigung, Musik, freie Zeit handelt. Gibt es zu viel davon, weiss man nicht mehr, wie man damit umgehen soll und ist möglicherweise irgendwann übersättigt. Weil man es nicht schafft, selber „stop!“ zu sagen, so wie ich bei den Zimtschnecken gestern… Weil man nicht klug mit seinen Ressourcen umgeht.
Das umgekehrte Phänomen sind limitierte Ereignisse, die die grössten Begehrlichkeiten wecken: eine Kult-Handtasche mit Warteliste, Karten für die Bayreuther Festspiele, ein Preview von irgendwas, bevor es normale Sterbliche zu sehen bekommen – es gibt Menschen, die unglaublich viel Energie und Geld auf so was verwenden. Und an ihrer Vorfreude wahrscheinlich mehr haben als am erreichten Gut. Gäbe es diese Dinge im Übermass, wären sie so uninteressant wie meine langen Ferien.
Warum ist man so? So menschlich? Und kann man was dagegen tun? Ist es nötig, was dagegen zu tun?!