Bei meinem Vorspielabend im Gymnasium ergab sich etwas, das ich noch nie erlebt habe: alle Jungen kniffen. Teils mit den umständlichsten Ausreden über bisher nie erwähnte Aktivitäten am Montagabend, teils immerhin mit der ehrlichen Aussage, Angst zu haben. Was soll ich da machen – ich will und kann niemand zwingen.
Von meinen zwanzig Mädchen sagte mindestens die Hälfte, dass sie auch Angst haben, es aber trotzdem machen.
Und wie schön sie gespielt haben! Ich bin immer so stolz und glücklich, wenn sie derartig über sich hinauswachsen. Man braucht ein Publikum, um zu erfahren, wozu man wirklich fähig ist. Und viele waren wirklich noch mal viel, viel besser, als ich geahnt habe. Der Anlass war auch feierlicher und schöner als die normalen Vorspiele in der Schule – das ist Pflicht und wie Schulaufgabe, aber oft wird nicht all zu viel Herz hineingelegt. Das war jetzt eigentlich die grösste Überraschung: wie gefühlvoll und ausdrucksvoll sie doch gestalten können. Und wie sie sich voll und ganz einbringen, in ihrer widersprüchlichen pubertären Art: eine Elfe mit langen blonden Haaren und einem zarten weissen Häkeltop traktierte den Flügel, dass der Deckel nur so wackelte. Und die ganz Toughe in der schwarzen Lederjacke und der abgerissenen Jeans spielte eine so gefühlvolle, empfindsame Mondscheinsonate, dass man sie in einem anderen Aufzug schnurstracks in einen Jane – Austen – Film hätte setzen können.
Und diese Haltung „ich hab Angst, ich mach’s trotzdem“: ich bin überzeugt, dass ohne diesen spezifisch weiblichen Mut die Menschheit längst ausgestorben wäre. Hut ab!