Schülerkonzerte

DSCF6393Rechtzeitig zum Sommerkonzert öffneten die Pfingstrosen ihre dicken Knospen und waren ein grandioser Schmuck für Bühne und Buffet. Die Empfehlung der Druckerei, für die Programme schwereres Papier zu verwenden, erwies sich als genau so grandios. Der Saal war stilvoll und geräumig wie immer, der Flügel wurde am Vortag frisch gestimmt, der Getränkeausschank in kompetente Hände delegiert – kurz, das Drumherum war optimal. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen schönen, harmonischen Abend und glückliche Gesichter. Was greifbar bleibt, ist das Programm – und wenn ich das jetzt anschaue, denke ich: o nein, o nein, vier mal Einaudi, zwei Mal Tiersen… Wo bleibt da der Anspruch?

Aber so ist meine Realität, und ich denke, vielen KollegInnen wird es nicht anders ergehen. Will man eine gewisse Altersgruppe bei der Stange halten, sind Kompromisse in der Literaturauswahl unausweichlich. Mir ist es im Moment dann wichtiger, dass sich diese Jugendlichen überhaupt noch aktiv mit Musik beschäftigen, überhaupt noch zu den Sommerkonzerten erscheinen. Für zwei, drei Jahre ist mir jedes Mittel recht… Eine Schülermutter, die auch Musikerin ist und unterrichtet, sagte: „Sie springen wenigstens über Ihren Schatten – ich kann das nicht.“ Hm. Aber vielleicht ist es der richtige Weg, denn wenn ich mir anschaue, wie das Programm der 15- bis 18jährigen aussieht, bin ich zufrieden: nur noch Klassik, nur noch Wohltemperiertes Klavier, Grieg, Khatchaturian, Moszkowski. Wer die Hürde der schwierigen Jahre gemeistert hat, bemerkt anscheinend selber, dass es Stücke gibt, die mehr und dauerhaftere Erfüllung bieten als die üblichen Verdächtigen.

Das alljährliche Sommerkonzert ist für mich ein Highlight des Unterrichtsjahrs. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Kräfte bei den Schülern freigesetzt werden, wenn es darauf ankommt. Und wie sehr manche die Bühne brauchen, um über sich hinaus zu wachsen und aus einer an sich guten Leistung etwas mehr werden zu lassen – ein einmaliges, besonderes Ereignis; einen Moment, in dem wirklich Kunst entsteht. Jedes Jahr sehe ich wieder, wie wichtig diese Vorspielgelegenheit für meine Schüler ist. Ich geniesse jede Minute davon – und sollte es weniger genussvolle Minuten geben, mache ich mir Notizen und überlege, was wir in der nächsten Stunde dagegen tun können.

DSCF6338Doch wie sieht es mit den Genussmomenten für die Zuhörer aus? Meistens fallen die Sommerkonzerte in eine Zeit, in der es von anderen Sommerfesten, Schuljahresabschlussfeiern und ähnlichen nur so wimmelt. Der für uns Lehrer so bedeutsame Abend verkommt zu noch einem Termin, den man hinter sich bringen muss. Wenn sich die Sache dann zu sehr in die Länge zieht und das Programm zu sehr einem willkürlichen Potpourri ähnelt, in dem die Kinder nach Alter und Leistungsstufe auftreten, kann es schnell ermüdend werden.

Für die Länge gibt es eine einfache Lösung: alles, was über 75 Minuten hinausgeht, muss gekürzt werden. Falls mehr als 15 bis 20 Schüler spielen, ist es sinnvoller, zwei verschiedene Konzerte zu veranstalten – eventuell sogar im gleichen Saal, um 17 und um 19 Uhr zum Beispiel. Dabei würde ich aber nicht die jüngeren von den älteren Schülern trennen – es ist immer netter, ein möglichst vielfältiges Programm zu haben und die ganze Bandbreite der pädagogischen Literatur zu erleben. So sehen die Jüngeren und deren Eltern, auf welche Stücke man sich später freuen kann – und auch für die Älteren ist es nett, ihre Anfängerstücke wieder zu hören und zu staunen, wo sie jetzt stehen.

Die Schüler nach Können und Leistungsstufen auftreten zu lassen, ist heikel. Natürlich wäre es eine logische Möglichkeit und auch interessant, zu sehen, wie sich die Schwierigkeit und die Anforderungen der Literatur immer steigern – aber die damit gegebenen Vergleichsmöglichkeiten können zu unschönen Diskussionen oder sogar Enttäuschungen führen. Wenn es keinen roten Faden gibt im Programm, der eine bestimmte Reihenfolge erfordert, könnte man die Schüler einfach nach Geburtsmonat auftreten lassen. Oder nach alphabethisch geordneten Vornamen. Oder nach der Himmelsrichtung, in der sie wohnen. Das ergibt ein völlig willkürliches, aber garantiert abwechslungsreiches Programm. Ein solches Durcheinandermischen des Programms bietet sich bei der Art Vorspiel an, die wahrscheinlich die häufigste ist: wenn jeder Schüler weitgehend selber bestimmen darf, was er vorspielen möchte. Denn so sieht doch die Realität aus: man ist froh, wenn die vielfach verplanten und geforderten Kinder überhaupt noch Klavierstunden nehmen und überhaupt die Zeit finden, beim Konzert anwesend zu sein, oder? Und wenn sie dann bei den ganzen Schulaufgaben und Jahrgangsstufentests auch noch ein Klavierstück zur Perfektion bringen sollen, soll es wenigstens eines sein, das ihnen gefällt und mit dem sie gern freiwillig viel Zeit verbringen. Denke ich mir manchmal… Und so kommen die völlig zusammengewürfelten Programme zustande, mit viel Filmmusik garniert und oft in eine nicht – klassische Richtung abdriftend. Es ist also eine Art Kompromiss mit dem wirklichen Leben, eine Art Momentaufnahme, wo die einzelnen Schüler gerade stehen. Und doch haben diese Konzerte ihre Berechtigung: immerhin beschäftigen sich die Kinder überhaupt mit Musik und machen die wichtige Erfahrung, wie es ist, vor einem kleinen Publikum aufzutreten und in Echtzeit eine Leistung abzuliefern, auf die sie lange hingearbeitet haben. Und uns Lehrern geben sie genug Möglichkeit für eine Bestandsaufnahem und Überlegungen, wie und wo es weitergehen soll.

PICT0024Dennoch überlege ich, ob ich nicht auch beim „grossen“ Konzert ein Motto festlegen soll. Bisher gab es entweder kleinere Vorspiele mit einem bestimmten Hintergrund, oder ein Teil des Programms war einem bestimmten Komponisten gewidmet, der gerade ein Jubiläum hat. Aber vielleicht könnte man es auf einen ganzen Abend ausdehnen, an dem alle Altersstufen beteiligt sind. Norbert Schäfers „Zauberbuch“ (Ricordi), kurze Stücke nach Bildern von Paul Klee, sind mehr für die Unterstufe geeignet. Kombiniert mit Francaix‘ vierhändigen „Portraits d’enfants d’Auguste Renoir“ und eventuell Ausschnitten aus Mussorgskis „Bildern einer Ausstellung“ hätte man einen ganzen Abend mit Stücken, die von Malerei inspiriert sind, und eventuell könnte man die Bilder während des Vortrags an die Wand projizieren.

Am einfachsten ist es ja, mit dem anzufangen, was ohnehin schon da ist und nicht das Rad neu zu erfinden. Ein kleines Brainstorming beim Autofahren, ob es bestimmte Elemente gibt, die mir im Unterrichtsalltag immer begegnen, ergab: Tänze, Präludien, Abend- und Schlaflieder sind unser täglich Brot. Daraus liessen sich leicht verschiedene Abende  gestalten, an denen vom kleinsten Anfänger bis zu den ganz Grossen jeder was Ansprechendes spielen könnte (obwohl: ein Abend lang nur Präludien – ob man sich nicht nach einer Hauptspeise danach sehnt?) Oder nur Etüden – das wäre mal ausgefallen, diese Mittel zum Zweck ins Rampenlicht zu stellen. Mit den vielen kurzen, richtig nett klingenden Etüden aus der „Russischen Klavierschule“ könnten auch die Jüngsten wieder dabei sein, und dann böte das 19. Jahrhundert einen uferlosen Tummelplatz für die anderen: Burgmüller und Heller natürlich, die „Studie“ aus dem „Album für die Jugend“, eventuell sogar ein wirklich flott und konzertant gespielter Czerny… Die Möglichkeiten wären grenzenlos!

DSCF6329Seltsamerweise wäre ein Abend mit Literatur, die explizit „für Kinder“ oder ähnliches im Titel hat, viel heikler in der Ausführung. Die „Kinderszenen“, „Children’s Corner“, Bizet’s „Jeux d’enfants“, Prokofieff’s „Musique d’enfants“ und Ähnliches sind für Kinder zu schwer. Und ist man erst mal im Übergang vom Kind zum Erwachsenen, wehrt man sich mit Händen und Füssen gegen Titel, die implizieren, dass man jünger ist, als man sein will. Aber die tatsächliche pädagogische Literatur liesse sich gut verwerten, vielleicht geordnet nach nationalen Schulen. Das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, Leopold Mozart und Schumann zeigen den grossen Reichtum der speziell für eigene Kinder geschriebenen Literatur. In Frankreich wird es etwas schwieriger – ich habe das Gefühl, die Zeit zwischen 1750 und 1950 ist ein schwarzes Loch, was wirklich leicht spielbare Literatur betrifft, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren! Trotzdem könnte man wunderbar ursprünglich fürs Cembalo gedacht Stücke von Daquin, Dandrieu, Couperin und  Rameau mit Stücken aus der Hervé/ Pouillard-Klavierschule kombinieren, und dann gibt es einen wahren Schatz an vierhändiger Literatur: neben den erwähnten Werken von Bizet und Francaix natürlich Debussy und das wunderbare „Ma mère l’oye“ von Ravel.

DSCF6416Aber mein nächstes Vorspiel wird ein russischer Abend, denn mir ist aufgefallen, dass wir nicht nur dauernd Präludien und Menuette spielen, sondern ständig und allgegenwärtig russische Literatur. Und dass es ganz erstaunlich und ziemlich einzigartig ist, welche Bandbreite von Stücken es für jedes Alter gibt und was für wunderbare Literatur ausdrücklich für Unterrichtszwecke geschrieben wurde. Hier ist das schwarze Loch die Zeit des Barock und der Klassik, aber danach gibt es eine Fülle, dass man sich vorkommt wie im Schlaraffenland und schon aus Zeitgründen gar nichts anderes mehr unterbringen könnte. Für die Jüngeren die Russische Klavierschule und haufenweise Kabalewski. Der ist auch noch in der Mittelstufe sehr beliebt, ebenso Khatchaturian. Für die Älteren gäbe es Tschaikowskys „Jahreszeiten“ und das mal wieder irreführend nicht so leichte „Kinderalbum“, noch mehr Khatchaturian und eine wunderbare Neuentdeckung für mich, die ich jetzt zum ersten Mal unterrichten will: die „Bagatellen“ op. 5 von Alexander Tcherepnin.

Und – so ein Themenabend verlangt doch nach einem passenden Buffet, oder?

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