Wir Pianisten reisen ja in den seltensten Fällen mit dem eigenen Flügel zum Konzert und müssen daher in der Lage sein, uns blitzschnell auf das jeweilige Instrument und seine Eigenarten einzustellen. Daher sollte man zumindestens sein eigenes, qualitativ möglichst hochwertiges Klavier so gut wie möglich kennen, um sich dann reibungslos auf ein ähnliches umzustellen. Ich stelle mir vor, dass für Schüler die Umgewöhnung von einem E-Piano auf einen Flügel, auf dem vielleicht das Sommerkonzert stattfindet, sehr schwierig bis verheerend sein kann. Und hier könnten auch Weichen fürs Leben gestellt werden – sollte der Schüler das andere Tastengefühl als unangenehm empfinden, weil er es bisher kaum kannte und das Vorspiel dann misslingt, hat das negative Auswirkungen auf sein Selbstbewusstsein und seine Lust, überhaupt wieder aufzutreten. Deshalb lege ich allen Schülern, die im Moment auf einem Digitalpiano spielen müssen, sehr ans Herz, regelmässig auf einem akustischen zu üben, vielleicht in einem Pfarrsaal oder bei Bekannten.
Besser wäre es natürlich, sich von vornherein ganz auf die Sache einzulassen und ein richtiges Klavier zu kaufen. Viele Klavierhäuser bieten auch einen Mietkauf an, bei dem nach einem Jahr die bereits entrichtete Miete auf den Kaufpreis angerechnet wird, falls man sich für das Klavier entscheidet. Sollte man das Möbel doch lieber wieder loswerden wollen, hat man weniger fürs Leihen gezahlt als ein Digitalpiano kosten würde, das überdies in dieser Zeit einen rapiden Wertverlust erfahren würde. Ich bemerke aber immer mehr die Tendenz zum „nur mal ausprobieren wollen“, „nur mal schauen, ob es Maxi Spass macht“, und wundere mich darüber. Man entscheidet sich ja auch für eine Schulart oder eine Fremdsprache, ohne das zu ändern, wenn es keinen Spass mehr macht. Normalerweise. Bevor es zur Quälerei für alle wird, bin ich in Einzelfällen auch dafür, den Unterricht zu beenden, wenn man sieht, dass es gar nicht läuft. Aber die Kinder gehen sicher mit einer anderen Einstellung ran, wenn ihnen von Eltern und Lehrer signalisiert wird, dass das Vorhaben keine Spielerei ist, sondern ein Projekt, das uns mehrere Jahre begleiten wird. Und mir kommt es natürlich entgegen, wenn die Eltern bereit waren, Geld und Wohnraum für das Instrument zu investieren und dann von sich aus etwas Druck auf die Kinder ausüben.
Und noch mal zu der Gänseei-Erfahrung: ich kann mich noch ganz deutlich daran erinnern, wie sich die Tasten meines ersten Sauter-Klaviers angefühlt haben. Sooo gut! Richtig schön schwer, und es hatte einen wunderbaren, sehr modulationsfähigen Klang in allen Lagen. Auch wenn wir das Klavier inzwischen nicht mehr besitzen, haben mir meine Eltern damit wirklich ein Geschenk fürs Leben gemacht und meine Vorstellung von dem, was Klavierspielen ist, sehr geprägt. Auch wenn der Vergleich hinkt, weil ein Klavier viel mehr kostet, aber: genau so, wie man bei der Ernährung oder der Literaturauswahl seiner Kinder darauf achtet, sie mit Qualität zu umgeben, sollte man das bei einem Instrument auch tun.
(veröffentlicht in „Pianonews“ 3/2011)