Am Nikolausabend lief ich abends durch dichten Nebel zu Fuss runter in die Stadt. Meine desillusionierten Schüler versuchen ja immer wieder, mir weiszumachen, dass es keinen Nikolaus gibt, und noch jedes Jahr konnte ich ihnen ohne zu lügen sagen, dass es ihn sehr wohl gibt, weil ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe. Bisher hatte ich jedes Jahr am Nikolaustag das Glück gehabt. Heuer dachte ich schon, ich müsste den gelten lassen, den ich drei Tage vorher in der Stadt entdeckt hatte, so am Samstagvormittag vor den Markthallen – was aber nicht das Gleiche ist, als ihn tatsächlich am 6. Dezember auf seiner wirklichen Mission zu erleben. Und wirklich, in dem Moment, in dem ich mir da auf meinem Weg dachte: „es wäre zu schön, wenn ich jetzt noch dem Nikolaus begegne“, kam eine rotgekleidete Gestalt mit Bischofsmütze und Stab aus dem Nebel einer Seitenstrasse. Und wartete sogar auf mich! Ich konnte seine Augen nicht erkennen vor lauter Rauschebart und weisser Haarpracht, aber er fragte, ob ich auch in die Stadt obi gehe, „na, da können wir ja gemeinsam gehen, mein Engerl konnte nämlich nur bis halb acht und jetzt muss ich noch Familien in der Altstadt besuchen.“ (Wie, Engerl mit Dienstschluss? Ich dachte, an solchen Tagen ist man rund um die Uhr im Einsatz?)
Und so kam es, dass ich neben dem Nikolaus den ganzen Köbingerberg runtergehen durfte. Stolz und ziemlich sprachlos. Manche Autos hupten, wenn sie uns sahen, und der Nikolaus hob grüssend seinen Bischofsstab, während er mir erzählte, dass er eigentlich Schreiner sei (?), dass so ne Mitra 60 Euro kostet (??), und dass er sich in Rosenheim jetzt noch ein weiss – goldenes Gewand mit goldener Mitra gekauft habe, einfach zur Abwechslung, denn er sei ja gestern auch schon unterwegs gewesen. Ich kam aus dem Staunen nicht raus. Vor allem das mit Rosenheim verwirrte mich – und wieso kaufen? Ich dachte, im Himmel kommt man ohne Geld aus? Das mit dem Schreinern verstehe ich auch nicht ganz, aber vielleicht braucht man in der Ewigkeit irgendein Hobby.
Nach zehn Minuten verabschiedeten wir uns höflich. Ich wollte ihn ja auf keinen Fall aufhalten, weil die Kinder langsam sicher ins Bett mussten. Aber ich blickte ihm nach, wie er langsam in den Nebelschwaden unserer gotischen Stadt verschwand, und ich war so glücklich: ich hatte den Nikolaus nicht nur gesehen, ich hatte mit ihm ein ganzes Stück zu Fuss gehen dürfen. Das ist wirklich und ehrlich nicht erfunden, so wahr ich hier sitze!