Der Inn ist zugefroren – das gab es noch nie, seit wir hier wohnen. Der Seitenarm schon, in ganz kalten Jahren, aber dass wirklich der ganze breite Strom wie eine grau – blaue Eismeerlandschaft vor einem liegt, still und unbeweglich, das ist eine Seltenheit. Am Rand türmen sich kleine aufgebrochene Eisschollen, eine Miniatur – Antarktis. Was für ein Geschenk, so ein kalter, langer Winter! Ich lebe auf und fühle mich pudelwohl und möchte ganz im Hier und Jetzt sein und das viele Weiss und Grau geniessen.
Aber statt von Spitzbergen zu träumen, muss ich mich mit dem Sommer beschäftigen. Und ausgerechnet seiner heissesten Zeit. Kurz vor Weihnachten riefen mich die Organisatoren des Wasserburger Klaviersommers an, dass sie nächstes Jahr ein Projekt mit Kindern anbieten wollen, und am letzten Tag der Weihnachtsferien trafen wir uns. Ich lief im leichten Schneetreiben los, doch die Flocken tanzten im Licht der Strassenlampen immer dichter und ich kam völlig weiss am Treffpunkt an. Eingeschneit, aber glücklich – manchmal ist so eine Viertelstunde das reinste Geschenk. Und ich wollte gar nicht an die traditionell furchtbar heissen Tage Anfang August denken, an die versagenden Klimaanlagen, an das Publikum, das versucht, sich mit Programmheften Kühlung zuzufächeln… Das ist für mich dann das echte Überlebenstraining, nicht die Polarlandschaft jetzt grade. Darauf freue ich mich nicht besonders – aber auf die Musik um so mehr. Und um die ging es jetzt. Mein Stapel mit vierhändiger französischer Literatur lag zwischen uns auf dem Tisch, und bei einer Kanne Tee überlegten wir, wie wir alles angehen. Denn alles war sehr spontan und schnell entstanden: die Kaufmanns fragten mich, ob es in der Region Klavierschüler gäbe, die jeweils mit einem Studenten zusammen vierhändige Stücke einstudieren und in einem Konzert aufführen wollten, und ich schlug spontan französische Literatur vor, weil es da haufenweise wunderbare Stücke für jede Altersklasse gibt. Dann stellte sich raus, dass für nächstes Jahr ohnehin der „Karneval der Tiere“ geplant ist in einem Konzert und ausserdem Michel Béroff wieder einen Klavierabend geben und unterrichten wird – kurzum, wir hatten innerhalb von Minuten ein herrliches französisches Motto gefunden. Und die flirrigen, transparenten Stücke von Debussy und Ravel sind eigentlich das einzige, was man bei der Augusthitze aushalten kann.
Und es sind die reinsten Juwelen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft französische Komponisten für Freunde und deren Kinder hochwertige Musik geschrieben haben. Da gibt es keine Kompromisse oder Zugeständnisse, sondern einfach nur gute Musik von Anfang an. Musik, die Kindern zusagt und von den Älteren auch gut gespielt werden kann – die aber gleichzeitig so spannend und gelungen ist, dass sie sich ihren Platz in den Konzertsälen von Anfang an bewahrt hat. Fauré’s „Dolly“ – Suite oder Bizet’s „Jeux d’enfants“ sind fester Bestandteil aller Klavierduos, ebenso wie Debussy’s „Petite Suite“ oder Ravel’s „Ma mère l’oye“ – die beiden letzten sind ursprünglich für Klavierduo geschrieben, aber von den Komponisten selber orchestriert worden. Als besonderen Leckerbissen fand ich noch eine vierhändige Fassung von Ravel’s „Pavane pour une infante défunte“ – für einen allein ist das etwas anspruchsvoll, weil es vor Dezimen nur so strotzt, aber für zwei Leute liegt alles ganz wunderbar.
Ich finde die Idee wunderbar, Kinder mit einem Profi an ihrer Seite solche Musik entdecken zu lassen. Und ich weiss schon jetzt: sie werden es toll finden, mit so hervorragenden Studenten zusammen zu spielen. Und was die sagen oder vorschlagen, wird das Evangelium sein – da verspreche ich mir viel davon für die jeweilige Weiterentwicklung meiner Schüler. Ich kann mir jahrelang den Mund fusselig reden – das geht wohl jedem Lehrer oder Eltern so. Kommt aber ein besonderer Einfluss von aussen, ein Mensch aus einer anderen Welt, den man vielleicht auch noch toll findet, weil er oder sie atemberaubend spielt oder ein glitzerndes Konzertkleid trägt, dann läuft alles wie von selbst. Und das ist für mich das eigentlich Erstrebenswerte an diesem Projekt: dass wir nicht nur immer im eigenen Saft schmoren, sondern wertvolle Impulse von aussen bekommen.
Die Begeisterung bei meinen eigenen Schülern ist gross und ich habe schon eine Reihe von festen Anmeldungen. Die Resonanz bei den Kollegen, mit denen ich Kontakt aufgenommen habe, ist noch verhalten. Vielleicht ist alles noch in zu weiter Ferne? Trotzdem möchte ich auch hier noch mal ausdrücklich Werbung machen – es ist eine tolle Chance für unsere Schüler und man muss keine Berührungsängste haben. Das Angebot richtet sich auch ausdrücklich an völlig normale Kinder, nicht nur die Superschüler. Wir haben eine herrlich lange Vorlaufzeit, und es gibt Stücke für jedes Alter. Der Probentag ist am 4. August, das Konzert am 5. August im Festsaal Gabersee. Es gibt 12 Plätze – also los! Wer mitmachen möchte oder Fragen zur Literatur hat, kann sich gerne bei mir melden.