Weihnachtsfeier mit meinen Schülern

Kurz bevor meine Schüler zum Adventskonzert kommen, drehe ich eine letzte Runde durchs Wohnzimmer. Die zusätzlichen Stühle passen wunderbar – wir werden alle bequem Platz haben. Die Lichterketten an den Fenstern sind an, ich zünde die letzten Kerzen auf dem Kamin und dem Wohnzimmertisch an, habe es geschafft, mich umzuziehen, bunte Teller, drei Thermoskannen mit Tee und den dazu nötigen Tassen herzurichten, und während ich zufrieden den grossen goldenen Teller betrachte, auf dem rote Kugeln und Mandarinen im Schein der Teelichter leuchten, durchfährt mich schon wieder so ein Angstblitz: wohin mit den siebzehn Jacken?! Über die Schuhe hatte ich mir ja schon hinreichend Gedanken gemacht, ohne zu einer Lösung zu kommen. Wie konnte ich die Jacken ausblenden? Da klingelt es, und die ersten Kinder trappeln freudestrahlend herein, mit Schnee an den Füssen und Eishauchwolken vor den Gesichtern.

Hätte mir jemand gesagt, dass ich mich im gefürchteten Garderobenmoment auch noch um vier wunderschöne Wintersträusse kümmern muss, hätte ich vielleicht über ein Hausmädchen nachgedacht… Aber so nimmt alles seinen natürlichen Lauf. Durch die Enge im Flur ist das Eis schnell gebrochen, die Stiefelchen häufen sich und die Oberbekleidung organisiert sich planlos zu einem immer höheren Jackengebirge, aus dem einzelne Schals und Mützen purzeln. Es sah noch nie so chaotisch aus bei uns. Trotzdem ist alles gut.

Mir fällt immer wieder auf, wie anders meine Schüler sich verhalten, wenn die Eltern nicht dabei sind. Wenn sie allein sind, ist es natürlich eklatant, aber auch jetzt in der Gruppe ist alles ein bisschen – hm, inoffizieller, entspannter, lustiger? Ich tue mich schwer, es zu beschreiben, denn natürlich sind die Kinder zuhause am „inoffiziellsten“, und so kenne ich sie ja gar nicht. Aber jetzt herrscht sofort eine fröhliche Atmosphäre, die fast etwas komplizenhaftes hat, obwohl die Kinder vom Alter her sehr unterschiedlich sind. Von fünf bis sechzehn ist alles vertreten, und oft nur ein Kind pro Jahrgangsstufe. Wirklich sehr unterschiedlich, aber eigentlich so, wie es früher in den grossen Familien war. Ach so, und die meisten kannten sich noch nicht! Doch die ersten Kichermomente vereinten uns bald, spätestens nachdem eine der Kleineren kläglich meinte: „das wird so flüssig!“ und mir ihre Hand mit der total verformten, schmelzenden Lindorkugel hinhielt, die sie vorher beim Rätselraten gewonnen hatte. Zwischen den Stücken gab es kleine Rätselfragen zur Musik oder zu Theorie, und die Prämie in Form von Lindor war so begehrt, dass selbst Geschwister, während sie spielten, sich die Kugeln nicht gegenseitig zur Aufbewahrung überliessen, sondern sie lieber mit zum Flügel nahmen… Ich liebe es, meine Schüler von dieser Seite kennenzulernen!

Und es ist wunderschön für mich, ihnen an so einem besonderen Tag, auf den wir lange hingearbeitet haben, zuzuhören. Ich bin froh, dass dieses Vorspiel ohne Eltern war, denn auch für mich war es das erste Mal, dass ich viele von ihnen in so einer Situation erlebt habe. Es ist immer wieder erstaunlich, wie eigentlich selbstbewusste und forsche Kinder dann auf einmal verzagt und sehr, sehr dezent spielen – alles ist richtig und wunderbar, aber sie trauen sich nicht so recht, das auch für alle hörbar zu machen. Das sind dann so Sachen, die wir vor dem nächsten Konzert ausbügeln können. Normalerweise bin ich penibel mit meiner Zeitplanung, aber durch die vielen Weihnachtslieder und eine eher freiwillige Gestaltung des Programms kamen wir gestern auf 90 Minuten – viiiel zu lang! Dennoch herrschte bis zum Schluss Ruhe und Aufmerksamkeit. Und nach meiner Einladung, oben im Esszimmer noch was zu sich zu nehmen, gingen wir auch in Sekundenschnelle in ruhiger, geordneter Prozession die Treppe hinauf – keiner blieb zurück, keiner kasperte und ich fand es nur lustig, wie die Aussicht auf eine Kleinigkeit zu essen die Massen beruhigen kann. Da die Stühle noch unten waren, standen wir zu achtzehnt um unseren grossen Esstisch. So wie vorher der Flügel die Hauptperson war, war es jetzt der Tisch und die Speisen darauf. Ich stand an einem Ende, schenkte immer wieder Tee nach und amüsierte mich darüber, dass sich die Keksteller nur langsam leerten, am anderen Ende mit den Chips aber ziemliche Stille und unentwegtes Knurpsen herrschte. Irgendwann im Advent ist man einfach abgefüllt mit Süssem! Diese Minuten, als wir stehend vor uns hin assen und tranken, waren für mich die schönsten des Tages – diese Einigkeit und Harmonie, die vielen kleinen Köpfe, die sich über Teller beugten, die Becher, die immer wieder zu mir gestreckt wurden. Der Fotoapparat lag hinter mir, und es wäre sicher ein ganz goldiges Bild geworden, aber ich entschied mich bewusst dagegen. Ich spürte, dass der Moment viel zu schön zum fotografieren ist und ohnehin unvergesslich.

Nach und nach kamen die Eltern dazu und blieben auch noch auf einen Tee. Unser Esszimmer war noch nie so voll, und es war selten so lustig! Und nachdem der Jackenberg sich auf natürliche Weise wieder abgebaut hatte und die letzten gegangen waren, räumte ich nur schnell die Tassen in die Spülmaschine, die übrigen Kekse in ihre Dosen, fütterte das Katerchen, zog meinen Lippenstift nach und machte mich auf zur nächsten Weihnachtsfeier. Als ich die Haustür hinter mir zuzog, dachte ich: Glückwunsch, das habe ich noch nie gemacht! Krümel auf dem Boden, Schneepfützen im Flur, leichteres Chaos in der Küche, und ich dreh allem nur den Rücken und es ist in Ordnung! Vielleicht werde ich doch noch zur entspannten Hausfrau, das wäre gut. Und noch was habe ich heute gelernt: verschämt habe ich eine Packung Dominosteine zwischen meine eigenen Kekse verteilt und – keiner hats beanstandet oder kommentiert! Vielleicht darf man manchmal auch was Gekauftes anbieten?