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Vom Inn an die Seine: Leichtigkeit

Ferienwohnung - Küche
Ferienwohnung – Küche

Wenn ich sagen sollte, was das Schönste an Paris war, würde ich antworten: einfach die Tatsache, in Paris zu sein. Das Bewusstsein, endlich dort zu sein. Gar nicht klar benennbare Orte oder Museen oder Cafés, sondern dieser wunderbare Urlaubszustand – man erwacht inmitten von fremden Gerüchen und Geräuschen und weiss, dass man an dem Tag alles kann, aber nichts muss.

Schon das Aufwachen in unserer stilvollen Ferienwohnung war eines der Erlebnisse, das ich vermisse: wir wohnten in einem der vielen dreieckig zulaufenden Häuser an einer kleinen Kreuzung. Das Schlafzimmer war vorne im spitzen Teil. Vom Bett aus sah man die Türme von St. Ambroise und eine majestätische hohe Pappel, die bis in den fünften Stock reichte. Der Verkehr auf dem breiten, baumbestandenen Boulevard Voltaire war so weit unten, dass er nur als gleichmässiges Rauschen bis nach oben drang – was aber sehr eindeutig und verführerisch nach oben schwebte, das war der Geruch der Bäckerei im Erdgeschoss, direkt unter dem Schlafzimmer. Dieser unglaubliche Buttergeruch lockte mich jeden Morgen zuverlässig aus dem Bett… Aber bevor ich im rumpeligen Käfigaufzug nach unten fuhr, tapste ich über das alte, schimmernde Parkett auf den Balkon, genoss den Blick so hoch über den Dächern den Boulevard entlang auf den rosa gesäumten Himmel und die seltsamen indischen Türme von Sacré Coeur in der Ferne und sagte mir vor: ich bin in Paris! Ich bin endlich da!

f6e6ee34_originalEs gibt noch viele solcher Momente: wie wir auf der Terrasse des „Deux Magots“ mit Blick auf die Kirche sassen  und die weltbeste heisse Schokolade serviert bekamen. Oder das Bewusstsein: ich steige die Treppen von Montmarte hoch. Ich bin endlich auf diesen berühmten Stufen! Oder „Paris – Plage“, der für die Sommermonate künstlich aufgeschüttetete Strand an der Seine mit seinen einladenden blauen Sonnenschirmen und den blau-weissen Liegestühlen. Es war ruhig um uns herum an diesem Vormittag, das Wasser glitzerte, ich wurde immer schläfriger in dem bequemen Liegestuhl mit Blick auf eine der Brücken und eine surreale Palme davor. Oder der Aperitif in einem anderen alten Eckcafé – ich schaute grade meine Postkarten mit der Dame mit dem Einhorn an, als der Kellner meinen Sauvignon blanc brachte. Er stellte sich neben unseren Tisch, mit den Händen auf dem Rücken und der Terrasse im Blick, und erzählte, dass er als kleiner Bub mit der Schule dort war und  nie vergessen wird, wie schön es war (glückliche französische Schulkinder!). Ich pflichtete ihm bei und sagte, dass ich mein Leben lang diese Wandteppiche hatte sehen wollen und es noch gar nicht fassen kann, wie schön sie in echt sind. Und er meinte: Madame sieht auch sehr glücklich aus. Und dieser Moment, diese paar Sekunden, expandiert wie ein Motiv, das Monet festhält und das zeitlos und endlos wird: ich war in Paris, in einem Café bei der Sorbonne, nach einem beglückenden Museumsbesuch, mit einem besonderen Glas Wein vor mir, und war bien heureuse.

Ferienwohnung - Wohnzimmer
Ferienwohnung – Wohnzimmer

Aber wie so oft im Leben waren zwei entgegengesetzte Pole unter einen Hut zu bringen: selten hatte ich mich so leicht und unbeschwert gefühlt – gleichzeitig war ich definitiv noch nie im Leben derartig von tödlichen Waffen umgeben. Frankreich zeigt tatsächlich, dass es sich immer noch im Ausnahmezustand befindet. Die erste Taschenkontrolle, der erste Metalldetektor vor Museen oder grossen Kirchen kommt einem noch seltsam vor. Aber bald wird es Alltag und nervt sogar, weil es Zeit kostet. Aber man hat keine Wahl: will man in die Sainte Chapelle, die sich im Hof des Justizpalasts befindet, wird man abgepiepst und durchleuchtet wie am Flughafen. Will man in die Galeries Lafayette, wird die Tasche manuell durchsucht und gefährlich aussehende Objekte wie das Sonnenbrillenetui fragend ans Licht gehalten und eingehend geprüft. Manchmal von feinfühligerem Personal, das sich immerhin für seine Neugier entschuldigt, manchmal von – nun ja, weniger feinfühligen (und danach fühlt sich die Handtasche wirklich seltsam an.) Und es patrouillieren ständig und überall Vierergruppen von Soldaten in vollster Montur, und damit meine ich auch: umgehängtes Gewehr mit Fingern der rechten Hand am Abzug. Kein Witz. Als wir das erste Mal so eine Gruppe sahen, abends am Canal St. Martin, dachten wir noch, hier seien Dreharbeiten… Aber sie wurden eine Konstante im DSCF9370Stadtbild. Immer zu viert und offensichtlich mit der Marschordnung „molto andante“, also wirklich langsames Schlendern und gleichzeitiges aufmerksames Überblicken des Geländes. Und sie sind überall: draussen und drinnen, selbst im Louvre, zwischen den Liegestühlen des Paris – Plage, an harmlos wirkenden Ecken oder im belebten Bahnhof. Man gewöhnt sich tatsächlich daran, und seltsamerweise beruhigt es einen. (Ich hätte nicht gedacht, dass ich so was mal sage!) Natürlich ist es eine unglaubliche militärische Machtdemonstration und man fragt sich, ob das eigene Land eigentlich so viele einsatzfähige Waffen  besitzt. Den Mut, sie zu zeigen und Grenzen zu zeigen, haben wir definitiv nicht. Und es ist ganz seltsam und absurd, dass ich mich in so einer Umgebung sicherer fühle, aber so war es. Vor dem Urlaub bin ich ja drei Mal nach München gefahren, zu Ferien – und Museumstagen, und nach dem damals aktuellem Anschlag im OEZ immer mit dem mulmigen, aber trotzigen Gefühl: ich mach es trotzdem. In Paris gab es kein „trotzdem“, sondern das Gefühl: das ist unsere Stadt, wie lassen uns nichts nehmen und wir dürfen uns hier sehr wohl frei bewegen. Nicht trotzdem, sondern genau deshalb. Eine absurde, schwerbewaffnete Art von Leichtigkeit, die ich in ihrem Widerspruch nicht für möglich gehalten hätte.

Verwunschen

DSCF9237Drückende, schwer lastende Sommerhitze, wie es sie nur an einem Julinachmittag kurz vor einem Gewitter gibt. Eine wildwachsende Moorwiese, gesprenkelt mit lilanen, gelben und weissen Blütentupfern und träge umschwirrt von dicken Insekten. Schwalben, die tief über die Wiese und den See flattern. Und vor uns ein seltsam schiefes Ensemble von offensichtlich immer neu dazugebauten hohen Anbauten – es könnte ein Schloss sein, wenn es etwas einheitlicher wäre und die einzelnen Gebäudeabschnitte nicht in verschiedenen Farben gestrichen wären. Links ist ein einzelnes Torhaus in einer breiten, behäbigen Architektur, das man über eine Brücke erreicht. Dann kommt die Kirche mit Turm, und gleich daran anschliessend die scheinbar nicht zusammenpassenden Gebäudeteile, die sich im Viertelkreis auf die kleine Insel im See schmiegen. An den steilen Hängen weiden Kühe, über die Hügel versprenkelt liegen ein paar malerische alte Bauernhäuser. Aber das ist schon alles, was von einem zusammenhängenden Ortskern zu sehen wäre.

DSCF9241Die Hitze wabert in Schwaden um uns. Eigentlich ist es zu warm, um hier in der Sonne auf einer Bank zu sitzen. Aber auch zu schön, um wegzugehen. Je länger ich leicht dösend auf das wunderhübsche Gebäudeensemble schaue, desto mehr verschwimmen Wirklichkeit und Phantasie. Dieses Torhaus kenne ich doch irgendwie – war es vielleicht in einem meiner Kinder- Märchenbücher? Und kommt da nicht Gänseliesel mit ihrem Stab aus dem schattigen Tor und führt die schnatternden Gänse über die Brücke zum See? Und da oben, in dem ersten Turm, sitzt da nicht Rapunzel? Und da drüben könnte Dornröschen schlafen… Will ich lieber eine Nixe zwischen den dunkelgrünen Blättern der Seerosen sein oder ein Prinz auf einem weissen Pferd? Es ist so unglaublich ruhig und beschaulich und eingeschlafen hier, dass man denken könnte, man sei durch eine Lücke in Zeit und Raum plötzlich vierhundert Jahre früher wieder aufgewacht. (Vielleicht eine Wirkung des Untersbergs in der Nähe, auf dem so was häufiger vorkommen soll?).

DSCF9256Dabei tost eine der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands nur ein paar Kilometer entfernt vorbei. Dank der Hügel um uns herum und der Senke, in der der See liegt, hören wir überhaupt nichts davon. Und eigentlich verdanken wir die Entdeckung dieses verzauberten Märchenorts nur meiner Verfressenheit: wir wollten spontan nach Salzburg, hatten nicht gefrühstückt und keine Lust, gleich als ersten Programmpunkt in ein Restaurant einzufallen. Also kaufte ich beim Bäcker belegte Semmeln mit Tomate und Mozzarella – die sich bei näherer Inspektion als nicht im Auto-essbar herausstellten, weder für Fahrer noch für Beifahrer. Also sagte ich, genau so spontan wie der ganze Ausflug entstanden war, auf der Landstrasse zwischen Traunstein und Salzburg: „fahr mal da oben auf dem Berg rechts raus, wo wir eine Aussicht haben, und dann essen wir die Dinger da.“ Es gab eine Abzweigung oben rechts, aber dummerweise führte die Strasse  nur bergab und es gab keine Parkmöglichkeit. Wir waren so auf den Bergblick fixiert, dass wir das Kloster am See unten völlig übersahen. Hatten sogar so dicke Scheuklappen, dass wir sagten: wie gut, ein grosser Parkplatz, da können wir wenden. Und dabei erst sahen wir das hübsche alte Torhaus… und den Kirchturm… und überhaupt. Ein Hoch auf spontane Planänderungen! Wir hätten diesen magisch schönen Märchenort sonst nie entdeckt und wären am Ende noch jahrelang auf dieser wenig befahrenen, angenehmen Strasse gefahren, ohne zu wissen, was sich da für ein Kleinod versteckt.

DSCF9261Im Lauf des Besuchs kriegen wir raus, dass wir uns in Höglwörth befinden, einem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift, das ab 1125 von Salzburg aus besiedelt wurde. Aus der Zeit stammt auch die erste Klosteranlage, die dann im Barock umgebaut wurde – alles auf „unregelmässigem Grundriss“. (Ich freue mich immer, wenn der Dehio auf diese Phrase zurückgreifen muss, wo er doch sonst die spinnenartig – geometrisch – perfekten Grundrisszeichnungen so liebt. „Unregelmässig“ heisst: hier wird’s richtig interessant!) Der schiefe und krumme Innenhof ist so was von charmant – ungefähr zwei trapezförmige Innenhöfe, die L-förmig aneinanderstossen, aber alles überhaupt nicht ausgezirkelt und ganz offensichtlich so gut wie möglich angepasst an die Halbinsellage. Und das Pflaster! Ich konnte nicht genug davon kriegen. Noch individueller und unregelmässiger als die ganze Anlage zusammen, denn es besteht ausschliesslich aus riesengrossen runden Katzenkopfsteinen. Ich kann mir kaum vorstellen, was das für eine Arbeit war. Nicht nur das Verlegen, sondern erst mal das Sammeln von Hunderten ungefähr gleichgrosser Steine. Obwohl der Hof wie verzaubert im Sommermittagsschlaf liegt und der kleine Nepomuk-Brunnen in der Ecke einschläfernd plätschert, lasse ich mich nicht einlullen, sondern sprinte zum Auto zurück, um die Kamera zu holen. Ich möchte und muss es festhalten, wie man mit dem, was man hat, und mit Rücksicht auf die örtlichen Gegebenheiten so viel Schönheit erschaffen kann. Es gibt berühmtere, geradere, abgezirkeltere Bauwerke, die uns durch ihre symmetrische Schönheit und Ausgewogenheit in ihren Bann ziehen. Höglwörth wird da wohl nie dazugehören. Aber der besondere  Bann von hier ist mindestens ebenso stark und nachhaltig.

(Weil es erst 1816 zu Bayern kam und Salzburg nur 20 km entfernt ist, wird dieser Ort in die „Salzburger Land“- Kategorie geschmuggelt…)

Glücksplatz

DSCF8384Falls ich mich irgendwann mal komplett vor der Welt verstecken will, ausatmen, ein paar Tage wirklich und wahrhaftig die Seele baumeln lassen will – dann würde ich mich nach Goldegg begeben. Jetzt war ich hingefahren auf ehrgeiziger Entdeckungstour. Goldegg war nur einer von mehreren Orten, die ich mir anschauen wollte, hauptsächlich wegen des Sees und der Moorbadeanstalt von 1912 aus Franziskas Buch. Ich hatte nicht geahnt, dass meine Seele derartig ausschlagen würde. Sie ist ja immer schnell begeistert, wenn Wasser in der Nähe ist, und an diesem heissen Samstag sehnte ich mich nach der Wanderung auf der „Sonnenterrasse“ unglaublich nach einer Abkühlung. Aber dann fühlte sich noch mal alles anders an, als ich in dem dunkelgrünen Wasser von einem Ende des kleinen Sees bis zum anderen und wieder zurück schwamm. Vom Ort hatte ich bisher nur die Kirche und das Schloss aus der Ferne gesehen, die hinter dem Schilf aufragten. Mit jeder Viertelstunde, die vom Kirchturm erklang, wurde ich ruhiger und glücklicher. Ich schwamm und schwamm und spürte einen inneren Frieden wie schon lange nicht mehr. Hatte das beglückende Gefühl, wirklich bei mir anzukommen und völlig eins mit mir zu sein, und noch dazu auf so wunderbare Weise umgeben von meinem Lieblingselement. Und schon dort dachte ich, es müsste eigentlich perfekt sein, bei passendem Wetter ein paar Tage hier zu wohnen und nichts zu tun ausser Schwimmen, Essen und Lesen.

DSCF8405Nachdem ich mich endlich vom leicht glitschigen Moorwasser losgerissen hatte, beschloss ich, noch kurz durch das Örtchen zu schlendern. Wie gut, dass ich nicht gleich weiter gefahren bin – Goldegg ist der bisher zauberhafteste und allerschönste Ort, den ich auf meinen Touren rund um Salzburg kennengelernt habe. Fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, denkt man im ersten Moment – aber es ist kein Museumsdorf und auch nicht so perfekt, wie es auf den ersten Blick wirkt. Ein bisschen Patina trägt dazu bei, dass das unglaublich geschlossene Ensemble alter, liebevoll verzierter Holzhäuser an der Hofmark trotzdem lebendig und belebt wirkt. Die Bauerngärten zwischen den Häusern, die Vorgärten, Rosenbögen, markanten alten Sträucher an einer Hausecke quollen jetzt im Hochsommer über von leuchtenden Farben: ein kobaltblauer Rittersporn neigte sich über den Holzzaun, dahinter sattrote Rosen an der Wand und dunkelrote Stockrosen im Beet. Weisse Hortensien und weisser Phlox strahlten über einem perfekt gepflegten Rasen. Die ganze Farbpalette war vertreten – es war das reinste Fest für die Augen und würde selbst dem hübschesten englischen Cottagegarten echte Konkurrenz machen. Was für eine Entdeckung.

DSCF8404Und ein paar Schritte weiter noch eine Entdeckung: der Seehof, ein Hotel in einem behäbigen alten Haus. Ein paar Schritte von der wunderbaren Badeanstalt… Mein wahrgewordener Traum! Und, wie ich zuhause im Netz feststellen konnte, tatsächlich ein Traumhotel mit ganz unterschiedlich eingerichteten Zimmern, die alle ein eigenes Thema haben. Und einem blauen Lesesalon, für den regelmässig alle Suhrkamp-Neuerscheinungen angeschafft werden. Das gibt’s doch nicht! Lesen und Schwimmen! Jetzt noch ein Klavier, und ich würde es sicher auch zwei Wochen aushalten in Goldegg. Weiss aber nicht, was das mit mir anstellen würde – ich fühle mich schon nach den drei Stunden derart verzaubert und beglückt, dass es kaum mit rechten Dingen zugehen kann.

Ich finde, in der Neuauflage der „66 Lieblingsplätze“ sollte Goldegg vom Wasserkapitel ins Kapitel mit den Glücksplätzen verschoben werden!

Seelenbaumeln

DSCF8372Es ist Samstagnachmittag, ein strahlender, warmer Tag. Ich sitze in St. Veit auf meiner Picknickdecke unter einer grossen schattigen Buche, Omas Damastserviette auf dem Schoss, esse eine österreichische Semmel, Käse, Cocktailtomaten und die herrlichsten, dicksten Herzkirschen aus der Steiermark. Über mir lugt der dunkelbraune Holzgiebel der Klinik, in der Thomas Bernhard seine Tuberkulose kurierte, über den Hang, darüber leuchtet knallblauer Himmel. Ich bin im Salzburger Land und einfach glücklich, dass ich gefahren bin.

Nachdem mein Schülerkonzert vorbei ist und die heissen Sommertage anhalten, hatte ich extreme Reiselust und wollte einfach was Nettes machen, auch wenn die Ferien noch ein paar Wochen weg sind. Alle meine nahen Menschen zogen es vor, was anderes vorzuhaben/ Dienst zu haben/ am Wochenende in die Chorprobe zu gehen. Fast hätte ich mich wieder für die heimischen Seen entschieden – aber was solls, allein wegfahren hat viele Vorteile, und mein Autole zappelt schon, wenn es hört, dass es wieder nach Österreich fahren darf. Und es ist der perfekte Reisebegleiter: quasselt nicht, ist die Zuverlässigkeit in Person und wartet geduldig an jedem Badesee, in den ich springen muss. Und findet den Weg nach Süden inzwischen fast von selbst. Ein gefühlter Katzensprung von Bad Reichenhall, und man ist in einer traumhaft anderen Landschaft, in der die Seele wirklich baumeln kann.

DSCF8421Mit dem Lieblingsreiseführer habe ich mir eine ziemlich vollgepackte Tour im Pongau zusammengestellt. Warum nicht, wenn ich schon mal da bin. Und ich bin ja immer noch am Sondieren und Kennenlernen und stelle fest: es geht nicht nur um das aktuelle Erleben, sondern auch Herausfiltern, was mir am Besten gefällt. An welche Orte ich vielleicht mal für länger zurückkommen will. Ausgehend von der Liechtensteinklamm, die mit ihrem türkisen Wasser für einen heissen Sommertag sehr verlockend aussah, habe ich mich entschieden, in St. Johann im Pongau zu übernachten und Franziskas Lieblingsplätze rundherum zu besuchen.  Zwei waren schön und interessant, aber ich muss sie nicht noch mal sehen: der Thomas-Bernhard-Wanderweg in St. Veit ist wahrscheinlich für echte Bernhard-Fans ein Muss, für mich war es nur ein mehr oder weniger netter Spaziergang (im Neubaugebiet, das es zu Bernhards Zeiten wahrscheinlich noch nicht gab, hab ich ziemlich Gas gegeben – vielleicht hab ich deshalb nur 60 statt der veranschlagten 90 Minuten für den Weg gebraucht?). St. Veit nennt sich zu Recht „Salzburgs Sonnenterrasse“ und mir war es so ganz ohne Schatten einfach auch zu heiss. Was an der Tageszeit gelegen haben könnte… Verblüffend war, wie schnell man zu Fuss Distanzen überwindet. Vom Klinikgelände aus kommt einem die Pfarrkirche auf dem anderen Hügel wirklich weit weg vor, aber im Nu ist man dort und sieht das breitgezogene Krankenhaus scheinbar in ziemlicher Ferne liegen. Doch nach einer halben Stunde ist man wieder dort.

Das andere nicht sensationelle, aber schöne Erlebnis war der hochgelegene Friedhof in Hüttschlag. Der Ort liegt am Ende des Grossarltals, und die Landschaft ist schon sehr, sehr schön und lieblich. Das besondere an dem Friedhof rund um die Kirche sind seine schmiedeeisernen Grabkreuze – andere Grabsteine gibt es nicht. Und eben der Ausblick auf die Bergwelt hier am Talschluss. (Ich hab übrigens mal wieder den Grossglockner gesehen – glaube ich… Was Spitzes, Hohes mit Schnee drauf…) Aber auch hier war pralle Sonne, und Hüttschlag war seltsam ausgestorben. Wahrscheinlich ist es spannender, wenn man gezielt zum Wandern herkommt. Ich hab mich ein bisschen umgesehen und es gibt zahlreiche kleine gelbe Tourenschilder.

Und noch was aus dem Buch, was ich quasi nur im Vorbeifahren angeschaut habe: am Heimweg dachte ich, ich fahre anders und von Bischofshofen über Dienten nach Saalfelden, um den Hochkönig mal zu sehen. Fast 3000 Meter hoch, sechs Stunden Aufstieg – so was mach ich eh nicht. Aber angucken wollte ich diesen höchsten Berg der Berchtesgadener Alpen doch mal. Ich hatte keine Ahnung, dass die Strasse so steil ist: Grossglocknermässig musste ich das Auto im 2. Gang röhrend hochjagen. Aber es hat sich gelohnt: das Hochkönigmassiv ist grandios. Und ich mag es, wenn die Nadelbäume immer spärlicher und die Felsen mehr werden – komme mir vor wie in Kanada.

DSCF8410In aufsteigender Sensationsreihenfolge kriegt die Liechtensteinklamm den vorletzten Platz: perfekt für einen heissen Tag, und schon enorm imposant. Für mich als Musikerin war die Geräuschkulisse besonders beeindruckend, an das werde ich mich auch immer erinnern, wenn ich an die Klamm denke: ein meistens ohrenbetäubendes Tosen, Gurgeln und Rauschen, bis man am Ende des Wegs den nicht minder lauten grossen Wasserfall erreicht. Was für eine Idee, in dieser Wildnis und Wildheit Stege und Treppen zu bauen, damit auch normale Menschen dieses Naturwunder erleben können! Die Stege sind übrigens nichts für Leute mit Höhenangst – es war halb zehn morgens und wirklich kühl in der engen Schlucht, aber ich war mal wieder schweissgebadet. Ich fürchte, das wird nichts mehr. Hat doch der Desensibilisierungsversuch letztes Jahr am Schafberg so gar nicht hingehaut… Ich wollte ungefähr drei Mal umkehren und musste mir gut zureden mit „nur noch ein Schritt, und noch einer, und nicht runter schauen…“ Gut war, dass ich dank Übernachtung sehr früh dran war und die Schlucht praktisch für mich hatte. Am Rückweg drängten sich wirklich Busladungen voll Tagestouristen rein und mir wurde mehr als einmal anders angesichts der Körperfülle von einigen. An manchen Brücken und Stegen steht das  – wenig vertrauenerweckende -„Bitte Ansammlungen auf den Stegen vermeiden!“, und ich fürchte, zwei von den beleibteren Exemplaren muss man schon als „Ansammlung“ betrachten. Wenn dann noch ich auf den Steg gegangen wäre, hätte es eine Katastrophe gegeben.

Ganz oben aufs Siegertreppchen der Reise kommt Goldegg. Gold für Goldegg… Ein wahrlich zauberhafter Ort, der bald einen eigenen Artikel kriegt.

Aufgetankt

dolce vitaWas wäre, wenn man wirklich mal einen Tag lebt, als wäre es der erste, letzte und einzige kostbare Tag, den man hat? Wenn man es sich nicht nur vornimmt wie schon oft, sondern es einfach aus ganzem Herzen tut und jede Sekunde bewusst geniesst? Und selber staunt, wie reich man wird, wenn man still und ruhig wird, gleichzeitig ständig in Bewegung ist. Faul im Liegestuhl sitzt und davor und danach ganz viel Staub auf den Schuhen sammelt beim Stadt- und Alleelaufen. Auf Wanderwegen keucht und minutenlang stumm vor Ehrfurcht an einem einsamen Wasserfall sitzt. Die sündigsten Torten isst und gleichzeitig denkt: aber ab nächster Woche… Kurz: alles, was man liebt und gern tut, in einen intensiven Tag packt und trotz Sinnesüberflutung denkt, man will noch mehr. Warum macht man das nicht öfter? Die Seele ist nachhaltig beglückt und man spürt so viel mehr Energie und Lebensfreude, als wenn man sich zuhause auf dem Sofa schont.

NonntalIrgendwie fällt mir bei den österreichischen Nachbarn das Abschalten leichter. Selbst wenn es nur ein Stündchen mit dem Auto ist, habe ich beim Passieren von Landesgrenzen das Gefühl, ich kann alles hinter mir lassen und bin für nichts verantwortlich. Ungeputzte Fenster, Säcke voller Gartenabfälle, die zum Wertstoffhof müssen, Unterrichtsvorbereitung – geht jetzt nicht, weil ich im Ausland bin und da ein Cappuccino mit Bergblick für mich steht. Ich kann besser entspannen, wenn ich mich selbst so überliste.

Salzburg ist und bleibt meine Herzensstadt. Und das Lieblingsbuch vom letzten Jahr steht auch dieses Jahr hoch im Kurs – zur Saisoneröffnung gab es einen idyllischen Mühlenwanderung zu fünf historischen Mühlen in Ebenau. Ständig gurgelt und rauscht es, das Wasser glitzert in der Sonne und die Hänge waren übersät von wilden Christrosen – Schneerosen heissen sie hier. Am Ende des Weges wird die Schlucht immer höher und schmaler. Dass dann noch so ein riesiger weisser Wasserfall vor einem auftaucht, nimmt einem fast den Atem. Der Platz dort ist unglaublich stimmungsvoll, weil er so geschlossen wirkt durch die Felsen rundherum und dem hohen Wasserfall fast in der Mitte. Wie ein Ausschnitt aus einer Kathedrale, und genau so symmetrisch und anscheinend wohl geplant. Selten hatte ich so sehr das Gefühl, im Freien urplötzlich an einem „heiligen“ Ort zu sein. Klingt sehr esoterisch, ich weiss, aber man muss es erleben. Was auch zu dieser Stimmung beitrug, war die Einsamkeit und völlige Stille dort. Möglicherweise ist das im Sommer anders, zumal das flache Kiesbecken absolut zum Baden einlädt. Aber jetzt war es ruhig und einsam, und gerade deshalb habe ich hier viel mehr die Kraft und Energie des Wassers gespürt, das seit UntersbergJahrtausenden über diesen Felsen fällt, als an den touristenumtosten Krimmler Wasserfällen. Plötz ist tatsächlich ein Ort zum Auftanken. Der unerwartete, fast mystische Zauber dieser Stelle hat mich ganz seltsam angeweht. Ich denke mir: falls man im Leben mal an einen Punkt kommt, an dem man mit einem Ritual alles hinter sich lassen, sich reinwaschen und völlig neu anfangen möchte – dann wäre das hier der Ort. Und ganz ohne sich tatsächlich unter den Wasserfall zu stellen. Die Kraft ist so stark, dass es wahrscheinlich schon reicht, einfach am Rand zu sitzen. Und falls mal die kreativen Quellen versiegen sollten – hier ist die Aufladestation. Definitiv! Zur Zeit geht’s mir gut, in mir sprudelt und gurgelt es wie in den kleinen Mühlbächen hinter dem Wasserfall und ich muss eher überlegen, in welche Kanäle ich meine Ideen lenke. Aber sollte es mal eine Blockade geben, weiss ich, wo ich hingehen kann… (Und die Freundin seufzt: „Klavierlehrerinnen, ich sag’s ja… Ich bring dich dann mal in einer Vollmondnacht hier her.“)

Bist narrisch?

DSCF7766Österreich – das sind für mich die Jugendstilphantasien von Klimt und Dehmel. Mahler, Schnitzler, Stefan Zweig und Konsorten lassen mein Herz höher schlagen und haben Halbgötter-Status. Opernbesuche in Salzburg und Wien waren jahrelang der einzige Grund, nach Österreich zu reisen. Bergschuhe und Rucksack? Niemals! Österreich als Urlaubsland stand so was von ausserhalb jeder Debatte, dass ich nie ernsthaft daran dachte und nur meine Vorurteile pflegte. Für mich war es das klassische Rentner – und Wohnmobilbesitzer-Ziel: Zeitgenossen, die schon so spiessig sind, dass sie möglichst nah am Vertrauten bleiben wollen und sich auch nicht mit einer anderen Sprache abgeben wollen.

Meine zwei österreichischen Freundinnen haben mich unbeabsichtigt, aber äusserst erfolgreich meine Einstellung komplett revidieren lassen. Ich staune selber, dass man in meinem vorgerückten Alter noch mal aus seinem Trott gerissen werden kann. (Vielleicht bedeutet es aber auch, dass ich mich geistig dem Rentenalter nähere?!) Ich war auf jeden Fall im letzten Jahr so oft in Österreich wie noch nie im Leben. Die Pkw-Maut ist für mich kein Diskussionsstoff, sondern Realität. Meine Landkarte ist vom vielen Auf- und Zufalten so zerfleddert und löchrig, dass ich bald eine neue anschaffen sollte. Ich weiss jetzt, was Schiwasser und Honigreinkerln sind und jubiliere trotzdem noch innerlich, wenn ich jemand in einer Unterhaltung „bist narrisch?“ sagen höre. Es ist einfach ein nettes, charmantes Land, und zudem ein Paradies für Vegetarierer mit den ganzen Spinatnocken, Gemüsestrudeln, Kaspressknödeln und Schlipfkrapfen…

DSCF7739Und deshalb habe ich selbst den vielbeschäftigten Gatten in missionarischem Eifer am langen Einheitswochenende über die Grenze geschleppt. Und es war wie an meinem Geburtstagswochenende: lockere 130 km von der Haustür stiegen wir am Pass Thurn aus dem Auto und hatten eine derartig atemberaubend wunderschöne Aussicht auf die Hohen Tauern, dass wir uns die erste halbe Stunde nur ständig gegenseitig bestätigten, wie traumhaft schön es hier ist. Wir sassen einfach auf einer einsamen Bank und waren platt. Der Himmel strahlte intensiver blau im herbstlichen Nachmittagslicht als noch im Juli, einige Bäume leuchteten schon golden und trotzdem waren die Wiesen satt grün.

Was natürlich enorm zum Gelingen des Wochenendes beitrug, waren die fünf Katzen der Ferienwohnung, die wir gemietet hatten. Kaum liess man die Tür einen Spalt auf, waren sie da. Eine verschmuster und süsser als die andere. Und abends kuschelten sie sich an uns auf dem Sofa und schliefen richtig ein, als wären sie unsere Katzen.

Wieder bin ich völlig erstaunt und dankbar, wie viel Schönes man in drei Tagen erleben kann. Die Panoramawanderung auf dem Sonnberg war voll von einfach atemberaubenden Ausblicken. Und die ganzen drei Stunden wurden wir von einem freundlichen Hund begleitet, der jede Kuh zu kennen schien und in Wegkehren geduldig mit spitzen Ohren auf uns wartete, wenn wir schon wieder die Aussicht anschauen mussten. Oder der dichte, sahnig-weisse Nebelwurm, der am Sonntagmorgen der Salzach folgend über das ganze Tal gebreitet war – von unserem Balkon, der 300 Meter über dem Tal lag, sah man ihn in seiner ganzen länglichen Ausdehnung, an den Rändern schon zart sich auflösend, und die Berge darüber leuchteten klar im Morgenlicht. Ich liebe doch Nebel. Aber so einen grandiosen habe ich noch nie gesehen, direkt greifbar und wie ein gigantisches lebendiges Wesen. Und von der anfangs noch rosigen Morgensonne bestrahlt. Wie faszinierend, dass sich so eine eindrucksvolle Erscheinung erst in einen Hauch und dann in Nichts auflöst. Und wie seltsam, dass es wirklich nur auf die Perspektive ankommt – die Menschen im Tal fanden ihn möglicherweise nicht so schön wie ich da oben. Falls ich mal wieder im Gedankennebel feststecken sollte, werde ich mich erinnern, dass mit ein bisschen Abstand alles anders sein wird. Aber alle etwaigen erhebenden philosophischen Überlegungen wurden unterbrochen von drei kleinen Katzen, die sich um meine Beine balgten – das war auch schön!

DSCF7744Der Samstagabend hielt noch eine besondere Überraschung bereit. Als Österreich-Anfängerin hab ich noch etwas Probleme mit der Bergprominenz. Ich kann zwar seit diesem Wochenende sagen, dass ich innerhalb von ein paar Monaten die beiden höchsten gesehen habe, aber es war nicht einfach. Beim Grossglockner lag es daran, dass ich keine Ahnung hatte, welche Form er hat und er zwar oft präsent, aber dermassen umgeben war von weissen Giganten, dass ich ihn einfach nicht identifizieren konnte. Der Grossvenediger dagegen hat eindeutig Divenallüren. Man könnte meinen, dass man ihn von Neukirchen am Grossvenediger aus sehen kann – absolute Fehlanzeige. (Schöne Caféterrasse, immerhin). Der Gatte wollte ihn aber sehen. Also fuhren wir am späten Nachmittag noch mal zurück nach Mittersill und auf die Felbertauernstrasse. An der Mautstelle nach dem Tunnel fragten wir den Kassierer, wo wir hier den Grossvenediger am besten sehen können. Ihm stand schon ein gewisses „Seid’s narrisch?“ ins Gesicht geschrieben, weil wir um 17 Uhr noch ein Tagesticket kauften, und wahrscheinlich hielt er uns jetzt für ganz verrückt. Sagte uns trotzdem, dass wir gleich unten am Matreier Tauernhaus parken und dann eine halbe Stunde ins Tal laufen sollen. Das Tal und die Berge ringsum lagen schon im Schatten, und die Finger von Licht, die noch die Gipfel streichelten, wurden alle paar Minuten kürzer. Ein paar letzte Wanderer kamen uns entgegen, aber ins Tal hinein lief niemand mehr. Anfangs hielten wir mit wohlgemuten Parolen die Moral hoch: wenn die Sonne untergegangen ist, kann man mindestens noch eine halbe Stunde was sehen. Wir finden den Weg schon im Halbdunkel zurück. Nach der nächsten Kurve kommt er bestimmt. Aber er kam nicht. Und ich musste mich schon anstrengen, bei dem flotten Tempo und ständig leicht bergauf Schritt zu halten – ehrlich gesagt, japste ich ganz schön. Wusste aber: das ist das letzte freie Wochenende auf Monate. Wenn wir nicht grade am ersten Weihnachtsfeiertag hier hochhatschen wollen, muss ich jetzt mitmachen. Und es zog sich und zog sich und wurde immer kühler und schattiger. Bis selbst Johannes irgendwann murmelte: wo haben die bloss ihren Berg hingestellt. Aber – es gibt ihn! Wir haben die Diva gesehen, im goldenen Glanz der letzten Sonnenstrahlen! Eine Viertelstunde, bevor die Sonne sich hinter das Venedigermassiv verabschiedete, und 200 Höhenmeter später kamen wir am Berghaus Aussergschlöss an, fielen erschöpft auf das Holzbankerl (ich in ähnlich attraktiven Zustand wie nach dem gehassten Zirkeltraining in der Schule) und waren schon wieder überwältigt von der Aussicht auf die Schneeberge, den sich silbrig windenden Weg weiter ins Tal rein, den milden, weichen langen Abendsonnenstrahlen und dem schimmernden Gegenlicht – fast wie eine Vision. Johannes fasste es gekonnt zusammen: es war eine absolute Schnapsidee, um die Tageszeit noch so was zu machen, aber es hat sich gelohnt wie selten was. Manchmal muss man Schnapsideen haben. Und umsetzen. Gewohnte Pfade verlassen. Über seinen Schatten springen, um noch viel schönere Schatten im Abendlicht zu sehen.

DSCF7694(Eigentlich juckt es mich in den Fingern, „Beste Aussichten im Salzburger Land“ noch eine Ode in einem eigenen Artikel zu widmen, aber womöglich hält man mich dann für bestochen… Aber ich bin erfüllt von missionarischen Eifer: das Buch hat mich so glücklich gemacht und ich möchte, dass andere diese Erfahrung auch teilen. Deshalb ein kurzer Nachsatz: Ich erinnere mich, wie mir Franziska bei einem Frühstück im April ihr Buch schenkte. Damals standen Tulpen auf dem Tisch und ich hatte keine Ahnung, was alles zwischen den zwei Einbanddeckeln stecken würde. Jetzt werden die Birken golden und die neuen Tulpenzwiebeln kommen in die Erde, und ich bin überwältigt davon, was man in einem halben Jahr alles erleben kann.  An vieles werde ich mich garantiert mein Leben lang erinnern. Das Buch ist ein echtes Schatzkästchen, und ich bin einfach nur dankbar für alles Schöne, was ich mit ihm sehen durfte.)

Vom Inn an den Tiber: Römische Neuentdeckungen

DSCF7095Rom ist ein bis an den Rand gefülltes grosses Schatzkästchen, in dem man immer wieder auf unbekannte Preziosen stösst. Manche haben wir bewusst aufgesucht, über andere sind wir direkt gestolpert, weil wir dem Impuls nachgegeben haben, noch kurz in eine geöffnete Kirche zu gehen. Dabei haben wir zum Beispiel die drei sensationellen Caravaggio-Gemälde in S. Luigi dei Francesi entdeckt: selten habe ich eine derartig auf die Spitze getriebene Wirkung von Licht und Schatten gesehen, und die ausdrucksvollen Gesichter von Matthäus und Jesus haben sich direkt in mein Gedächtnis eingebrannt.

Oder (weil Rom so ein unmittelbares Nebeneinander von geistigen und kulinarischen Genüssen bietet, sei der Sprung erlaubt): man kann sich am Campo dei Fiori frischen Granatapfelsaft auspressen lassen, was wir auch getan haben. Ein Granatapfel ist ja immer ein ambivalentes Vergnügen wegen der Spritzer beim Zerlegen, und ich fand es toll, dass jemand anders in passender Kleidung das für mich macht und ich quasi die Essenz geniessen kann. Und während des Auspressens kann sich das Auge erfreuen an den Bergen von runden, prallen Granatäpfeln, die auf dem Tisch aufgehäuft sind.

Unsere anderen Neuentdeckungen dieses Mal: S. Giorgio in Velabro, eine der ältesten Kirchen am ehemaligen Forum Boarium, in der in guter frühmittelalterlichen Manier die Säulen von antiken Tempeln wiederverwertet wurden, aber hier – anders als in S.Sabina, die ordentlich ausgerichtet und lichtdurchstrahlt auf dem Aventino steht – auf so unkonventionelle oder sich den GranatapfelsaftGegebenheiten des Ortes halt anpassende Weise, dass man das Gefühl hat, es gibt kaum einen 90-Grad-Winkel in der Kirche. Da die Kirche unter Tiber-Niveau liegt, war sie öfter überschwemmt und ist irgendwie etwas muffig und dunkel. Doch genau das macht auch ihren Reiz aus. Und selten hat mich der Hauch der Geschichte so angeweht wie hier. So viel ich weiss, steht sie zwar nicht auf einer heidnischen Kultstätte, wie es bei den frühchristlichen Kirchen ja oft der Fall ist, aber der antike Bogen der Geldwechsler, an den die Kirche direkt drangebaut wurde, und der grosse Janusbogen daneben, überhaupt dieses Tal zwischen Kapitol und Palatin lassen einen spüren, dass hier seit Jahrtausenden ein besonderer Ort ist. Wobei Rom ja gespickt voll ist von diesen „Kraftorten“, die schon ganz früh ein Zentrum kultischer Handlungen waren – warum es mich in S. Giorgio so überfallen hat, kann ich nicht sagen, aber es war eigenartig und bemerkenswert.

Wieder ein Sprung: die Galleria d’Arte Moderna im Park der Villa Borghese haben wir auch zum ersten Mal besucht. Wir waren von aussen schon einigermassen beeindruckt bzw. schockiert von der Grösse. Sie entspricht leicht der Alten Pinakothek, und die Sammlung ist ähnlich umfangreich. Und ganz genial und sehenswert: italienische Malerei und ein paar Skulpturen der letzten 150 Jahre. Wunderschöne Landschaften aus der Umgebung von Rom aus der Mitte des  19. Jahrhunderts, italienischer Jugendstil und Futurismus. Dazu: Monets Seerosen, Van Gogh, die drei Lebensalter von Klimt, Kandinsky, eine Jawlensky-Ansicht vom Murnauer Moos (etwas skurril, das in Rom anzugucken, oder?) und  Mirò.  Wirklich ein hauptstadtmässig umfassender und toller Überblick. Nicht das klassische Rom-Programm, vielleicht, aber ich wüsste nicht, wo sonst man so viel über die neuere italienische Malerei an einem Ort erfahren könnte. Und: es ist praktisch leer und klimatisiert, und es gibt ein sehr stilvoll eingerichtetes ruhiges Café.

DSCF7016Ein anderer Ort, an den wir uns sicher lange erinnern werden, war die versunkene Welt von Ostia antica, der ehemaligen Hafenstadt. Das Meer ist inzwischen noch eine Zugstation weiter weg. Die Bahn war voll von römischen Badenixen, die schon den Bikini unter den Alltagskleidern anhatten, was auch für uns das Feriengefühl verstärkte.  Doch auf dem grossen Ausgrabungsgelände waren wir ziemlich allein, und das hat viel zu seinem Reiz beigetragen. Unter Pinien und blühendem Oleander gibt es endlos viele Fragmente der ehemaligen Bebauung zu entdecken. Die beste Neuentdeckung aber war Ettore, der Kater der Buchhandlung. Optisch hätte er auf einer Katzenschau nicht unbedingt den ersten Preis gewonnen, aber er muss von herausragendem Charakter sein, von dem uns seine begeisterte Besitzerin minutenlang Zeugnis ablegte. Bis ich mich irgendwann fragte: gehts noch um dieses verstruppelte 4-Kilo-Fellbündel oder um seinen antiken Namenspatron?! Das war echt rührend, und Ettore wurde natürlich von uns ausgiebig geschmust. Was den Tag in Ostia perfekt werden liess. Und ein Land, in dem Kater „Ettore“ oder „Orazio“ heissen, muss man mögen.

Vom Inn an den Tiber: Roman Holiday

BarZehn Tage in Rom – das klingt so himmlisch, wie es auch war. Aber ich bin immer noch zu überwältigt, um drüber schreiben zu können. Seit fünfzehn Jahren ist Rom eins unserer liebsten Reiseziele,  und die Eintragungen im dumont beweisen, dass die Liste der Sehenswürdigkeiten, die wir besucht haben, die der ungesehenen langsam übertrifft. Trotzdem kommt man jedes Mal völlig erschlagen wieder und denkt: gut, es war ein Anfang. So langsam nähern wir uns an.

Rom ist dermassen ausserhalb jeder Kategorie, dermassen gesegnet und übervoll mit auch räumlich gigantischen und überragenden Denkmälern, dass ich wieder das Gefühl habe, höchstens die Zehen in einen Ozean getaucht zu haben.

Da hilft nur: entspannt bleiben und sich freuen, dass man überhaupt dort war. Und nicht nur die Monumente in den Vordergrund stellen, sondern Rom als Zustand zu geniessen. Was wir auch ausführlich getan haben. (Wenn man öfter da war, wiegt man sich in Sicherheit und denkt: wir haben ja schon so viel gesehen. Wir sind gewissenhaft auf alle sieben Hügel spaziert, plus Pincio und Gianicolo. Haben die vier Hauptkirchen besucht und hätten die Chance auf diverse Ablässe gehabt, wenn wir entsprechend gebetet hätten (wäre im Rückblick vielleicht doch nicht verkehrt gewesen…!) Waren so oft wie möglich im Pantheon und haben Berninis Dafne zwei Mal besucht. Und die ersten fünf Tage vergehen mit ziellosem Schlendern, Gucken, Eisessen und an Brunnen sitzen. Bis doch mal jemand in den Kunstführer schaut und feststellt: da wäre ja noch… Und wenn wir schon dort sind, könnten wir auch… Die letzten beiden Tage kuliminierten in je acht Kirchenbesuchen, wobei wir noch mal unglaublich Schönes gesehen haben. Der geduldige Gatte aber irgendwann murrte: „mit dir muss ich in mehr Kirchen als mit meinem Vater…“)

ApollotempelRom als Seinszustand im August, das ist genau so, wie man es sich vorstellt: das Leben findet ausschliesslich draussen statt, und man braucht auch um zehn  Uhr abends noch kein Jäckchen (wir kamen oft am gleichen Thermometer einer Bank vorbei und es hatte 28 oder 29 Grad). Aperitivo und Abendessen nimmt man im Freien ein, entweder auf einer Piazza oder in einer der vielen Gassen ohne Autoverkehr, auf der die Tische mit Blumenkästen von den Passanten abgetrennt sind.  Während des Essens wird der Himmel immer samtig dunkelblauer, und die Fledermäuse fangen an, um Kirchenkuppeln zu zischen. Man isst viel, regelmässig und kalorienreich und nimmt nicht zu, weil man ungezählte Kilometer am Tag zu Fuss geht. (Apropos Essen: wir wohnten hinter S.Andrea della Valle und waren vier Mal in der Pizzeria rechts von der Kirche essen. Man ist zwar umgeben von schreienden Italienern, aber das Essen ist vorzüglich. Schon beim zweiten Mal wurden wir mit grossem Hallo begrüsst, und das Trara steigerte sich bei jedem erneuten Auftauchen: grosses Händeschütteln, Schulterklopfen und lautstarke Begrüssungen von herbeilaufenden Kellnern, als hätten wir eingeheiratet…)

Rom im August bedeutet auch: die überquellenden Mülltonnen und die daneben abgestellten schwarzen Müllsäcke sind nicht nur eine optische Herausforderung. Die uneinheitlichen Öffnungszeiten machen einem öfter einen Strich durch die Rechnung: der protestantische Friedhof hat BIS 17 Uhr auf, Santo Stefano Rotondo AB 17 Uhr. Deshalb haben wir beides nicht gesehen. (Überhaupt: Mittagspause von 12 bis 17 Uhr?! Ich sag jetzt nichts…) Und bei allen Versuchen, sich entspannt an die südliche Lebensart anzunähern, geht es eines Tages doch auf den Geist, dass konsequent keine Busfahrpläne ausgehängt werden. Wenn vielleicht die Haltestelle in der prallen Sonne liegt und man etwas erledigt ist. Andererseits: die Freude über einen plötzlich auftauchenden Bus ist dann so gross, dass doch wieder alles okay ist. Und man sich dankbar reinquetscht.

Zu übrigens immer korrekt und stilvoll gekleideten Römern. Was einige Touristen liefern, kann man schon nicht mehr als modischen Fauxpas bezeichnen: es ist eigentlich eine Unhöflichkeit gegenüber den Bewohnern der Stadt. (Und davon abgesehen, können es sich höchstens zehn Prozent davon auch figürlich leisten, so viel Zitronenbäumchennackte Haut zu zeigen. Und das ist in der Stadt der perfekt ausgewogenen Statuen mit Idealmassen eigentlich auch eine Frechheit!) Die Herrren tragen auch bei 35 Grad Anzug und Krawatte. Ein älterer, der wahrscheinlich keinem Beruf mehr nachgeht, setzte sich im Bus neben mich in langer grauer Anzughose (sah wirklich nach leichter Wolle aus), langärmeligen Hemd und mit einem dünnen graublauen Pulli um die Schultern (falls es abends auf frostige 29 Grad runterkühlt…). Und sah nicht aus, als ob es ihm zu warm wäre. Die Damen tragen häufig Kleider, auch mal bodenlang, und meistens mit Ärmeln. Also: man muss sich nicht alles vom Leib reissen, man hält das schon auch anders auch. Es trägt auf jeden Fall zur Verschönerung des Stadtbildes bei!

Meine Andenken an Rom: der weisse Abdruck der Sandalen auf meinen gebräunten Füssen. Wie viele Kilometer ich in diesen Sandalen gelaufen bin! Und: ich bin mit einer Handtasche losgefahren und mit zweien wiedergekommen. Was in Italien schon mal passieren kann. Besser, als mit gar keiner nach Hause zu kommen – was angeblich auch passiert in Italien.

Wasser!

DSCF6601Und dann kam mein Geburtstag. Da es ein Sonntag war, habe ich mir einen Tag am Wasser gewünscht. Und gleich noch eine Übernachtung davor dazu, weil es doch nichts Netteres gibt, als sich am Geburtstag an einen fertig gedeckten Frühstückstisch zu setzen, oder?

Da ab jetzt ja nur noch mit Frau Lipps Buch verreist wird, wenn es vor die Haustür geht, hatte ich die Qual der Wahl: es gibt ein ganzes Kapitel über Lieblingsplätze mit Wasser im Salzburger Land, einer ansprechender als der andere. Aber – warum auch hier nicht gleich klotzen und mit dem Superlativ anfangen? Jeder ausser mir scheint die Krimmler Wasserfälle zu kennen, und so war es höchste Zeit, sie zu besuchen, bevor ich noch ein Jahr älter werde.

Ein Blick auf die Karte ergab: zwischen den Kitzbüheler Alpen und den Hohen Tauern liegt ein Tal, durch das man nach Krimml kommt. Es war atemberaubend, kurz hinter der Passhöhe vom Pass Thurn zum ersten Mal anzuhalten, ein paar Schritte an frei weidenden Kühen mit Glocken um den Hals vorbei in die Wiese zu gehen und dann diesen umwerfenden Ausblick zu haben. Ich weiss auch nicht, wie es kommt, dass mir die Berge auf einmal gefallen. Aber so viel Schönheit ein paar Kilometer von zuhause haut mich um. Und dann fand sich ein munter sprudelndes, eisiges Bächlein mit genau passenden grossen Steinen zum Draufsitzen. Alles war noch kühl im Picknickkorb, weil wir noch nicht so weit von daheim weg waren. Aber der Ausblick beim Essen über die grünen Wiesen und den  strahlend blauen Himmel war derartig schön, dass es mir direkt im Herz zieht, wenn ich jetzt dran denke.

DSCF6618Im Tal liegt Hollersbach  – da empfiehlt Franziska den Kräutergarten. Er ist wirklich einen Besuch wert, vor allem in der warmen Abendstille, wenn ausser Bienen niemand mehr da ist und man in aller Ruhe zwischen den 500 Pflanzenarten wandeln kann. Was mich aber noch mehr fasziniert hat, war das Klausnerhaus am Eingang zum Garten, in dem es Informationen zur Anlage und speziell zum Holler gibt. Wir hatten gegenüber an der Kirche geparkt, und kaum hatte ich mich umgedreht, fühlte ich mich von der Präsenz des jahrhundertealten behäbigen Hauses gefangen. So eine Präsenz und Persönlichkeit, dass ich fast denke, ich hätte es auch gespürt, wenn ich nicht hingeschaut hätte – eines dieser ganz aussergewöhnlichen Häuser, das durch die Zeiten und Jahrhunderte an seinem Platz steht und irgendwie die Ausstrahlung einer dick und zufrieden daliegenden Katze hat (die aber blinzelt und durchaus Kontakt aufnimmt.) Selten habe ich ein Haus mit so viel Charakter erlebt, so einladend und verheissungsvoll. Und die breiten, ganz an die Wand geschnuckelten Holzbänke davor  – mei.

Und es gibt noch was Besonderes in Hollersbach: ein wunderschönes, kühles Naturschwimmbad. Kein Chlor, aber Fische. Und eine grosse Liegewiese. Es war die Art Sommerabend, an dem man den Badeanzug aus dem Handschuhfach nimmt und ohne Handtuch oder sonst was einfach schwimmen geht und danach auf der Wiese trocknet. Ein Geschenk von einem Abend!

Auf halben Weg von Mittersill hoch zum Pass Thurn fanden wir eine Pension. Ein hübsches kleines Häusle, nur zwei Zimmer breit, aber hoch mit dunklen verzierten Holzbalkonen, die über und über mit Petunien behängt waren. Eine freundliche Zimmerwirtin, die uns bei unserer Ankunft in ihre eigene Küche bat, weil sie grade Johannisbeermarmelade auf dem Herd hatte. Und vom schnuckligen Zimmerchen aus und vor allem dem Südbalkon davor schon wieder eine herzziehend schöne Aussicht auf die Berge nach Süden. Den ich am Geburtstagsmorgen ausgiebig genoss – was für ein Tagesbeginn!

DSCF6639Für die Krimmler Wasserfälle verspricht das Buch, dass man am Kürsingerplatz ohne passende Kleidung innerhalb weniger Minuten bis auf die Haut nass wird. Nichts wie hin! Bei vorhergesagten 32 Grad war die Devise: das dünnste Sommerkleidchen anziehen und so nah wie möglich rangehen. Und es war genial! Man wird wirklich von der Gischt wunderbar kühl eingenebelt und hat kleine Wassertröpfchen auf der Haut und den Haaren – perfekt.  Oberhalb der zweiten Fallstufe fanden wir eine Stelle, an der man direkt ans und ins Wasser kann. Alles Vorhergehende war derart wild und strudelig, dass niemand auf die Idee käme, auch nur in die Nähe zu wollen. Aber da oben gibt es ein breites Flussbett mit riesigen rundgeschliffenen Steinen, auf denen wir rumgeturnt sind. Die Ache ist eisig und reissend, und es war das grösste Geburtstagsvergnügen, da drin zu sitzen.

Fazit: es muss nicht Bali sein. Nur zwei Tage in der Nähe von zuhause können einen unglaublichen Erholungseffekt haben, wenn sie einen derartigen landschaftlichen Tapetenwechsel bieten wie dieser Ausflug. Dank des Wetters waren es Sommertage wie aus dem Bilderbuch, mit allem, was dazu gehört. Sollte es jetzt den Rest des Sommers regnen, wäre ich versöhnt, weil ich ihn trotzdem mit allen Sinnen spüren durfte: Freibad, Johannisbeermarmelade, Bienen im Lavendel, Füsse im eiskalten Gebirgsbach und gleichzeitig Sonnenbrand auf den Schultern – mehr kann man nicht verlangen.

Alpenblicke

Nationalstolz am WolfgangseeAlso, noch mal zu diesem netten Buch: mittels zweier Geburtstagsausflüge haben wir Franziska Lipps „Beste Aussichten im Salzburger Land“ einem Praxistest unterzogen. Das Buch ist und bleibt empfehlenswert – und es ist besonders nett, es mit einem Gutschein für einen Ausflug zu verschenken, weil das doppelte Freude ist. Gemäss dem persischen Sprichwort, dass der Duft der Rose an der Hand desjenigen bleibt, der sie verschenkt, kann man gar nicht sagen, ob die Beschenkte oder die Schenkende mehr hat von solchen schönen Ausflügen: es ist eine perfekte Möglichkeit, Zeit mit einem lieben Menschen zu verbringen und dabei ganz besondere Orte kennenzulernen.

Wir haben’s gleich mal krachen lassen und mit einem Superlativ angefangen: der Grossglockner-Hochalpenstrasse, auf der wir beide noch nie gewesen waren. Es war ohne Zweifel ein Ausnahmeerlebnis. Hat man sich erst mal auf oben!2400 Meter hochgeschraubt, bieten sich atemberaubende Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel, wo man auch hinschaut. Und wenn man auf dieser Höhe der Passstrasse auf und ab folgt, hat man oft das Gefühl, auf dem Dach der Welt zu fahren. Es ist sicher ein ganz besonderer Platz auf der Erde – aber definitiv nicht mein Lebensraum… Ich habe mich ziemlich schnell erschlagen gefühlt. Dreissig Dreitausender ist einfach ein bisschen zu viel des Guten. Und alles ist so grandios, gigantisch, monumental und unvorstellbar prächtig, dass es einfach zu viel wird. Es ist, als ob man drei Bruckner-Symphonien gleichzeitig hören müsste: eigentlich zu viel für einen normalen Menschen. Und ausserdem hatten wir die ganze Zeit Probleme, den Grossglockner überhaupt zu erkennen unter so vielen Giganten. Wirklich! Selbst ein österreichisches Paar, das wir vor dem vermeintlichen Kandidaten fotografiert haben, lag falsch – obwohl sie in dem Moment auch überzeugt waren, dass es der richtige Berg ist… Macht ja auch nix: die Umgebung und die Ausblicke sind überall umwerfend. Und zum ersten mal im Leben habe ich Murmeltiere und Steinböcke gesehen! Und es war schon ein erhebendes Gefühl, die Alpen (fast) überquert zu haben mit meinem kleinen Auto, noch dazu auf einer historischen Strasse. Zu wissen: wenn wir jetzt ein paar Kilometer weiterfahren würden, hätten wir dieses Hindernis zwischen uns und Italien überwunden. (Das Auto bittet aber wieder um die Tauernautobahn nächstes Mal…)

mit 10 kmhVerglichen mit dem Grossglockner war unser zweiter Ausflug auf den Schafberg im Salzkammergut lieblich und romantisch und so derartig schön, dass ich irgendwann wieder da hoch will. Es ist ein wirklich nettes Erlebnis, mit einem 120 Jahre alten Zahnradbähnle durch blühende Alpenwiesen ganz gemächlich und in aller Ruhe da hochgeschaukelt zu werden. Und der Ausblick von oben in alle Himmelsrichtungen ist auch grandios, aber nicht auf diese furchteinflössende Art wie im Hochgebirge. Wir waren auf 1700 Metern und damit höher als die meisten der sanften grünen Berge, die sich unter uns ausbreiteten. Und wir schauten auf zahlreiche tiefgrün funkelnde Seen im Salzkammerhut: Wolfgangsee und Abersee, Fuschlsee, Mondsee, Attersee… Das war unglaublich schön an diesem perfect view Wolfgangseestrahlenden Junitag. Und apropos: es war erstaunlich leer da oben. Wir hatten zum Mittagessen einen traumhaften Logenplatz auf der Terrasse mit Blick auf das Dachsteingebirge links, die Niederen Tauern und jede Menge anderer Berge, die ich natürlich nicht kenne… Der Spaziergang danach auf der Nordseite war allerdings nichts für schwache Nerven: es gibt zwar ein Geländer, aber es geht 300 Meter senkrecht in die Tiefe. Aber wenn man nicht mit Absicht direkt runterschaut, ist es auch ein grandioses Gefühl, an diesem Abbruch zu stehen – das muss genau die Perspektive von Vögeln sein, wenn sie sich in den Himmel erheben.

Schloss FuschlMit einer Mutter, die im früheren Leben eine Gemse gewesen sein muss, war der Weg zur Himmelspforte auch ein eher spezielles Vergnügen. Dieser Berg ist mir einfach zu steil. Ich hatte ständig schweissnasse Hände vor Höhenangst, meine Mutter aber war derartig in ihrem Element, dass ich irgendwann ein Foto von ihr am Abgrund machte und dabei dachte: so, ich mach noch ein Bild für die Brüder, bevor sie runtersegelt… Glücklicherweise sind wir wieder zusammen runtergekommen, und auch wie geplant mit der kleinen Bahn.

Abends standen wir mit den Füssen im angenehm kühlen Fuschlsee – der ja auch ein ganz traumhafter Platz ist – und schauten zu unserem Abenteuerberg rauf, der in der Ferne noch zu erkennen war. Fazit: ich werde nie ein Bergmensch. Aber ich werde garantiert noch ein paar Ausflüge aus Franziskas Buch unternehmen!