Andere Menschen versuchen nach dem Urlaub, ihre Sonnenbräune möglichst lange zu erhalten. Mein Vorsatz für diese Wochen: möglichst viel vom Freiheitsgefühl dieser wunderbaren zwei Wochen in Rom zu bewahren und in den Alltag hinüber zu retten. Denn man merkt erst, wie durchorganisiert, vollgestopft und anstrengend der eigene Alltag ist, wenn im Urlaub alles von einem abfällt und man mit diesem köstlichen neuen Gefühl erst mal gar nichts anfangen kann.
Aber wir haben es wieder gelernt, keine Sorge. Sehr viel dazu beigetragen hat, dass wir die ganzen sechzehn Tage ohne Internet und Telephon waren. Wir haben es keine Sekunde vermisst, im Gegenteil, wir wurden immer nostalgischer und haben oft zueinander gesagt: „das ist ja wie früher, einfach Bücher lesen auf der Terrasse…“. Aber ich habe festgestellt, wie ungesund ich normalerweise meine Tage beginne: meistens, weil die Zeit drängt und ich es irgendwann eh machen muss, mit eingeschaltetem Computer und den ersten Mails. In unserem wunderschönen Ferienhaus bin ich mit meinem ersten Kaffee im Nachthemd raus in den Garten und hab direkt vom übervollen Feigenbaum ein paar sonnenwarme Früchte gegessen, während ich den Eidechsen auf den Steinen zuschaute und sonst – überhaupt nichts tat. Oder das Kochen: zuhause passiert das oft in so einem multi-taskenden Zustand, dass ich danach erledigt und fertig bin und gar keinen Hunger mehr habe. In unserem Ferienhäuschen dreissig Kilometer östlich von Rom wurde es ein entspannendes Abendritual. Das Häuschen gehört einer offensichtlich gern kochenden Australierin, denn die hübsche, grosse Küche war perfekt ausgestattet (fast besser als meine eigene!), bis hin zu einem Meter Kochbüchern im Regal und sieben grossen Terracottatöpfen mit Kräutern im schattigen Innenhof. Ich goss sie jeden zweiten Morgen, langsam, liebevoll, aufmerksam – so ganz anders als meine Töpfe zuhause – und erlaubte mir deshalb, ein paar Zweige zum Kochen zu ernten. Die Feigen, Nektarinen und Trauben im Garten waren ausdrücklich im Preis inbegriffen – herrlich, oder? Von der Wohnküche ging es direkt auf die grosse West – Terrasse, und während ich entspannt kochte, ging ich mal zum lesenden Gatten auf die Terrasse, um ein paar Oliven und einen Schluck Wein zu mir zu nehmen, oder eben in den Innenhof zu den Kräutern, und alles langsam und genussvoll und ungehetzt. Nach dem Essen lasen wir in der samtigen, warmen Nacht mit Hilfe einer Stehlampe aus dem Haus noch lange auf der Terrasse. Und ich guckte auch oft einfach nur vor mich hin, auf die glitzernden Lichterketten der Städtchen auf den Albaner Bergen gegenüber, auf den jeden Tag runder werdender Mond, oder den erhellten Himmel über Rom. Das war Entschleunigung pur.
Und dieses frei und sorglos und einfach nur man selber sein… Das will ich auch noch etwas länger spüren. Italien mit dem eigenen Auto war absolut wundervoll. Wir sind ja bisher immer ethisch und politisch korrekt mit Zug und Bus gereist. Wie anstrengend und langatmig das ist, merkt man erst, wenn man eben anders reist. Ich sag nur: fermata a richiesta – Bedarfshaltestelle. Anders als bei gewissen Statuen macht es mir bei den blauen CoTral – Bussen, die in Latium verkehren, wenig Spass, die Rückansicht zu betrachten… Die flexible, kreative Fahrweise der Italiener kommt mir sehr entgegen. Wegen der Hitze hatten wir immer alle vier Fenster offen, was zum roadmovie-artigen Freiheitsgefühl beitrug: gebräunte Unterarme, ein bad-hair-day nach dem anderen, aber egal. Wenn ich für irgendwelche Ruinen ansehnlich aussehen wollte, stülpte ich mir den Sonnenhut auf die Haare und fertig.
Trotzdem war ich froh, dass ich, als wir die Verwandten in Rom besuchten, nicht als Räuberbraut ankam. Es ist mir tatsächlich schwer gefallen, mich nach dieser ersten Woche in Freiheit und nach ganz eigenen Regeln etwas zu zivilisieren, die Haare zu waschen und das nettere Kleidchen anzuziehen. Aber es war gut so: die Cousins des Gatten kamen, wie andere Römer auch, abends in Anzug und mit eleganten Schnürschuhen aus der Arbeit – bei 36 Grad wohlgemerkt. Und sie blieben auch so. Aber innerlich flatterten meine Haare noch, und wir hatten viel Spass. (Über die Verwandtschaft könnte man mehrere Artikel schreiben. Nur ganz kurz: es ist so, wie man es sich vorstellt, und ich habe noch nie so viele Papst – Kühlschrankmagneten an einem Kühlschrank gesehen.)
Wir sind bewusst mit dem Auto gefahren, weil wir nach mehreren Aufenthalten in der Innenstadt die Umgebung von Rom anschauen wollten. Die ganzen Juwelen, die man mit Öffentlichen kaum oder gar nicht erreicht. Und wenn man tagelang so durch römische Ruinen stakst oder in schattigen Etruskergräbern steht, kristallisiert sich noch eine andere Einsicht heraus: unser Leben ist so kurz. Wir sind so unbedeutend und nur so vorübergehend auf dieser Welt – warum eigentlich der ganze Stress? Wenn man in Jahrtausenden denkt, sind die eigenen Befindlichkeitsstörungen und Zukunftssorgen so was von nebensächlich. Wir gehören nicht zu den glücklichen Auserwählten, die der Welt grossartige Kunstwerke hinterlassen. Ich bin nun mal kein Hadrian und kein Beethoven. Ich kann sehr geniessen, was sie geschaffen haben – aber man könnte dieses ganze Rudern und Strampeln und Stressmachen einfach mal aufhören. Nicht jeder muss einer Epoche seinen Stempel aufdrücken. Vielleicht ist der Sinn des Lebens für uns normal Sterbliche, einfach nur – zu sein? Einfach da sein, Gutes tun, so weit wir können, sich um andere kümmern und so, aber einfach auch mal nur in der Sonne zu sitzen wie eine Eidechse. Ohne sich zu fragen, was heute abend und morgen und nächstes Jahr ist. Das ist der Plan für dieses Schuljahr.