Mein gechilltester Arbeitstag

DSCF1957Letzten Mittwoch wurde ich abgeordert, unsere Schüler auf der Busfahrt zur jährlichen Chor- und Orchesterprobenphase zu beaufsichtigen, da alle anderen Musiklehrer schon vor Ort waren. Aus rechtlichen Gründen kann man wohl nicht 108 Minderjährige allein den beiden Busfahrern aufs Auge drücken. Super, dachte ich bei mir. Das wird wieder eine Aktion der Marke „ich würd doch lieber den Sack Flöhe nehmen“. Ein Haufen aufgedrehter Schratzen, froh, der Schule entronnen zu sein – und ich soll einen Frühlingsvormittag im Bus verbringen, statt am Inn zu laufen. Meine Begeisterung war, vorsichtig gesagt, verhalten. Aber dann wurde es unversehens einer der entspanntesten Tage meiner Karriere… Weil unsere Kinderchen einfach so nett und ordentlich sind. Jeder hat ein Interesse daran, dass sein Instrument und das Übernachtungsgepäck mitkommt, also verlief das Be- und Entladen der Dinge reibungslos. Ich fuhr im Orchesterbus mit. Die Schüler unterhielten sich gedämpft und scheinbar nur über Musikalisches und das bevorstehende Abi – selten so eine ruhige Busfahrt erlebt! Und meinen einzig wichtigen Job hab ich delegiert: als ich die Anwesenheit kontrollieren wollte, schielte einer unserer Abiturienten sehnsuchtsvoll auf die Liste und den Stift in meiner Hand und meinte: „ich träum seit der Fünften davon, mal die Anwesenheit zu machen“ – worauf ich ihm alles in die Hand drückte und er, selig wie ein Honigkuchenpferd grinsend, zum Mikrofon griff.

Die Rückfahrt durch blühende Löwenzahnwiesen war ähnlich entspannt. Nach zwanzig Minuten auf Alteglofsheimer Boden, in denen die Busse ent- und wieder beladen und die Gruppen getauscht worden waren, waren jetzt hauptsächlich Fünftklässler in meinem Bus, die alle etwas platt vom Schlafmangel waren und unerwartet ruhig. Eine Erwachsene brauchten sie nur, um zu fragen, wann wir da sind. (Und um zu versuchen, sie mit Schokolade zu mästen – ständig hörte ich „gib das mal vor zur Frau Sommerer“, und wieder kam eine goldene Ferrero-Kugel zu mir – die ich diskret zum Busfahrer weiterleitete…) Alles harmlos und angenehm. Während wir so gemächlich durch Niederbayern zuckelten, vorbei an rosa und weiss blühenden Obstbäumen und Wiesen im ersten explosiven Frühlingsgrün, dachte ich, wie viel mehr man doch von den Kindern erwarten darf. Dass sie sich nur „kindisch“ benehmen, wenn man sie auch so behandelt. Zu viel Kontrolle kann schaden. Wenn man Verantwortung abgibt und delegiert, zeigen sie erst, wozu sie in der Lage sind. (Dazu muss man aber auch sagen, dass wir besonders ordentliche und „normale“ Schüler haben. Das merke ich im Schulalltag auch immer wieder, und das ist schon ein Privileg.)

Erst war ich wenig begeistert, den ganzen Vormittag lang unbezahlte Überstunden zu machen und dann direkt in meinen Unterrichtsalltag zu fallen. Als wir um zwei wieder an der Schule ankamen, war ich durch die vielen schönen Eindrücke auf der Fahrt und schon auch die Tatsache, dass ich nix zu tun hatte ausser anwesend zu sein, so gechillt, dass ich mich einfach nur aufs Unterrichten freute. So eine Arbeitszeit von 9 bis 14 Uhr hat schon was. Die vielen Abendstunden, die für uns Musiker Alltag sind, sind dagegen eine Qual. Ein paar Jahre lang hatten wir nach dem Montagskonzert immer Fachsitzung, also bis 22 Uhr – da wusste ich beim Heimfahren manchmal nicht mehr, wo die Gangschaltung ist. Vormittags bin ich für jede Mehrarbeit zu haben.

Und was definitiv toll war an diesem „Arbeitstag“: im Gegensatz zu meinen überlangen Donnerstagen zum Beispiel, an denen ich mich oft nur noch flach atmend durch den Tag schleppe und meine Sauerstoffzufuhr manchmal durch ein lautes Durchschnaufen optimieren muss, ist mir richtig aufgefallen, dass ich nichts tue ausser dasitzen und ruhig und meditativ atmen. Während ich blühende Kirschbäume angucke. Keine Rückrufe, Mailbeantworten, nebenbei Wäscheaufhängen und gleichzeitig kochen, wie das sonst oft an meinen Vormittagen aussieht. Ich wäre eine ausgeglichenere Lehrerin, wenn ich jeden Morgen vier Stunden meditieren würde… Aber auch eine mit nix mehr Anzuziehen und einem leeren Kühlschrank.

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