Die politische Lage in der Ukraine motiviert einen zur Zeit nicht unbedingt, aber: ich kann allen KollegInnen ein russisches Schülerkonzert nur empfehlen. Selten hatten wir so viel Vergnügen und Spass wie in den letzten Monaten. Das liegt zum einen an der einfach hervorragenden und unglaublich vielfältigen Schülerliteratur, die einem zur Verfügung steht. Und dann wundere ich mich wieder, wie sehr ein klares Konzept alle vereint und veranlasst, sich voll und ganz einzubringen. Als wäre es Ehrensache, bei diesem Konzert dabei zu sein.
Nachdem wir im letzten Sommerkonzert so viel Einaudi und Tiersen hören durften, dass es für zwei Jahre reicht, beschloss ich, meine Schüler auf diplomatische / leicht manipulative Weise auf den Weg der Tugend zurückzuführen, indem ich ihnen ein aufregendes, unbekanntes Motto fürs nächste Konzert präsentierte: wir spielen nur russische Musik! Was wirklich rührend ist: jeder findet es toll, dabeizusein, und bis jetzt hat tatsächlich noch niemand bemerkt, dass keine leichten, aber beeindruckend klingenden Jazzstücke dabei sind. Fast komme ich mir schlecht vor, weil ich die Unschuld und Begeisterungsfähigkeit meiner Schüler derartig ausnutze und sie wie Lämmchen in die Richtung traben, in der ich sie haben will. Aber da muss ich durch – die Schüler leiden definitiv nicht. Ganz im Gegenteil: ich habe den Eindruck, dass das Gesamtkonzept ihnen gefällt und für den Zusammenhalt übers Musizieren hinaus wichtig ist. Jeder spielt was Russisches, keiner wird bevorzugt oder benachteiligt.
Und die Stücke machen einfach Spass. Nach endlosem und akribischen Listenschreiben habe ich meine Schüler mit russischer Literatur bombardiert. Schon die ganzen letzten Wochen lernen sie Stücke und Komponisten kennen, von denen sie zum Teil noch nie gehört haben. Und ich bin begeistert von der endlosen Fülle an pädagogischer Literatur: buchstäblich kein einziges Stück habe ich doppelt vergeben und erspare mir dadurch auch den Stress, in ein paar Wochen vielleicht freundschaftsgefährdend auslosen zu müssen, wer es jetzt im Konzert spielen darf. Jeder Schüler spielt auch Stücke querbeet und kann dann das liebste auswählen. Der Hintergedanke: die meisten stammen aus bestimmten Zyklen von Tschaikowsky, Kabalewski, Prokofieff oder Tcherepnin, und wenn alles so aufgeht, wie ich mir das vorstelle, wird das Programm wohlgeordnete und beeindruckende Blöcke von einzelnen Komponisten enthalten. Und es war kaum Arbeit für mich.
Was mich wirklich beeindruckt, ist die Unvoreingenommenheit und Aufgeschlossenheit meiner Kinderchen. Keiner stellt sich an, keiner sagt, dass er Lampenfieber hat und nur vorspielen kann, wenn er seinen Lieblingskomponisten spielen darf, keiner scheut die Arbeit, was Neues kennenzulernen. Ganz im Gegenteil. Ich finde es mal wieder Wahnsinn, wie gern und bereitwillig Heranwachsende die Welt erkunden und wie wenig Vorurteile sie gegen Musik des frühen 20. Jahrhunderts haben. Wie viel Freude sie sogar daran haben, wenn es mal richtig schräg klingen darf! Davon kann ich mir echt ein Stück abgucken. Je weniger Lebenszeit ich habe, desto schneller denke ich in Kosten – Nutzen-Rechnungen: lohnt sich das? Was bringt es mir? Was hab ich davon? Die Kinder schmeissen sich einfach rein und spielen. Unglaublich.
Wir haben alle viel Freude an diesem Projekt. Die Schüler geben mir ständig Rückmeldung, wie gut ihnen dieses oder jenes Stück gefällt. Ich freue mich und muss aufpassen, dass ich nicht zu sehr grinse, wenn mir ein Schüler, zu dem ich nach Hause komme, sagt, dass er das Stück nur mit russischer Pelzmütze spielen kann – und sich seine quicklebendige Katze schnappt und sie mit dem Bauch und schlapp herunterhängenden Pfoten auf seinen Kopf legt (sie hat es stoisch über sich ergehen lassen – die Familie hat sechs Kinder…). Und ich freue mich ständig über den unerschöpflichen Reichtum an hochwertiger pädagogischer Literatur. Für ein italienisches oder norwegisches Konzert müsste man sich enorm engagieren, und möglicherweise wäre es schnell vorbei. Im russischen Vorspiel kann vom kleinsten Anfänger bis zum Abiturient jeder teilnehmen, es gibt haufenweise Alternativen und auch viel Vierhändiges – das reinste Schlaraffenland.
(Bildquellen: Kandinsky: wassilykandinsky.net. Kabalewski mit Vater und Schwester: wikipedia. Prokofieff: musicweb. Schostakowitsch: madwereitnotformusic.tumblr.com)