Unsere Bücherregale haben dieses Jahr einen Zuwachs erfahren wie nie zuvor. Das muss anders werden, denn so kann es definitiv nicht weitergehen. Ich würde zwar liebend gern in einer Bibliothek wohnen, andererseits möchte ich nicht so viel um mich anhäufen, denn letzlich belastet Besitz doch nur. Und auch wenn ich regelmässig ausmiste und Bücher verschenke, steht das Lesevergnügen in keinem Verhältnis zum Aufwand an Gedankenenergie, Geld und Ressourcen, die man darauf verwendet.
Fatal für diese Entwicklung in unserem Haushalt hat sich in den letzten Jahren die extrem leichte Verfügbarkeit von gebrauchten Büchern über das Internet erwiesen. Über die einschlägigen antiquarischen Seiten, mit denen ich in Zukunft wirklich vorsichtig umgehen will, ist es erstaunlich einfach, mit einem Klick seltene Erstausgaben aus den 20er Jahren zu bestellen. Noch vor einigen Jahren musste man ihnen mühsam und persönlich auf der ganzen Welt nachjagen. Es ist zu verführerisch, sie jetzt so schnell auf einen Blick überhaupt lokalisieren zu können. Und wenn einem bewusst ist, dass manche der Werke nicht mehr gedruckt werden und möglicherweise nur noch in diesen fünf Exemplaren überhaupt existieren, fühlt man sich quasi verpflichtet, auf das Warenkorb-Symbol zu klicken. Und unversehens, und ohne sich ruiniert zu fühlen, hat man eine ansehnliche Sammlung beisammen.
Genau so gefährlich wie die Seiten mit antiquarischen Juwelen sind die bekannten anderen, die schnödere und neuere Taschenbuchausgaben anbieten. Auch hier gibt es immer wieder Titel, die nicht mehr gedruckt werden – und wieder sieht man es als seine moralische Pflicht an, sie zu kaufen, um sie vor dem gänzlichen Verschwinden zu bewahren. Finde ich dann noch eine Kundenrezension, die behauptet: „ein Text, der verwirrt, aber auch bereichert“, ist es für mich ein sicheres Zeichen, dass ich dieses Buch sofort lesen muss. Und – … nein, kein Klicken! Ab jetzt nicht mehr!
Ab jetzt habe ich ein weiteres überholtes und altmodisches Requisit wieder in mein Leben eingeführt: einen Leserausweis einer Bibliothek! Stolz steckt er neben meiner Telefonkarte, die man als handyloser Mensch manchmal braucht – viele meiner zwölfjährigen Schüler haben von beidem noch nie was gehört… Aber es fühlt sich gut an, dieser kleine Ausweis, ich fühle mich wieder komplett. Ich war fast mein Leben lang begeisterte Bibliotheksnutzerin, angefangen bei den zwei Regalen unserer Pfarrbibliothek im eiskalten Stübchen des alten Pfarrhauses. Sonntags nach dem Gottesdienst durften wir die immer gleichen zerfledderten Abenteuerbücher aus der Nachkriegszeit ausleihen. Seit ich mehr auf dem Land wohne, bin ich allerdings von Büchereien abgekommen aus dem snobistischen Grund, dass die Literatur, für die ich mich interessiere, schlicht nicht erhältlich ist. Deswegen musste ich so viel kaufen, nur deshalb… Doch jetzt hat die Vernunft gesiegt – ich kann mir per Fernleihe aus München die absurdesten Titel kommen lassen, und falls ich wirklich was fünf Mal lesen will, könnte ich es immer noch anschaffen.
Der Vorgang birgt auch eine ungeahnte Vorfreude in sich. Gewöhnt an die sekundenschnelle Erfüllung aller Wünsche, ist es ein ganz seltsames und spannendes Gefühl, eben diese Instantbefriedigung nicht zu haben. Vor den Weihnachtsferien habe ich mir voll Freude und Stolz einen Ausweis unserer Schulbibliothek ausstellen lassen. Da die Fernleihe ein paar Tage dauert, war es sinnlos, die Bücher vor den Ferien zu bestellen. Jetzt kann ich in aller Ruhe überlegen, mit was ich anfangen will und meinen ersten Wunschzettel schreiben. Nach den Ferien bestelle ich es, und da ich immer nur zwei Tage in der Woche dort bin, muss ich noch mal eine Woche warten, bis ich die Bücher in der Hand halten kann. Ist das nicht wunderschön?! Eine nette Übung in Selbstdisziplin, die in sich schon eine Belohnung darstellt. Und dazu beiträgt, dass Bücher noch einen Wert haben. Die schnelle Verfügbarkeit trägt ja auch zu einer Entwertung bei.
Worauf ich mich freue (wenn ich’s bekomme…): ein wahrscheinlich kiloschwerer Bildband mit Photographien von Marianne Breslauer, der unserem Bücherregal gewichtsmässig den Rest geben würde. So gern ich ihn haben würde – so was wird in Zukunft ausgeliehen. Marianne Breslauer hält den Stil, die Eleganz und das Lebensgefühl einer vergangenen Epoche auf wunderbare Weise fest. Ich freue mich auf diese besondere Zeitreise.
liebe Martina, schön das du so vernünftig sein kannst, wenn ich sehe daß es ein Wunsch-Buch nur noch ein- zweimal bei ZVAB gibt muß ich es haben haben haben. Franz List als Lehrer gab es genau einmal – ich habs nicht bekommen und muss weinen weinen weinen. Ich habs zwar als Kopie(Fernleihe), aber dieses schlabberige Papierbündel macht bei weitem nicht den gleichen Spaß wie so ein alter Pappband in der Hand. Vielleicht freuen sich auch die sechs Bände Bülow-Briefe, daß sie jetzt bei mir im Regal stehen und von Zeit zu Zeit in ihnen geblättert wird – nach Jahrzehnten in einem dunklen Antiquariatsverlies.
In der Hoffnung, daß mir die Rettung alter Klavierbücher und Noten einige Steine in Brett bringt und dadurch einige Minuspunkte (Tiere essen usw) getilgt werden
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
wir beiden Süchtlinge sollten langsam eine Selbsthilfegruppe gründen, statt uns gegenseitig auf Interessantes hinzuweisen! Zumal wir anscheinend das gleiche Helfersyndrom haben, wenn es um die Rettung und den Erhalt seltener Bücher geht. Sehr bedenklich!
Nachdem ich in den ersten sechs Tagen des neuen Jahres schuldlos zwei sehr interessante Bücher geschenkt bekommen habe, hat mir mein Gemahl ganz trocken vorgerechnet: selbst wenn ich meinem Vorhaben treu bleibe und ein Jahr lang gar nichts selber kaufe, in der Rate aber weiterhin Bücher geschenkt bekomme, haben wir nächstes Silvester ungefähr hundert mehr im Regal. Mathe war noch nie meine Stärke, aber jetzt beginne ich zu verstehen, wie es zu der karnickelartigen Vermehrung in unseren Regalen kam…
Herzliche Grüsse an alle in der Chopinstrasse! Martina
Liebe Martina,
noch finde ich immer ein paar Löcher, wo ich nicht mehr so wichtige Bücher zwischenlagern kann, das mit der Selbsthilfegruppe ist also noch nicht so drängend und auf den nächsten London-Aufenthalt müssen wir uns ja schließlich auch vorbereiten, da gibts doch so wichtige Sachen wie The London of Charles Dickens oder In Dickens’s London oder The England of Charles Dickens, das braucht man dringend!!!! Und wenn man dann in London ist – Any Amount Of Books – wir nehmen diesmal nur ganz wenig Gewand mit aber die gleichen großen Koffer.
Viele Grüße von einem unheilbar Süchtigen
Wolfgang
In einen Laden mit diesem Namen sollten wir beide überhaupt nicht gehen!! Trotzdem steht er fest auf meinem Programm für den nächsten London-Besuch. Wenn ich dran denke, was für geniale Bücher mir in dem Megaverhau buchstäblich in die Hände gefallen sind. Weil die Stapel, auf denen sie lagen, grade kollabierten… Das war praktisch eine Schicksalsfügung, gegen die man sich nicht wehren sollte.
Ich lese grade „Oliver Twist“ und bin wieder erstaunt, welche Distanzen die Figuren zu Fuss zurücklegen. Das gäb einen wirklich weiten Spaziergang – vom Eastend über Holborn und Hyde Park Gate nach Kensington. Muss man eigentlich nachstellen, oder?
So ein verschneites Wochenende ist perfekt, um neben dem Christbaum Dickens zu lesen. Hoffe, Du /Ihr habt auch was Schönes zum Lesen! Liebe Grüsse, Martina
Miss Buncle!!!! Utter, utter bliss!
Was für eine unverzeihliche Nachlässigkeit,diesen unglaublichen Persephonebook-Shop nicht besucht haben, es war nur ein paar Schritte von unserem Hotel entfernt.
Der Christ-Ast wurde gerade der Natur zurück gegeben, und jetzt gehts wieder nach Silverstream.
Viele Grüße, Wolfgang
Ha! Und ich hatte Angst, dass Ihr es zu banal findet! Ich fand es wunderbar unterhaltsam. Wirklich eine Entdeckung, oder?
Die Persephone-Seite ist sehr schön und informativ, kommt aber nicht an einen Besuch im echten Laden ran, den ich wirklich empfehle. Winzig, aber voller Köstlichkeiten und mit extrem netten Verkäuferinnen, die anscheinend wirklich die Bücher gelesen haben, mit denen sie handeln – wo gibt’s das noch?