Neue Kamera – alte Statuen

P1080683Letztes Jahr im August war ich in der faszinierenden Etruskerausstellung in der Antikensammlung und war so begeistert und erfüllt, dass ich beim Rausgehen dachte: und nächste Woche geh ich endlich mal in die Glyptothek gegenüber. Ein Jahr später, immer noch keine Glyptothek… (Die Etruskerausstellung ist übrigens immer noch, falls jemand Lust hat.) Aber jetzt hab ich’s endlich geschafft! Auslöser war meine neue, langersehnte Kamera. Ich bin immer noch dabei, mich reinzufinden, und die Glyptothek sollte kein Vergnügungs-, sondern ein Übeausflug werden. Musste aber feststellen, dass ich ziemlich schlecht darin bin, wirklich viele Fotos zu machen. Es ist nicht natürlich für mich, durch die Linse zu gucken. Ich schaue wahnsinnig gern und bin eher in Gefahr, in manche Anblicke zu versinken und dann weiterzugehen, ohne ans Foto zu denken. Von daher war es kameramässig nur halb erfolgreich – aber ansonsten ein wunderbarer ruhiger Ferientag.

Das Schönste an der Glyptothek vorweg: dass ich gleich beim Reingehen eine ehemalige Schülerin traf, die jetzt Latein studiert und mit ihrem Kurs dort war. Sie war wie immer, als wären nicht ein paar Jahre vergangen, und sie erzählte, dass sie sich einen hundert Jahre alten Flügel gekauft hat, der in ihrer Studentenwohnung steht, und dass sie fast jeden Tag spielt. Mission erfüllt, das Mädel ist auf dem richtigen Weg!

P1080688Verglichen mit englischen Museen ist die Glyptothek nur mässig instruktiv – man erfährt aus den kostenlos zur Verfügung stehenden Informationen zum Beispiel gar nichts darüber, woher die Statuen kamen oder wer sie wann wo gefunden hat. Die ganzen spannenden Drumherumgeschichten haben mir gefehlt, denn die sind bei manchen Kunstwerken mindestens so interessant wie das, worum es bei der Darstellung eigentlich geht. Aber es sind sensationell schöne Stücke da versammelt. Hier, vor der Haustür. Muss man gar nicht nach Rom fahren… Ich bin immer wieder fasziniert und auch seltsam berührt von der Tatsache, was für eine Berg- und Talfahrt die Weltgeschichte und Kunstgeschichte so durchmacht. Dass es schon mal atemberaubend schöne und perfekte freistehende Statuen gegeben hat, dieses ganze Wissen dann Jahrhunderte (Jahrtausende…) verschüttet war und dann ein paar Florentiner Bildhauer mühsam diese Art, Kunst zu erschaffen, wieder ausgegraben haben. Für mich hat sich da ein wichtiges Puzzleteilchen in mein Halbwissen eingefügt. Man sagt immer so: „Wiederentdeckung der Antike“ – ohne wirklich zu wissen, was Antike bedeutet. Aber – siehe oben, ich habe nie den Drang gespürt, vielleicht einfach mal in München nach der Antike Ausschau zu halten.

P1080657Dabei hätte es uns wirklich gutgetan, auch mal als Lateinabiturienten einen Abstecher ins Museum zu machen. Die Sammlung ist chronologisch angeordnet, und ziemlich gegen Ende, schon etwas voll von Eindrücken und müde vom Rumlaufen, fand ich mich ein einem Raum wieder mit Dutzenden Köpfen auf Stelen: die römischen Kaiser nach Christus starrten mich mit ihren leeren Marmoraugen an, alle dem Fenster und dem Licht zugewendet. Ein ganzes Rudel an eindrucksvollen Mienen. Ich liess mich auf die Bank in der Mitte fallen, alle im Blick, und dachte nur: „ach ne, ihr. Ausgerechnet. Was habt ihr mich Nerven gekostet und wie überflüssig war es, sich kurz vor dem Abi die Regierungsdaten von euch allen reinzupauken? Wo manche von euch so kurz regierten! Mann, das war klassisches überflüssiges Wissen, nur für die Prüfung gelernt und im Leben zu nichts zu gebrauchen. “ Ich fühlte mich tatsächlich besser nach dieser kleinen Abrechnung. Blieb noch ein bisschen sitzen, um die Gesichter anzuschauen, und merkte langsam: das sind ja alles einzelne Menschen. Individuen. Wahnsinnig ausdrucksvolle, edle, entschlossene, nachdenkliche Gesichter. Und dann will man von einem zum anderen gehen und fragen: was hast du richtig gemacht? Was hast du falsch entschieden? Warum hast du nur so kurz gelebt? Jeder einzelne dieser ollen Kaiser wird auf einmal unglaublich spannend, und es ist besonders berührend, ihnen so auf Augenhöhe gegenüber stehen zu können. Diese Verbindung hätte ich gebraucht damals in der Schule. Und es erinnert mich daran: ich brauch mehr Bildmaterial für meine Schüler. Wenn man mal gesehen hat, wie ein Kaiser, ein Komponist oder ein Pianist ausgesehen hat, stellt man andere Verknüpfungen her und verbindet wirklich etwas mit dem Namen. Und egal ob man Zuneigung oder Ablehnung empfindet – ist das Bild mal mit eigenen Emotionen in Berührung gekommen, gräbt es sich anders ins Gedächtnis ein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert